„Persilscheinlogik“

Benjamin Ortmeyer hat auf die Ankündigung, auf der Mitgliederversammlung des Studienkreises Deutscher Widerstand am 9.3.2024 einen Antrag zu stellen "Der Studienkreis soll die Ausstellung 'Frankfurter Polizei im NS' zurückziehen" ein Schreiben des Vorstandes erhalten. Hier seine Antwort:

Antwort Benjamin Ortmeyer auf die Apologie des Vorstandes des Studienkreises zur Kritik an „Frankfurter Polizei im NS“

Vorbemerkung

Der provisorische Vorstand des Studienkreises macht es sich leicht. Statt Punkt für Punkt auf die Kritik an der Polizeiausstellung einzugehen, waschen sich einige federführende Herren des Vorstandes offensichtlich die „Hände in Unschuld“ und verweisen auf die „Kurator:innen der Ausstellung“, die eine vierseitige „Einschätzung zu der Kritik“ formulieren., wie es im Begleittext heißt.

Quellen

In Wirklichkeit werden einige Quellen als Belege für die Berechtigung der Ehrung der Frankfurter Polizisten in der Ausstellung benannt. Auf die Kritik im Einzelnen wird nicht wirklich Punkt für Punkt eingegangen – was kein Wunder ist, da die Kritik eben insgesamt offensichtlich nicht widerlegt werden kann.

Es stellt sich bei der Durchsicht der nun herbeigezogenen Quellen heraus: Alles aus der Persilschein-Ära. Alles überwiegend eigene Leute, Verwandte, Freundeskreis. ...

Fazit 1: Persilschein-Logik

Es handelt sich in allen Fällen um Dokumente, die 1946/1947 in der Zeit der Persilscheinflut entstanden sind und aus dem Jahr 1958, als die Entnazifizierung weitgehend abgeschlossen war, so dass die Wiedereinsetzung und Rehabilitierung der Belasteten auch als „Renazifizierung“ in der historischen Forschung bezeichnet wurde. Eugen Kogon schrieb dazu rückblickend: „Seitdem uns die demokratische Sonne bescheint, werden wir immer brauner.“

Es ist in der historischen Forschung und in der historischen Bildungsforschung durch eine ganze Reihe von Studien längst bewiesen, dass im Kern diese Selbsteinschätzung eigenen Freunde, Väter, Kollegen keine validen Quellen sind. Eine wertende Einschätzung auf solche Quellen zu gründen, ist ein grober Kategorienfehler.

Fazit 2: Der Deutschnationale Sektor und ihr angeblicher „Widerstand“

Im Hintergrund steht ja eine grundfalsche Einschätzung des 20. Juli 1944, die mit einer grundfalschen Einschätzung der deutsch-nationalen Reaktionäre insgesamt zusammenhängt. Nachdem Hitler 1933 (mit Hilfe des deutsch-nationalen Reaktionärs Hindenburg) Kanzler geworden war, die NSDAP den Staatsapparat unter Kontrolle bringen musste, war das gigantische Bündnis mit der deutsch-nationalen „Fraktion“ im Staatsapparat zentral. Hindenburg hat es zunächst öffentlichkeitswirksam ausgesprochen, im Staatsapparat, Militär, Polizei, Finanzämter, sämtliche Ministerien usw., in der Exekutive, aber auch im juristischen Bereich wurde es durchgeführt.

Ohne dieses Bündnis, das weitgehend bis 1944 existierte, hätte der gesamte Apparat des Nazi-Staates einfach nicht funktioniert. Die Nazis konnten ihre Ankündigungen eines Sieges über die Sowjetunion nicht halten – das war seit Stalingrad klar. Ein Teil des Bündnisses bröckelte, den Generäle wollen keinen Krieg verlieren. Der Pusch der Generäle mit Unterstützung von deutsch-nationalen Reaktionären auch aus dem alten Staatsapparat der Weimarer Republik (Reichswehrminister Noske!) hatte das erklärte Ziel, einen separaten Frieden im Westen zu schaffen, um die Ostfront halten zu können.

Der Krieg war verloren, dass konnte jeder sehen. Und da kamen die Karrieristen aus ihrer „inneren Emigration“ und bereiteten vor, dass sie mit den West-Alliierten nach der Niederlage Deutschland eng zusammenarbeiten werden, um erneut ihre Karriere fortsetzten zu können. Fleißig wurden schon „Persilscheine“ gesammelt, hie und da „geholfen“, um sich nach der Niederlage bei den Alliierten damit brüsten zu können.

