„Handlungsspielräume“ – zur neuen Ausstellung über Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus

Der Vorstand des Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 (im folgenden Studienkreis genannt) dokumentiert hier seine Sichtweise zu seiner Ausstellung „Handlungsspielräume – Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus“. Er rückt einige Irrtümer oder Falschbehauptungen unter anderem der AG Frankfurter Geschichte(n) zurecht.

Die Ausstellung „Handlungsspielräume – Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus“ stellt zehn Biografien von Polizisten und ihr teils widerständiges Handeln in der NS-Zeit in den Kontext der Rolle der Polizei 1933-1945.

Die eine Hälfte der Ausstellungstafeln sind Biografietafeln, die andere Hälfte jeweils Kontexttafeln. In diesen Kontexttafeln wird die Geschichte der Polizei im NS-Staat von der Gleichschaltung über die Beteiligung an den Deportationen und Massenerschießungen im Osten, bis zu den Kontinuitäten im Polizeiapparat nach 1945 nachgezeichnet. Sie verdeutlichen die Verstrickung, auch der teils widerständigen Polizeibeamten, in die Verbrechen des Nationalsozialismus.

Ausgangspunkt für die Erarbeitung der Ausstellung war die Kontaktaufnahme des damaligen Frankfurter Polizeipräsidenten Bereswill nach einer Veranstaltung am 20. Juli 2021 in der Paulskirche. In der Folge informierte er sich mit weiteren Mitarbeitern der Polizeiführung über die Arbeit des Studienkreises und bekundete Interesse an einer Zusammenarbeit.

Polizeianwärter:innen und Führungspersonal machten sich in der Folge im Rahmen von Stadtrundgängen ein Bild über Orte des Widerstands in Frankfurt.

Aus weiteren Gesprächen resultierte eine inhaltliche Arbeit zu Biografien von Polizeibeamten, die sich während der NS-Zeit nicht durchgängig systemkonform verhielten. Zur Realisierung der Ausstellung beteiligte sich der Studienkreis an einer Ausschreibung vom HKE, dem Hessischen Informations- und Kompetenzzentrum gegen Extremismus und erhielt die Zusage für die Durchführung eines Projektes. Die Recherche- und Forschungsarbeit mündete in der besagten Ausstellung „Handlungsspielräume“.

Zielrichtung der Ausstellung ist, dass Polizeibeamt:innen befähigt werden, sich mit der Rolle der Polizei im NS zu beschäftigen und dabei Einblicke in das Verhalten von Polizeibeamt:innen im NS-System erhalten.

Die in der Ausstellung biografisch vorgestellten Polizeibeamten haben in unterschiedlicher Weise Spielräume genutzt, um beispielsweise Verfolgte zu schützen oder auch im Kreis des zivilen Widerstands hinter dem 20. Juli (Leuschner-Kreis) zu wirken. Die meisten waren dabei zugleich weiter im alltäglichen Polizeidienst Teil des Terrorapparats.

Die Stellungnahme der AG Frankfurter Geschichte(n), veröffentlicht auf frankfurter-info.org, enthält zahlreiche Polemiken, Unterstellungen und falsche Behauptungen. Der Vorstand des Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 geht hier nur auf einige, für ihn bedeutsame Punkte ein.

  • Die AG Frankfurter Geschichte(n) wirft dem Studienkreis vor, sich von der Frankfurter Polizeiführung instrumentalisieren zu lassen. Unterstellt wird, dass die Polizeiführung Kontakt mit dem Studienkreis aufgenommen habe, um diesen zu nutzen, ihr zu helfen, von den realen Problemen abzulenken.

Richtig ist vielmehr, dass die Ausstellung in die Arbeit der Polizei Frankfurt integriert wird. Die Ausstellung ist seit dem 20. Juli 2023 in den Räumen des Polizeipräsidiums zu sehen und wird danach in weiteren Dienststellen der Frankfurter Polizei eingesetzt. Für Dienstgruppen und einzelne Polizeibeamt:innen werden Ausstellungsführungen durchgeführt und die Auseinandersetzung mit der Ausstellung wird Teil der Ausbildung von Polizeianwärter:innen.

In der Ausstellung wird gezeigt, dass es auch in einem autoritären Gefolgschaftsstaat möglich war, Handlungsspielräume zu nutzen um sich einem Unrechtsregime zu widersetzen. Damit wird der immer noch wiederholten Ansicht widersprochen, es habe keine Chance gegeben, sich den Verbrechen entgegen zu stellen.

Weiterhin wird in den oben bereits erwähnten Kontexttafeln ausführlich die Rolle der Polizei im Nationalsozialismus dargestellt. Durch Inhalt und Umfang dieser Kontexttafeln, die etwa die Hälfte der Ausstellung ausmachen, wird deutlich, dass die Behauptung der AG Frankfurter Geschichte(n) nicht zutrifft.

Durch die Ausstellung soll die Demokratiebildung in der Polizei unterstützt und ermöglicht werden, die eigene Rolle als Polizeibeamt:innen heute zu reflektieren und Rückschlüsse auf die eigene Haltung und das eigene Handeln zu befördern.

