Welt-Roma-Tag am 8. April

Welt-Roma-Tag am 8. April

Nach wie vor pflegt ein Großteil der Bevölkerung in Deutschland die althergebrachten Vorurteile gegenüber Roma und Sinti. Die aktuelle Leipziger Autoritarismus-Studie stellt für die Jahre 2014 bis 2022 fest, dass zwischen 35 und 58 % der Befragten Roma und Sinti nicht in ihrer Gegend haben möchten, zwischen 30 und 48 % wollen sie aus den Innenstädten verbannen und zwischen 39 und 61 % halten die Minderheit für kriminell. Werte die an mittelalterliche Betrachtungsweisen, an Verfolgung und Pogrome erinnern.

Die Beratungsstelle des Förderverein Roma e. V. bestätigt durch die Erfahrungen der Klient*innen die Konfrontation mit diskriminierenden Haltungen. So werden oft antiziganistische, kulturell gewachsene Vorurteile auf die Hilfesuchenden projiziert. Der Träger begegnet dem Antiziganismus durch eine sensible Unterstützung der Betroffenen, der Thematisierung von Vorfällen auf allen Ebenen, der Hinzuziehung von Rechtsanwält*innen und der Kooperation mit dem Landesverband der deutschen Sinti und Roma in Darmstadt sowie der Melde- und Informationsstelle Antiziganismus in Berlin. In Zusammenarbeit mit Aktion Mensch besteht zudem das Engagement gegen Ausgrenzung als explizite Querschnittsaufgabe im Rahmen des Projektes Zuruf.

Der Welt Roma Tag, der während der ersten internationalen Roma Konferenz 1971 in London beschlossen wurde, erinnert an die jahrhundertelange rassistische Ausgrenzung und die Vernichtung der europäischen Roma im Nationalsozialismus. Er ruft gleichzeitig zum Engagement für die Menschen- und Bürgerrechte der Minderheit auf und thematisiert die fortdauernde Diskriminierung, insbesondere nach 1945. Eine Zäsur im Sinne der Betroffenen gab es nie. Erst 40 Jahr nach dem Menschheitsverbrechen wurde der Völkermord an Roma und Sinti anerkannt. Diejenigen, die sie in Konzentrations- und Vernichtungslager brachten - Ärzte, Juristen, Polizei und willfährige Helfer, die dafür nicht zur Rechenschaft gezogen wurden – verweigerten, hintertrieben oder verhinderten Entschädigungsanträge. Roma und Sinti wurde vielmehr unterstellt, sie seien für die an ihnen begangenen Verbrechen selbst schuld. Heute noch gibt es noch Opfer der NS-Herrschaft, die bisher keine Leistungen erhielten.

Während der Pandemie unterzog man Roma und Sinti einerseits einer Sonderbehandlung, zäunte ihr Wohngebiet ein, kontrollierte den Ausgang und andererseits missachteten Behörden bei der Unterbringung grundsätzliche Hygienemaßnahmen. Schulische Exklusion in Form von Sonderklassen oder überproportionaler Zuweisung in Förderschulen kennzeichnen immer noch Missstände im pädagogischen Regelbetrieb. Die Beleidigung auf dem Schulhof durch das Z-Wort ist erneut gängig. Auch die Menschenrechtssituation vieler Bürgerkriegsflüchtlinge ist katastrophal. Ausweisungen in das ehemalige Jugoslawien sind an der Tagesordnung, entgegen aller Informationen über Verfolgung und rassistischen Morden an Roma, vielfach dokumentiert durch Verbände und Organisationen. Zijush, ein 13-jähriger Rom aus Bremerhaven, musste Deutschland verlassen und ging zwangsweise mit seiner Familie zurück nach Mazedonien, um eine Abschiebung zu vermeiden. Dort hatte er keine Perspektive und war rassistischen Übergriffen ausgesetzt. In einem Land, dessen Sprache er nicht spricht, war die Fortsetzung des Schulbesuchs schwierig. Seine Klassenkameraden aus Deutschland vermissten ihn und ließen Zijush per Smartphone am Unterricht in seiner alten Klasse teilnehmen. Die Lehrerin und ein Schulfreund besuchten ihn. Schließlich schaffte es die Familie, nach wiederholten rassistischen Angriffen, wieder nach Deutschland zu kommen. Ihre Erfahrungen wurden von einer Filmemacherin dokumentiert - sie sind ein Zeichen von Solidarität und einer völlig verfehlten Asylpolitik.

