Acht Jahre Scheitern des EU-Türkei-Deals

Konzept des sicheren Drittstaates wird vom Gerichtshof der Europäischen Union überprüft

Am Montag, 18. März, jährt sich die Unterzeichnung des EU-Türkei-Deals 2016 zum achten Mal. Zeitgleich wird die daraus resultierende Praxis Griechenlands, tausende Asylanträge auf Grundlage des Konzepts des "sicheren Drittstaats" willkürlich abzulehnen, vom Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) auf den Prüfstand gestellt. Anlässlich der heutigen EuGH-Anhörung fordern PRO ASYL und Refugee Support Aegean (RSA) ein Ende des menschenrechtswidrigen Abkommens.

Darf in der Europäischen Union ein Nicht-EU-Land als "sicherer Drittstaat" bezeichnet werden, auch wenn dieses die Rücknahme von Asylsuchenden systematisch verweigert? Diese Frage hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in Luxemburg acht Jahre nach Unterzeichnung des EU-Türkei-Deals in der Rechtssache C-134/23 Elliniko Symvoulio gia tous Prosfyges zu klären. Die PRO ASYL-Partnerorganisation Refugee Support Aegean (RSA) und der Griechische Flüchtlingsrat (GRC) hatten einen Antrag auf Annullierung der Einstufung der Türkei als "sicherer Drittstaat" durch Griechenland eingereicht. Der griechische Staatsgerichtshof, das oberste Verwaltungsgericht Griechenlands, hat daraufhin die Frage dem EuGH vorgelegt. Heute fand dazu die Anhörung statt, die wir vor Ort begleitet haben.

"Das Konzept des sicheren Drittstaats steht für die Weigerung der EU, Verantwortung für schutzsuchende Menschen zu übernehmen. Der EU-Türkei Deal hat acht Jahre lang den Abbau des Flüchtlingsschutzes in Griechenland und ganz Europa vorangetrieben. Dass anlässlich dieses traurigen Jahrestages in Deutschland und Europa über eine Neuauflage des Abkommens und die Auslagerung von Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten debattiert wird, ist brandgefährlich", so Karl Kopp, Geschäftsführer von PRO ASYL. "Obwohl das Abkommen nicht wie geplant funktioniert, hat es zu massiven Menschenrechtsverletzungen von Schutzsuchenden geführt. Der EU-Türkei-Deal steht für eine gescheiterte Abschottungspolitik, die sich der Verantwortung für Schutzsuchende im großen Stil entledigen möchte", so Kopp weiter.

Eleni Spathana, Anwältin bei Refugee Support Aegean (RSA), hat die PRO ASYL-Partnerorganisation bei der gestrigen Anhörung vor dem EuGH vertreten. Sie erklärt: "Der EU-Türkei-Deal zeigt, wie weit die Europäische Union von Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit abzuweichen bereit ist. Es ist beschämend, dass sie auch acht Jahre nach dem gescheiterten Abkommen und seinen fatalen Auswirkungen die Normalisierung und Ausweitung einer Politik, die auf Externalisierung von Verantwortung und harten Grenzverfahren setzt, voran. Damit gefährdet die EU Menschenleben und letztendlich die Demokratie selbst. Diese Politik ist weder legal, noch legitim oder nachhaltig für die Europäische Union und Griechenland und muss beendet werden."

Hintergrund: Konzept des "sicheren Drittstaats" und seine Anwendung bei GEAS

Das Konzept des "sicheren Drittstaats" steht im Zentrum des EU-Türkei-Deals von 2016. Es ermöglicht Griechenland, Asylanträge ohne inhaltliche Prüfung der Fluchtgründe im Herkunftsland als "unzulässig" abzulehnen und auf die Türkei zu verweisen. Obwohl die Türkei seit vier Jahren keine Asylsuchenden mehr zurück nimmt, hält Griechenland bis heute an der Einstufung der Türkei als "sicherer Drittstaat" fest – ein Verstoß gegen internationales Recht. Die griechische Anwendung des Konzepts ist eindeutig rechtswidrig, wie ein Gutachten von PRO ASYL und RSA zuletzt zeigte, und hat verheerende Auswirkungen für tausende Geflüchtete: Ohne Lebensperspektive und Zugang zu Schutz und Rechten harren sie zum Teil jahrelang unter widrigsten Bedingungen in griechischen Lagern aus.

Das Konzept der "sicheren Drittstaaten" ist ein Kernstück der jüngst beschlossenen Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) der Europäischen Union. Mit der bevorstehenden Verabschiedung voraussichtlich Mitte April werden Schutzstandards in der Europäischen Union deutlich abgesenkt. Es ist absehbar, dass EU Mitgliedsstaaten durch die Ausweitung des Konzepts "sicherer Drittstaat" die Möglichkeit eröffnet werden soll, sich weitgehend aus dem Flüchtlingsschutz zurückzuziehen, indem sie Nachbarländer oder andere Staaten entlang der Fluchtrouten als "sicher" einstufen.

Während massive Verschärfungen des Asylrechts im Rahmen der GEAS-Reform unmittelbar bevorstehen, wird in rechtspopulistischen Debatten in Deutschland, Großbritannien, Italien sowie anderen europäischen Staaten bereits eine weitere Aushöhlung des Flüchtlingsschutzes gefordert: Unter dem Schlagwort "Auslagerung von Asylverfahren in Nicht-EU-Staaten" werden rechtlich höchst fragwürdige Ideen diskutiert, die weder praktisch noch menschenrechtskonform umsetzbar sind. Stattdessen sollten vorhandene Ressourcen vorausschauend in die Verbesserung von Aufnahme- und Asylsystemen gesteckt sowie sichere Fluchtrouten ausgebaut werden.

Pressemitteilung 14.3.2024