Die Eröffnung der Ausstellung am Gedenktag zum Widerstand des 20. Juli 1944 (Stauffenberg-Attentat) macht in Bezug auf die vorgestellten Biografien Sinn. Der Kriminalbeamte Christian Fries gehörte zum „Leuschnerkreis“, also zum sozialdemokratisch orientierten Teil der Verschwörung gegen Hitler. Er war zugleich bis zum Ende des Deutschen Reiches im polizeilichen Einsatz, bleibt also eine ambivalente Figur. Falls die Eröffnung der Ausstellung als eine Alibiveranstaltung geplant war, hat die Öffentlichkeitsarbeit des Polizeipräsidiums nicht besonders erfolgreich funktioniert.

Wer sich selbst ein Bild von der Ausstellung machen und sich mit der Konzeption der erarbeiteten Inhalte befassen möchte, kann den Ausstellungskatalog gerne beim Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 bestellen. www.widerstand-1933-1945.de

  • Die AG Frankfurter Geschichte(n) behauptet, dass es keine breite Auseinandersetzung in und um die Institution Polizei im NS- Faschismus gegeben hat.

Richtig ist vielmehr, dass die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Polizei im NS schon seit Jahren begonnen hat. Die Ausstellung „Ordnung und Vernichtung – Die Polizei im NS-Staat“ gibt es seit 2012. Sie wurde von der Deutschen Hochschule der Polizei (DHPol) erarbeitet und wird in den Polizei-Hochschulen eingesetzt. Es handelt sich also um einen bereits etablierten Teil der Auseinandersetzung der Institution Polizei mit ihrer eigenen Geschichte. Die neue Ausstellung des Studienkreises ist eine lokalhistorische Ergänzung dieser laufenden und sicher in keiner Weise abgeschlossenen Aufarbeitung.

Einige KZ-Gedenkstätten arbeiten seit Jahren in der politischen Bildung mit Abteilungen der Polizei und der Bundeswehr zusammen. Die Intention ist dabei jeweils, durch die Arbeit mit historischen Beispielen einen Impuls zur Reflexion von heutigem polizeilichem Handeln zu ermöglichen. Das ist keineswegs eine neue Erfindung des Studienkreises oder des Polizeipräsidiums. (Beispiel: https://www.kz-gedenkstaette-neuengamme.de/fileadmin/user_upload/bildung/berufsschulen_berufsgruppen/berufsgruppenorientierte-angebote/Seminar_Polizei_und_Menschenrechte_01.pdf)

  • Die AG Frankfurt Geschichte(n) verbreitet die Behauptung, das HKE (Hessisches Informations- & Kompetenzzentrum gegen Extremismus) sei eine „Art Öffentlichkeitsabteilung des hessischen Verfassungsschutzes“.

Das ist nicht korrekt. Dies sind die Tatsachen: Es handelt sich beim HKE um eine Einrichtung der Landesregierung, um ihre Ressorts und Ministerien zu vernetzen. Im Ergebnis werden unterschiedliche Handlungsfelder und Akteure gegen „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ mit Landesmitteln gefördert. Angesiedelt ist das HKE beim Innenministerium. Der Verfassungsschutz ist Teil der „Lenkungsgruppe“ des HKE. Dort sind außerdem Vertreterinnen und Vertreter der tangierten Ressorts (Inneres, Justiz, Kultus und Soziales) sowie des Hessischen Landeskriminalamtes (HLKA) und der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung vertreten. Gefördert werden Lehrerbildung, Opferberatung, das Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus und einzelne Projekte bei verschiedenen Trägern. Siehe: https://hke.hessen.de/foerderprojekte

Es ist dieser Einrichtung eingeschrieben, dass der Extremismus als Phänomen betrachtet wird, das sowohl auf der politischen Rechten als auch der Linken und beim Salafismus zu bekämpfen sei. Das ist eine problematische Setzung, darüber sind sich die meisten Akteure im Feld der politischen Bildung im Klaren.

Der Vorwurf der AG Frankfurter Geschichte(n), wir würden mit dem Verfassungsschutz zusammenarbeiten, ist eine haltlose Verdrehung der Tatsachen. Wir weisen dies entschieden zurück. Wir pflegen keine Kontakte oder Kooperation mit dem Verfassungsschutz.

Schlussbemerkung

Die Erstellung der Ausstellung „Handlungsspielräume – Frankfurter Polizeibeamte im Nationalsozialismus“ wurde auch vereinsintern kontrovers diskutiert. Wir haben jedoch von der Mehrzahl der Mitglieder und ehrenamtlich Aktiven Zustimmung erfahren. Die Beschäftigung mit der Polizei im NS wird in der oben beschriebenen Vorgehensweise und inhaltlichen Ausrichtung als sinnvolle Wahrnehmung der Aufgaben des Studienkreises gesehen. Dies wurde beispielsweise bei einer mitgliederinternen Videokonferenz zur Vorstellung der Ausstellung deutlich, an der auch Kritiker:innen aus der AG Frankfurter Geschichte(n) dabei waren. Es kann ihnen also nicht entgangen sein, dass es hier eine breit getragene Zustimmung zur Ausstellung gibt.

Der Vorstand des Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 e.V., 22.8.2023

Hintergrund:
https://www.frankfurter-info.org/news/der-studienkreis-deutscher-widerstand-1933-1945-die-frankfurter-polizei-und-der-hessische-verfassungsschutz