Vor 40 Jahren: Weltweite Aktionen zur Rüstungsbegrenzung

Angesichts der militärischen Eskalationen in verschiedenen Teilen der Welt ruft die FIR zu breiten zivilgesellschaftlichen Friedensinitiativen auf. Wir erinnern daran, dass vor 40 Jahren, im Oktober 1983 eine internationale Bewegung gegen atomare Aufrüstung und für konkrete Abrüstung die öffentliche Debatte bestimmt hat.

Sie richtete sich gegen eine Militarisierung Europas durch die geplante Stationierung von atomaren Mittelstreckenraketen vom Typ Cruise Missile und Pershing 2. Mit der Behauptung, die UdSSR habe bei der Veränderung eines bestehenden Raketentyps die Bedrohung des Westens erhöht, kündigte die NATO eine „Nachrüstung" an. Faktisch bedeutete die geplante Stationierung neuer Mittelstreckenraketen die Gefahr eines Atomkriegs in Europa. Diese Ankündigung der NATO löste in verschiedenen europäischen Ländern Aktionen der Friedensbewegung aus, wie sie bis dahin noch nicht zu erleben waren.

Zusammen mit anderen Verbänden, insbesondere dem Weltveteranenverband (FMAC/ WVF), hatte die FIR auf dem „Welttreffen ehemaliger Kriegsteilnehmer für Abrüstung" 1979 einen „Appell von Rom" für eine atomare Abrüstung und Beseitigung der Kriegsgefahr auf den Weg gebracht, der millionenfach Verbreitung fand. Auch auf nationaler Ebene entstanden gesellschaftliche Initiativen, wobei von großer Bedeutung in Westdeutschland der „Krefelder Appell" vom November 1980 war. Unter der eingängigen Losung: „Atomkrieg bedroht uns alle – keine Atomraketen in Europa!" unterzeichneten mehr als vier Millionen Menschen diesen Appell. Parallel dazu gab es schon Anfang der 1980er Jahren große Friedensaktionen in Bonn und anderen Großstädten, aber auch in den Niederlanden entwickelte sich kreativer Massenprotest.

Als im Herbst 1983 die entscheidenden politischen Abstimmungen in den nationalen Parlamenten und bei der NATO anstanden, sollte die Stimme der Friedensbewegung noch einmal machtvoll zu Gehör gebracht werden. Man verständigte man sich über den Weltfriedensrat und in Abstimmung mit der FIR und ihren Verbindungen zu den nationalen Mitgliedsverbänden, am Wochenende 22./23. Oktober 1983 in vielen Städten der Welt Massenaktionen der Friedensbewegungen zu organisieren. Das wurde ein überwältigender Erfolg. Großdemonstrationen fanden statt in Brüssel (400.000 Teilnehmende), Helsinki, London (300.000), Madrid (200.000), Paris (150.000), Rom (500.000), Stockholm (80.000) und Wien (80.000). Selbst in den USA fanden in 150 Städten Demonstrationen und andere Aktionen statt, in Kanada gab es an dem Wochenende Kundgebungen in 50 Städten, darunter in Ottawa und Toronto.
Ein Schwerpunkt der Aktionen lag in Westdeutschland und Westberlin. Über 1,5 Millionen Menschen demonstrierten hier für den Frieden – in Bonn 500.000, in Hamburg 400.000, in Stuttgart 300.000, in Westberlin 150.000 und mehr als 200.000 als Teilnehmende an einer 108 km langen Menschenkette von Stuttgart bis Neu-Ulm.

Auf der „Versammlung für den Frieden" in Bonn traten nicht nur zahlreiche internationale Gäste auf, die Grußbotschaften von den anderen Friedensaktionen überbrachten. Dort sprachen der SPD-Vorsitzende Willy Brandt, die Vertreterin der GRÜNEN Petra Kelly, Ilse Brusis als Vertreterin der Gewerkschaften und der Literaturnobelpreisträger Heinrich Böll. Ein emotionaler Höhepunkt war die Rede der Antifaschistin Etty Gingold, die alleine 11.000 Unterschriften für den „Krefelder Appell" gesammelt hatte. Sie betonte, die überlebenden Widerstandskämpfer hätten 1945 geschworen, alles zu tun, damit von deutschem Boden nie wieder ein Krieg ausgehe.

In Zeitungsberichten wurde damals die enorme gesellschaftliche Breite der Demonstrationen hervorgehoben. Zu den Organisatoren gehörten regionale Aktionskomitees, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Jugend– und Frauenverbände. Gemeinsam beteiligten sich Kommunisten, Sozialdemokraten und Mitglieder bürgerlicher Parteien, Christen und Nichtgläubige, Menschen aus den verschiedenen Schichten der Bevölkerung.

Diese Massenproteste verhinderten nicht die Zustimmung der nationalen Parlamente und der NATO insgesamt. Die Proteste hatte jedoch die längerfristige Wirkung, dass nach intensiven Verhandlungen zwischen den USA und der UdSSR am 1. Juni 1988 der INF-Vertrag in Kraft trat, der als Beginn einer atomaren Abrüstung (mit Produktionsverbot und Vernichtung bestehender Waffenpotenziale) in der Endphase des Kalten Krieges bezeichnet werden kann. Es ist ein Zeichen für die Spannung zwischen den Großmächten, dass vor wenigen Jahren die USA dieses Abkommen gekündigt hat. Faktisch ist der INF-Vertrag seit August 2019 Geschichte.

Angesichts der drohenden Gefahr eines 3. Weltkrieges ist eine solch politisch breite Friedensbewegung nötiger denn je. Dafür tritt die FIR mit ihren Mitgliedsverbänden ein.

FIR Newsletter 2023-42 dt, 20.10.2023