Einführung eines Schutzparagraphen völlig inakzeptabel

Am heutigen Mittwoch Vormittag fand im Verwaltungsgericht Frankfurt die von der Öffentlichkeit wahrgenommene Verhandlung zur polizeilichen Räumung des Blauen Blocks vom September 2013 statt. Bei der Räumung des geplanten Stadtteilzentrums in der Krifteler Straße im Gallus hatten sich fünf SEK-Beamte in Zivil auf brutale Weise Zutritt zum Haus verschafft. Polizeigewalt ist und bleibt ein schwerwiegendes Problem, dem sich die Hessische Landesregierung längst und spätestens seit der rabiaten Räumung des Blauen Blocks hätte annehmen müssen. Stattdessen wurde Mitte April im schwarz-grünen Kabinett eine Bundesratsinitiative zur Einführung eines sog. Schutzparagraphen 112 (§ 112 StGB) beschlossen. Dieser Schutzparagraph [sic] zielt darauf ab, Tätlichkeiten gegen Uniformierte mit einem grotesk hohen Strafmaß zu belegen. Der arbeitskreis kritischer jurist_innen (akj) an der Uni Frankfurt hält die Einführung eines Schutzparagraphen [sic] aus vielerlei Gründen für völlig inakzeptabel. Anbei daher eine Pressemitteilung des akj zum geplanten Gesetz.

Pressemitteilung des arbeitskreis kritischer jurist_innen (akj) an der Uni Frankfurt

Die hessische Landesregierung plant das Strafgesetzbuch um einen sogenannten Schutzparagraphen 112 (§112) zu erweitern. Eine entsprechende Bundesratsinitiative hat das schwarz-grüne Kabinett Mitte April in seiner Kabinettssitzung beschlossen.
Gemäß dem neuen Paragraphen sollen „tätliche Angriffe auf Beamte des Polizeidienstes sowie Helfer von Feuerwehr, Katastrophenschutz und Rettungsdienste“ künftig mit einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft werden. In Kontrast zu § 113 StGB (Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte) knüpft der „Schutzparagraph 112“ nicht an eine Vollstreckungshandlung an. Vielmehr wird „ein tätlicher Angriff auf eine Polizeibeamtin oder einen Polizeibeamten in Beziehung auf den Dienst“ vorausgesetzt.
In Zukunft wäre damit nicht mehr maßgeblich, ob ein „tätlicher Angriff“ eine/einen Polizistin/en bei einer bestimmten Handlung behindert, sondern ob „in Bezug auf seinen Dienst“ gehandelt wird. In „besonders schweren Fällen“, etwa dann, wenn die Tat gemeinschaftlich begangen worden ist, reicht das Strafmaß bis zu zehn Jahren Gefängnis.

Hierzu erklärt der arbeitskreis kritischer jurist_innen (akj) an der Universität Frankfurt:

