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erstellt von Club Voltaire — zuletzt geändert 2021-06-18T08:46:41+01:00
Polizei, Justiz, Geheimdienste und die Formen des politischen Widerstands. Lesung und Diskussion im Rahmen von "Frankfurt liest ein Buch"
  • Wann 10.07.2021 ab 19:00 Uhr (Europe/Berlin / UTC200)
  • Wo Club Voltaire, Kleine Hochstr. 5
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  • Barbara Englert liest Szenen aus dem Roman "Scheintod" von Eva Demski.
  • Rupert von Plottnitz wird den zeitgeschichtlichen Hintergrund schildern, besonders in Bezug auf die „Gewaltfrage" bei den Protesten einerseits und die gewaltförmige, staatliche Repression auf der anderen Seite – mit den „Linksanwälten" und dem Debattier-Club in der unbequemen Mitte.
  • Eva Demski wird das Milieu in der „Frankfurter Szene" der Sechziger- und Siebzigerjahre lebendig werden lassen, womöglich auch mit biografischen Bezügen aus dem Buch und zur Bedeutung des Clubs Voltaire.

Im Rahmen von "Frankfurt liest ein Buch" plant der Club Voltaire eine spannende Veranstaltung zu dem Roman und ‚ganz nebenbei' auch zur Geschichte des Clubs und vieler Stammgäste.

Worum geht es in Eva Demskis biografischem Roman "Scheintod"? Der zeitgeschichtliche und soziale Hintergrund (erste Hälfte der 1970er Jahre) ist allgegenwärtig, wird aber nicht besonders ausgemalt. Es wird eine Zeit und ein Milieu anschaulich und einfühlsam, oft auch recht beklemmend beschrieben, in dem die erste Generation nach der Befreiung vom Faschismus nach Orientierung sucht. Die Zeit des „alten SDS" der 1960er Jahre mit Schulungen in Faschismusstudien, Revolutionstheorien, Psychoanalyse und historischem Materialismus war vorbei und heftige Abgrenzungsdebatten wurden geführt – gerne auch im Club Voltaire.

Während 'der Kampf zweier Linien' mit viel Hirnschmalz und Wortakrobatik in unzähligen Papieren ausgetragen wurde und oft in Denunziationen endete, gab es im Club heftige Diskussionen, zuweilen auch Beschimpfungen. Dann griff Else, die Wirtin, ein: „Nu reicht's aber!" Und der Abend wurde beim gemeinsamen Schöppchen beendet.

Eva Demski hat in einem Interview (FR, 10.02.21) diese Zeit geschildert: „Die Szene war zwar vielfältig, aber es gab doch viele Orte und Gelegenheiten, wo sich alle trafen, miteinander tranken, rauchten, stritten. Der Club Voltaire war so ein Gemeinschaftsort." Eva Demski war einerseits Teil dieser Szene, andererseits aber auch distanzierte Betrachterin: „Ich stand am Rand der Ereignisse und wunderte mich".

Was damals von außen und von innen als „links" bezeichnet wurde, war ein breites Spektrum unvereinbarer Positionen zwischen maoistischen Partei-Aufbauern, linientreuen Kommunisten, RAF-Akteuren, anarchischen Spontaneisten, undogmatischen und basisdemokratischen Linken in Parteien und Gewerkschaften und auch religiösen Dissidenten und esoterischen Sektierern.

Von den staatlichen Machthabern, großen Teilen der Gesellschaft und den meisten Medien wurden die Unterschiede nicht wahrgenommen. Alles, was ihnen irgendwie ‚links' erschien, wurde unter Druck gesetzt. Das reichte von „Geht doch nach drüben!" (in die DDR) und der Einschüchterung durch Berufsverbote bis zur massenhaften Verdächtigung und Kriminalisierung des vermeintlichen „Sympathisantensumpfs" der RAF.

Dass in diesen sozialen Verwerfungen die „Linksanwälte" eine zentrale Rolle spielten, liegt auf der Hand. Sie mussten die Menschenrechte bei der Behandlung der Gefangenen gegen die Unverhältnismäßigkeit einer politischen Justiz und des Strafvollzugs einfordern, unabhängig von der angeklagten Straftat. Dabei wurden sie bei der Ausübung ihres Mandats immer wieder der Komplizenschaft verdächtigt. Sich dagegen zu wehren wurde erschwert, weil tatsächlich Kollegen in der Illegalität untergetaucht waren.

Rupert von Plottnitz gründete mit drei Kollegen in Frankfurt das erste „Anwaltskollektiv", in dem zeitweise auch Reiner Demski arbeitete. Sie verteidigten die ersten RAF-Häftlinge; das war eine Gratwanderung. Rupert von Plottnitz ist einer der wichtigsten Zeitzeugen aus dieser verworrenen Ära.

Nach der realpolitischen Wende der „Grünen" und deren Regierungsbeteiligung wurde er 1995 für vier Jahre hessischer Justizminister – eine erstaunliche Karriere, die vermutlich den meisten Rechten genauso wenig gefallen hat wie den meisten Linken. Zur Zeit vertritt er die Angehörigen der Opfer des rassistischen Terroranschlages vom 19. Februar 2020 in Hanau.

Die Regisseurin und Schauspielerin Barbara Englert hat die im Roman beschriebene Zeit als Jugendliche erlebt. Eine ihrer Darstellungsformen ist die szenische Lesung, bei der sie die im Text geschilderten Personen und Gegebenheiten lebendig werden lässt. Wer ‚Frankfurt liest ein Buch' 2020 im Club Voltaire erlebt hat, wird ihre Verkörperung des ‚Mädchens Rosemarie' nicht vergessen haben. Diesmal wird sie eine sehr spezielle Person in Eva Demskis Roman „Scheintod" wieder auferstehen lassen.

Immer wird die Frage im Raum stehen, ob es Zusammenhänge und Nachwirkungen aus der „Bleiernen Zeit" auf aktuelle Entwicklungen gibt.

Das Publikum ist eingeladen, mitzudiskutieren und Fragen zu stellen.

Eintritt frei