Das verstärkte sich nach dem gescheiterten Putsch, der im Übrigen – das sagt einiges aus – bei Erfolg verkündet hätte, dass so wie beim angeblichen „Röhm-Putsch“ die SA Hitler ermorden wollte, nun die SS Hitler ermordet hätten und die Generäle der Wehrmacht im Geiste Hitlers die Wehrmacht und das deutsche Volk aus der Krise führen würden. In einem zweiten Schritt standen dann sogenannte „Zivil-Szene“ mit deutsch-nationalen Reaktionären, also „Würdenträgern“ aus der Weimarer Republik wie Noske, der Reichswehrminister, der sich selbst als „Bluthund“ gegen die 1918-1919 rebellierende sozialistisch-kommunistische Bewegung bezeichnete. Die Namen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht und die Umstände ihrer Ermordung scheinen den „Kurator:innen“ wohl unbekannt, so wie sie ungeniert Noske ins Spiel bringen.1

Fazit 3: Zur „Was hinten rauskommt“-Logik

Entgegen dem wirklichen Widerstand im bürgerliche n Lager wie die Studierenden der „Weiße Rose“ und dem Widerstand der sozialistisch-kommunistischen Bewegung, wird offensichtlich der Widerstandbegriff aufgebläht nach dem Motto: Das Motiv ist egal, entscheidend ist, was „hinten raus kommt“.

Das ist eine wissenschaftstheoretische grundfalsche positivistische Position, durch die nun reaktionäre Massenmörder wie Noske aus den Reihen der SPD oder deutsch-nationale Generäle, wie der Massenmörder Stülpnager, Befehlshaber in Paris, rehabilitiert werden, weil sie aus innernazistischen deutsch-nationalen Motiven an 1944 gegen den „Verlierer Hitler“ ausgerichtet waren. Das spricht Bände. Nach dieser von Helmut Kohl populär gemachten „Arsch-Logik“ (entscheidend ist, was hinten rauskommt) kann ohne Probleme auch die SA um Röhm 1934 als Widerstandgruppe definiert werden, egal wieviel Morde die SA begangen hat und schließlich auch Heinrich Himmler, der in der Tat, um seinen Kopf zu retten und ein Bündnis mit den Alliierten gegen Hitler zu schmieden, 1944/1945 begonnen hat, effektiv jüdische KZ-Gefangene als Geisel zu verkaufen, die so gerettet werden konnten. Das wäre die Konsequenz, logisch zu Ende gedacht, wenn es nur um die Wirkung geht.

Typisches Verhalten von Machtfritzen

Ganz was Anderes: Die Antwort der Kurator: innen ist so peinlich-hilflos, dass durchaus der berechtigte und begründete Verdacht aufkommen kann, dass einige „Machtfritzen“ im provisorischen Vorstand des Studienkreises sie sozusagen „vorführen“ nach dem Motto: Wir sind unschuldig, es waren die Kurator:Innen!

Es wäre das mindeste gewesen, dass im Vorstand des Studienkreises mit einem gewissen Verantwortungsgefühl deutlich gesagt worden, dass DIESE Antwort mit Quellen und Dokumenten aus der Persilschein-Ära nun wirklich oberpeinlich sind und nichts, aber auch gar nichts beweisen. ...

Nachtrag:
Zur Anordnung der Tagesordnung der Mitgliederversammlung am 9.3.2024 des “Studienkreises Deutscher Widerstand“

Es ist schon ein „Klassiker“ reaktionärer Vereinspolitik und reaktionärer Versammlungstechnik immer nach dem Motto zu verfahren: Erst die Wahlen, dann der Rest. Ist erst mal den Vorstand entlastet und ordentlich der neue Vorstand gewählt, ist alles egal. Diskussion über Anträge --- bitte ganz nach hinten, wenn alle müde sind, genervt von dem ganzen Formalkram und eigentlich vor allen zum Büfett wollen oder nach Hause. Beschlüsse über Anträge - das ist das Allerletzte, eben der Punkt 13 vor dem Schlusswort.!

Die vorgeschlagene Tagesordnung zeigt deutlich, dass inhaltliche Debatten als zweitrangig eingestuft werden, das Formale geht für Bürokraten immer vor. Und es geht ja auch um viel Geld, immerhin um ca. 400 000 €. Da würden doch inhaltliche Fragen wie zu dieser von der Polizei/dem Innenministerium finanzierte und gesponserte Ausstellung, oder auch die Änderung der Ausrichtung des Studienkreise weg von den Gründungsmitgliedern nur stören. Das gehört ganz, ganz nach hinten, wenn alles andere geregelt ist. Oder?

Was eigentlich die KZ-Häftlinge aus Polen in den Adlerwerken mit der Zielsetzung des „Studienkreises Deutscher Widerstand“ zu tun hat, wieso dieses ganze Projekt mit viel Geld ausgerechnet an den Studienkreis ging, - das ist eine Frage, die zudem unklar ist. Wäre das nicht eigentlich ein Bereich der Bildungsarbeit entsprechend der Zielsetzung der „Bildungsstätte Anne Frank“? Aber egal. Inhaltliche Diskussion mit KONSEQUENZEN ist nicht erwünscht, das ist völlig klar. Daher die bewusst gewählte faule Reihenfolge.

Benjamin Ortmeyer 4. März 2024