Die Regelungen des Schutzparagraphen [sic] sind in vielerlei Hinsicht verfehlt. Nicht nur liegt der Regelung eine haarsträubende Täter-Opfer Umkehr zugrunde – Gewalt von Seiten der Polizei ist und bleibt ein Problem, dem politisch unzureichend Bedeutung beigemessen wird. Auch geht mit der Regelung eine erhebliche Strafrechtsverschärfung einher, die insbesondere eklatante Folgen für die Ausübung der Versammlungsfreiheit hat:
Durch die Einführung des §112 StGB werden Bürger_innen in Zukunft das Risiko eingehen müssen, sich sehr schnell strafbar zu machen. Dies betrifft vor allem unübersichtliche Situationen, in welchen es schnell zu – wie auch immer entstandenen – Rempeleien zwischen Bürger_innen und Polizei kommt, wie etwa bei Kontrollen von Großveranstaltungen oder in Kneipenvierteln. In dieser Hinsicht erlaubt das Mindeststrafmaß von nicht unter sechs Monaten Freiheitsentzug keinen hinreichenden Spielraum für Bagatelldelikte.
Besondere Gefahr besteht im Rahmen der Ausübung elementarer Rechte des Art. 8 Abs.1 GG für Demonstrant_innen, etwa bezüglich den bei Sitzblockaden (vgl. 1 BvR 388/05) entstehenden Rempeleien, welche nun ebenfalls mit Freiheitsstrafe nicht unter sechs Monaten geahndet werden könnten. In solchen Fällen stehen die Geschehnisse selbstverständlich stets „in Bezug auf den Dienst“ der Polizist_innen (jene Damen und Herren arbeiten ja nicht in Zivil). Ebendiese könnten dann in Ansehung des §112 StGB alle teilnehmenden Demonstrant_innen verhaften. Da auf Demonstrationen meistens als Gruppe gehandelt wird, wäre überdies das Strafmaß außerordentlich hoch.
Diese Ausweitung der Strafbarkeit und die damit einhergehende Erweiterung der polizeilichen Befugnisse ist so als ein weiterer Schritt zur Aushöhlung des Demonstrationsrechts zu begreifen. Dass auf diese Weise der Polizei außerdem in noch gewichtigerem Maße die Definitionshoheit über Geschehnisse auf einer Demonstration übertragen wird, ist angesichts der Demonstrationsfeindlichkeit der hessischen Beamt_innen keineswegs zu begrüßen. Die Ausweitung der Strafbarkeit verfolgt auch keinen erkennbaren kriminologischen Zweck, insbesondere weil eine Strafbarkeitslücke nicht besteht. Fälle, in denen die Arbeit von Sicherheitskräften behindert wird, können über § 113 StGB verhandelt werden. Im Übrigen stehen die Paragraphen zur Körperverletzung zur Verfügung (§§ 223 ff. StGB). Im Rahmen der Strafzumessung haben die Gerichte bereits die Möglichkeit die Schwere der Tat im Einzelfall besonders zu gewichten.
Anders als § 113 StGB, der die hoheitliche Vollstreckung zum Schutzgut hat, würden durch den neuen § 112 StGB die Beamt_innen selbst unter besonderen Schutz gestellt. Damit würde den Körpern von Vollstreckungsbeamt_innen ein besonderer, sakraler Wert zugesprochen, der über dem Integritätsinteresse der Bürgerinnen und Bürger steht. Im Umkehrschluss werden damit die Körper der zivilen Bevölkerung heruntergesetzt. Fraglich ist bereits, wie es zu einer solchen politischen Entscheidung kommen kann. Hier scheint uns die intensive Lobbyarbeit der Polizei und ihrer Gewerkschaften eine Ursache zu liefern. Aufgabe von staatlichen Behörden ist es allerdings nicht, Einfluss auf politische Auseinandersetzungen in der Gesellschaft zu nehmen. Die permanenten Interventionen der Polizei zur Ausweitung des Strafrechts (und damit zur Ausweitung des Aufgabenbereichs der Polizei) müssen endlich ein Ende finden.
Die Auswirkungen dieser interessengeleiteten Lobbyarbeit auf die Qualität des Strafrechts lassen sich am Schutzparagraphen 112 zeigen: Hier soll eine Mindeststrafe von sechs Monaten Gefängnis eingeführt werden, während die normale Körperverletzung ein Antragsdelikt ist, was heißt, dass sie nur bei besonderem Interesse der Geschädigten überhaupt (strafrechtlich) verfolgt wird. Die Mindeststrafe würde in besonders harmlosen Konstellationen fällig, wie etwa, wenn es auf einer Demonstration zu einer Rangelei kommt. Die Grenze zwischen passivem Widerstand und Angriffshandlung ist in solchen Situation ohnehin schwierig. Durch die Strafverschärfung ginge quasi jeder passive Widerstand mit der Gefahr einher, zu mindestens sechs Monaten  Gefängnis verurteilt zu werden.
Die Auswirkungen dieser Neuregelung wären im Alltag spürbar. In ihrer klaren Tendenz verweisen sie auf eine Kriminalisierung der Zivilgesellschaft und eine Selbstprivilegierung des Staates und seiner Akteur_innen.
Dass die schwarz-grüne Landesregierung diesen reaktionären Kurs verfolgt, kann nicht verwundern. Eine zivile Gesellschaft dagegen muss sich gegen  solche Tendenzen verteidigen.