Eine 13köpfige Roma Familie aus der Ost-Ukraine wurde Mitte letzten Jahres in Mosbach erstregistriert. Dort erhielt sie Unterstützung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz. Die Familie verließ die Stadt Mosbach und begab sich in die Landeserstaufnahmeeinrichtung NRW in Bochum. Nach einer Woche Aufenthalt in Bochum suchte sie Unterkunft in einer Aufnahmeeinrichtung in Frankfurt am Main. Drei Kinder wurden dort aufgrund interner familiärer Streitigkeiten und Konflikten mit den Sicherheitskräften in Obhut genommen. Die Familie beklagte die schlechte Versorgung, die Ausgrenzung durch andere Flüchtlinge aus der Ukraine, die Enge, Übergriffe seitens des Sicherheitsdienstes und die unzureichende Betreuung. Ein erfahrener früherer Mitarbeiter des Förderverein Roma unterstützte nach dem Kindesentzug die Familie und konnte die Rückführung in die zwischenzeitlich wieder in der Nähe von Mosbach lebende Familie erreichen. Die Bemühung der Betroffenen aufgrund der extrem beengten Verhältnisse mehr Wohnraum zu erhalten, zog wegen vermeintlicher Beleidigung einer Behörden Mitarbeiterin einen überzogenen Polizeieinsatz mit Hunden nach sich und endete in der nachhaltigen Einschüchterung aller Familienmitglieder. Völlig unerwartete und unbegründet wurde der Familie danach mitgeteilt, sie solle nach Nordrhein-Westfalen verlegt werden, was die Beendigung der Hilfe insbesondere im Hinblick auf die Unterstützung der kriegstraumatisierten Kinder zur Folge gehabt hätte. „Wir sind mit unseren Kindern aus der Ukraine geflüchtet, um sie vor dem Tot zu schützen. Hier erfahren wir aber auch nur Leid und Angst", klagte die Mutter nach den negativen Erfahrungen, seit der Ankunft in Deutschland. Mit enormer Anstrengung verhinderte der Helfer die Verlegung. Allerdings wurde danach seine Tätigkeit beendet und die vorher gelobte Kompetenz in Frage gestellt.

Die Situation von migrierten Roma in Frankfurt hat sich ebenfalls verschärft. Lediglich 40% der knapp 1000 Hilfesuchenden, die 2022 die Beratungsstelle des Förderverein Roma in Frankfurt am Main aufsuchten, verfügen über eine eigene Wohnung. Über die Hälfte der Klient*innen war 2022 in einem Wohnheim, einem Hotel oder einer anderen Unterkunft der Stadt Frankfurt am Main beziehungsweise einer ihrer sozialen Träger untergebracht. Etwa 80 Personen sind wohnsitzlos. Viele davon sind notdürftig bei Freund*innen, Bekannten oder Familienangehörige*n untergekommen. Einige leben faktisch auf der Straße in äußerst prekärer Lage. Die Wohnsitzlosigkeit betrifft Frauen wie Männer gleichermaßen. Eine städtische Vermittlung in eine Notunterkunft oder ein Hotel erweist sich mittlerweile als langwierig. Es ist üblich, dass mindestens 7 Tage vergehen, bis eine Unterkunft zugewiesen wird. Voraussetzung ist ein Arbeitsvertrag und die Beantragung von vorrangigen Leistungen. Durch den Krieg in der Ukraine und die hohe Anzahl an Geflüchteten werden vermehrt Notschlafstellen in Hallen mit Trennwänden auch an Familien mit Kindern vergeben. Dies führt bei Betroffenen zu Ablehnungen der Unterkunft, was wiederum die erneute Zuweisung verzögert. Die Selbsthilfemöglichkeit wird regelmäßig durch die Sachbearbeitenden vorausgesetzt. Bei vielen Familien oder alleinstehenden Personen, deren Wohnsituation nicht erfasst wurde und die eine Postadresse über den Träger erhalten, ist davon auszugehen, dass sie mehrheitlich ebenfalls wohnsitzlos sind. Restriktive Prüfungen, übergriffiges diskriminierendes Handeln, Versagung der Unterkunft und das Angebot zur Ausreise ins Herkunftsland, als Lösung gegen das Elend, gehören zum Repertoire der ablehnenden Verwaltungspraxis. Es fehlt nach wie vor an angemessenem Wohnraum für Familien, Alleinstehende und Paare und an Projekten, wie dem „Haus für Roma", das auch Schutz vor rassistischer Ausgrenzung und Gewalt, wie sie in Heimen und Notunterkünften präsent sind, bietet.

