Internationaler Hurentag 2020: Ausnahmezustand als Normalzustand? – Nicht mit uns!

Öffnet die Bordelle! Weg mit dem Prostituiertenschutzgesetz!

„Prostituierte haben Rechte“, erklärte der frauen- und familienpolitischen Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Marcus Weinberg, jüngst in einer Pressemitteilung, mit der er andeutete: Auch für das Prostitutionsgewerbe würden die seit mehr als 11 Wochen geltenden Tätigkeitsverbote ein Ende finden und würde man wieder zur Normalität zurückkehren. 

Normalität? Rechte?

Herr Weinberg – der gerade als CDU-Spitzenkandidat bei der Hamburger Bürgerschaftswahl ein grandioses Desaster erlebte und jetzt von seiner Partei wieder auf die Prostituierten losgelassen wird – streicht die Fassade und bedient den äußeren, oberflächlichen Schein, der blenden soll. Tatsache ist nämlich: Sexarbeiter/innen haben dank CDU/CSU/SPD lediglich substanziell ausgehöhlte Rechte und dürfen nur als Menschen zweiter Klasse ihrer beruflichen Tätigkeit nachgehen.

Denn Sexarbeiter/innen haben das „Recht“, sich zwangsweise registrieren zu lassen, bevor sie ihrer Tätigkeit nachgehen dürfen. Sie haben das zweifelhafte „Recht“, in regelmäßigen Abständen Zwangsberatungen über sich ergehen zu lassen. Sie haben das famose „Recht“, stets einen Hurenpass mit sich zu führen. Sie haben das „Recht“, sich von Betreibern der Prostitutions-Etablissements kontrollieren und überwachen zu lassen. Sie haben das dem Grundgesetz widersprechende „Recht“, bei Verdacht auf Prostitution jederzeit Polizei und Ordnungskräfte in ihre Wohnung hineinlassen zu müssen. Und sie haben das „Recht“, sich zwecks Überprüfung der Einhaltung unzähliger Regeln und Vorgaben jederzeit und an jedem Ort kontrollieren zu lassen.

Genau mit dieser Art Ausnahmezustand droht uns Herr Weinberg in seiner jüngsten Pressemitteilung, wenn er sich wie folgt zitieren lässt:

„Die Bundesländer sind daher gefordert, die Einhaltung dieser Vorgaben umfassend zu kontrollieren. Das geltende Prostituiertenschutzgesetz muss konsequent und  rigoros umgesetzt werden.“

Und in der Tat: Das Prostituiertenschutzgesetz verstehen Weinberg und andere Kontrollneurotiker als robustes Mandat gegen Prostitution, als Freifahrtschein für eine systematische und fortgesetzte Entrechtung von Sexarbeiter/innen.

Rund 55.000 staatlich registrierte Sexarbeiter/innen (Ende 2019) sind ihnen nicht genug!

Mehr als 180.000 Sexarbeiter-Zwangsberatungen seit Mitte 2017 sind ihnen nicht genug!

Abertausende reguläre Kontrollen der Prostitution direkt vor Ort sind ihnen nicht genug!

Geht es nach Herrn Weinberg und seinen Freunden schliddern Sexarbeiter/innen von dem einen Ausnahmezustand in den nächsten: aus dem Corona-Regime direkt in die Pseudo-Legalität des Prostituiertenschutzgesetzes.

Ganz zu Recht erklärte daher der bekannte amerikanische Wissenschaftler und Aktivist Noam Chomsky aus Anlass der Corona-Krise: „Das eigentliche Problem war und ist die Normalität.“

Dieser ernüchternden, aber realistischen Einsicht wird sich auch die Bewegung für die Rechte von Sexarbeiter/innen stellen müssen.

Selbst der Übergang vom Corona-Regime zum alltäglichen Ausnahmezustand des Prostituiertenschutzgesetzes wird vermutlich kein Spaziergang werden. Jeden Millimeter Legalität wird man der politischen Klasse erneut abtrotzen müssen. Ohne die gegenwärtigen Klagen von Prostitutionsstätten-Betreiber/innen auf Gleichbehandlung nach Art. 3 Grundgesetz vor den Verwaltungsgerichten in Hessen, im Saarland und in Niedersachsen wäre das Prostitutionsgewerbe mit Sicherheit der allerletzte Wirtschaftsbereich, der aus dem Corona-Lockdown entlassen wird. Und bis jetzt ist alles andere als klar, unter welchen „Bedingungen“ Sexarbeiter/innen der Eintritt in den alltäglichen Ausnahmezustand gestattet wird.

Denn parallel zur permanenten Gefährdung der Rechte von Sexarbeiter/innen spielte mal wieder das Begleitorchester abolitionistischer Prostitutionsgegner auf – diesmal in der Besetzung mit 16 Bundestagsabgeordneten. Als „Frauenrechtlerinnen“ kostümiert lauern diese Konservativen wie die Geier darauf, Sexarbeit den Garaus zu machen, um die Gesellschaft mit ihrer schönen neuen Welt von (serieller) Monogamie, lebenslanger ehelicher Treue, sexualpolitischen Umerziehungsprogrammen und permanenter Kontrolle der Sexualität zwangsbeglücken zu können.

Auch wenn Vertreter der herrschenden politischen Klasse den Takt für diese Katzenmusik vorgeben: Sie werden damit keinen Erfolg haben! Denn Sexarbeit ist systemrelevant. Und der nächste Schritt im Kampf um die vollständige Legalisierung und rechtliche Gleichbehandlung von Prostitution mit anderen Berufen steht bevor und lautet:

Öffnet die Bordelle! Weg mit dem Prostituiertenschutzgesetz!

Dona Carmen e.V., 1. Juni 2020