Statistisches Bundesamt verharmlost Prostitutionsüberwachung

Zum sechsten Mal in Folge hat das Wiesbadener Statistische Bundesamt am 15. September 2023 eine völlig unbrauchbare, nichtssagende und in ihrer Selektivität brandgefährliche „Prostitutionsstatistik“ veröffentlicht.

Das Statistische Bundesamt in Wiesbaden hat heute zwei magere Zahlen über die am 31.12.2022 gültigen Hurenpässe und Genehmigungen von Prostitutionsgewerbe veröffentlicht. An diesem Stichtag gab es 28.280 registrierte Sexarbeiter*innen sowie 2.310 genehmigte Prostitutionsstätten. Darauf beziehen sich einige wenige ergänzende Aufschlüsselungen nach Herkunft, Alter, Verteilung auf die einzelnen Bundesländer etc.

All diese Angaben zu Sexarbeit in der Prostitution sind wertlos und nichtssagend.

Denn Tatsache ist: Die vom Bundesamt alljährlich veröffentlichten Stichtagszahlen zu Prostitution liegen weit unterhalb der eigentlichen Zahl der jedes Jahr im Zuge der Zwangsregistrierung staatlich erfassten Sexarbeiterinnen.

Tatsache ist: Es gibt eine erhebliche Fluktuation unter Sexarbeiter*innen. Die Bundesregierung hat deren Höhe 2016 mit immerhin 25 % pro Jahr bezogen auf 200.000 vermutete Sexarbeiter*innen veranschlagt. Daraus folgt zwangsläufig, dass die Zahl der im Verlaufe des Jahres registrierten Sexarbeiter*innen weit über der Zahl der Hurenpässe liegen muss, die vom Statistischen Bundestag lediglich für den Stichtag 31.12. des jeweiligen Jahres benannt werden. Doch über diese Diskrepanz verliert die Bundesbehörde kein einziges Wort.

Bislang rund 73.000 Sexarbeiter*innen zwangsregistriert!

Nach Berechnungen von Doña Carmen e.V., die realistischer Weise von 90.000 Sexarbeiter*innen und einer moderaten Fluktuation von 12,5 % jährlich ausgehen, liegt die Zahl der bislang im Zuge der Zwangsregistrierung tatsächlich erfassten Sexarbeiter*innen bei mittlerweile rund 73.000 Personen.

Bezogen auf rund 120.000 verschiedene Personen, die unter Berücksichtigung von 12,5 % Fluktuation in den vergangenen sechs Jahren die jährlich 90.000 Sexarbeiter*innen gestellt haben, sind mithin rund 60 % aller Sexarbeiter*innen zwangsregistriert. Die aktuelle Illegalisierungs-Quote beträgt demnach 40 %. (vgl. dazu den Kommentar „Statistisches Bundesamt liefert erneut wertlose Zahlen zu Sexarbeit im Prostitutionsgewerbe“, 15.09.2023, www.donacarmen.de)

Tatsache ist ferner – und das wird vom Statistischen Bundesamt auch gar nicht in Abrede gestellt –, dass die im Verlauf eines jeden Jahres erfolgten Anmeldungen, Abmeldungen, Verlängerungen und Ablehnungen von Anträgen auf Ausübung der Sexarbeit durch die selektive Veröffentlichungspraxis des Statistischen Bundesamt mit Schweigen übergangen, unter Verschluss gehalten und damit der öffentlichen Diskussion vorenthalten werden.

Alle Daten, die wirklich Aufschluss über die tatsächlich höhere Zahl zwangsregistrierter Sexarbeiter*innen geben könnten, liegen den örtlichen Ordnungsbehörden vor und sind dort dígital verfügbar. Sie werden jedoch vom Statistischen Bundesamt weder abgerufen, noch aufbereitet oder ausgewertet. Stattdessen wird die Öffentlichkeit mit mageren, nicht aussagekräftigen Stichtagszahlen abgespeist.

Tatsache ist auch: Die selektive Veröffentlichungspraxis des Statistischen Bundeamts mit Blick auf Prostitution steht in krassem Widerspruch zum Gesamtumfang der Erhebungen, die in § 35 Prostituiertenschutzgesetz festgeschrieben und in der Prostituiertenstatistik-Verordnung bestätigt wurden. Nirgendwo steht geschrieben, dass sich die Wiesbadener Bundesbehörde bezüglich Prostitution auf die Veröffentlichungen allein dieser Stichtagszahlen (und deren Aufschlüsselung) beschränken müsse. Ein solches Verfahren ist eine willkürliche Behördenentscheidung und ein Hohn auf jegliche Transparenz.

Wertlose, nichtssagende Zahlen als Grundlage für gespenstische Debatten

Die selektive Veröffentlichungspraxis des Statistischen Bundesamts in Bezug auf das Prostitutionsgewerbe ist unverantwortlich und schadet massiv den Interessen der Sexarbeiter*innen.

Mit der Veröffentlichung systematisch zu niedrig ausgewiesener Zahlen zur Registrierung von Sexarbeiter*innen im Prostitutionsgewerbe provoziert die dem Bundesinnenministerium unterstellte Wiesbadener Statistikbehörde wilde, ins Kraut schießende Spekulationen über angeblich Hunderttausende illegal anschaffender Frauen. Die angebliche Diskrepanz zwischen zu niedrigen Stichtagszahlen und einem tatsächlich größeren Umfang in der Illegalität sich abspielender Prostitution wird zum Anlass genommen für die Behauptung, es mache keinen Sinn, Prostitution rechtlich zu regulieren.

Mit ihrer selektiven Veröffentlichungspraxis munitioniert die Wiesbadener Bundesbehörde all jene, die Sexarbeiter*innen unterstellen, kein Interesse an ihrer Legalisierung zu haben, und die das Scheitern des Prostituiertenschutzgesetzes in der Folge in ein Scheitern der Legalisierung umdeuten.

Begünstigt und gefördert wird diese Sichtweise durch die mittlerweile sechsjährige Praxis des Statistischen Bundesamts, die die tatsächliche Zahl der im Zuge der Zwangsregistrierung staatlich erfassten Sexarbeiterinnen regelmäßig unterschlägt.

Damit spielt sie denjenigen in die Hände, die andauernd vom „Dunkelfeld“ der Prostitution fantasieren in der Absicht, Sexarbeit auf diese Weise maximal zu diskreditieren.

Doña Carmen e.V. fordert von der Bundesregierung die sofortige Einstellung der vorliegenden Form der bundesdeutschen Prostitutionsstatistik, sollte die Wiesbadener Bundesbehörde an ihrem unverantwortlichen Kurs einer systematischen Verharmlosung des tatsächlichen Umfangs der Prostitutionsüberwachung und des ganz erheblichen Überwachungspotenzials des Prostituiertenschutzgesetzes weiterhin festhalten.

Pressemitteilung 15.5.2023