Unter den hilfesuchenden Roma und Sinti lassen sich oft Erkrankungen von Diabetes, Herz-Kreislaufbeschwerden, Durchblutungsstörungen, Hepatitis und Rheuma diagnostizieren. Auffällig ist vor allem, dass ein Großteil der Klient*innen unter Sehschwäche leidet. Kurz- und Weitsichtigkeit sind die häufigsten Probleme. Sehhilfen in Form von Brillen oder Kontaktlinsen werden von den Krankenkassen, hier meist die AOK, nur mit hohen Eigenleistungen bezuschusst. Das ist für viele Klient*innen finanziell nicht möglich, sodass sich der Gesundheitszustand stetig verschlechtert. Darüber hinaus leiden viele unter psychosomatischen Belastungsstörungen, die sich in Form von Kopf- oder Bauchschmerzen und Hauterkrankungen äußern. Mehrere Frauen klagen über Depressionen. Die tägliche Organisation eines Lebens am Rande des Existenzminimums bedeutet gerade für Frauen und Alleinerziehende eine ständige Überforderung. Der Druck, den Wohnraum zu verlieren oder die Kinder nicht ausreichend versorgen zu können, ist allgegenwärtig. Zudem leiden die im Haushalt lebenden Kinder durch den permanenten Stress der Eltern. Marginalisierung, soziale Benachteiligung, mangelhafte Unterbringung oder Obdachlosigkeit führen in der Folge auch zum Kindesentzug durch das Jugendamt. So wird die unverschuldete Armut von Familien zum Grund der Inobhutnahme.

Die Frankfurter Stadtregierung hat im Koalitionsvertrag Mitte 2021 fixiert, dass die zugangsfreie Unterbringung in Wohnungen Vorrang hat und Gemeinschaftsunterkünfte keine Dauerlösung sind. Insbesondere im Hinblick auf Minderheiten wurde festgelegt, dass u. a. die Umsetzung von Konzepten gegen Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus gefördert werden und das Engagement des Förderverein Roma zur Unterbringung von wohnsitzlosen Menschen sowie die Sozialberatung und Jugendbildung unterstützt und ausgeweitet wird. Explizit heißt es, „um die oft desolate Wohnsituation zu verbessern, wollen wir prüfen, ob in Frankfurt nach Berliner Vorbild ein „Haus für Roma" etabliert wird. Das lang geforderte Roma- und Sinti-Gemeinde- und Kulturzentrum für Frankfurt wollen wir vorantreiben". Gegenwärtig gibt es keine grundsätzlichen Verbesserungen für die Minderheit und die Arbeit des Trägers. Die Sozialberatung steht ab Mitte des Jahres zur Disposition, weil notwendige Mittel und Räumlichkeiten fehlen und die Tätigkeit nicht adäquat fortgeführt werden kann. Die Kita des Trägers, mit ihrem modellhaften Schulprojekt, platzt aus allen Nähten. Angemessene Räume wurden seitens der Stadt bisher nicht zu Verfügung gestellt. Ein Haus für Roma ist kein Thema für die Stadtregierung.

Der Welt-Roma-Tag steht allerdings auch für den Aufbruch der Minderheit, für ihren selbstbestimmten Kampf gegen Rassismus und jegliche Form von Diskriminierung. Gerade hier sind in den letzten Jahrzehnten Fortschritte durch die Organisationen von Roma und Sinti sowie verschiedener NGOs gemacht worden. Die Durchsetzung der BürgerInnen- und Menschenrechte der Minderheit ist ein zentrales Thema in der kritischen Öffentlichkeit. Die vorherrschende breite gesellschaftliche Ablehnung von Roma und Sinti wird das offensive Engagement der Minderheit und ihrer UnterstützerInnen weiterhin notwendig machen.  

Pressemitteilung 6.4.2023