„Konfliktbearbeitung in Ruanda“

erstellt von Denkbar e.V. — zuletzt geändert 2019-04-27T13:31:28+01:00
Neue Konflikte, neue Lösungswege: Wie umgehen mit gewaltvoller Vergangenheit. Mit Dr. Anna-Maria Brandstetter, Ethnologin, Mainz.
  • Wann 15.05.2019 ab 19:00 Uhr (Europe/Berlin / UTC200)
  • Wo Denkbar, Spohrstraße 46 a
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Jedes Jahr im April gedenkt Ruanda mit einer nationalen Trauerwoche des Völkermords gegen die Tutsi von 1994. Innerhalb von 100 Tagen wurden etwa eine Million Menschen getötet, Hundertausende wurden verletzt, missbraucht, vergewaltigt und gefoltert. Hundertausende wurden zu Waisen und verloren ihre Angehörigen und Freunde. Zehntausende waren Zeugen der Verfolgungen und Massaker, Zehntausend nahmen in der einen oder anderen Weise am Morden teil oder an den Plünderungen im ganzen Land.

Die meisten der Opfer waren Tutsi, aber auch Hutu, die sich der extremistischen Politik und dem Morden widersetzten, wurden verfolgt und getötet. Vor dem Bürgerkrieg und dem Völkermord hatte Ruanda eine Bevölkerung von etwa 7,5 Millionen. Das bedeutet, dass es nicht eine Familie gibt, die nicht von den Ereignissen betroffen ist. Die Folgen dieser unvorstellbaren Gewalt und des unerträglichen Leidens müssen auf allen gesellschaftlichen Ebenen behandelt/ adressiert werden.

Neben gesellschaftspolitischen Maßnahmen richtete die Regierung ein neues Rechtssystem ein: die Gacaca-Gerichte. Es sind Laiengerichte, bei denen ältere Formen der Konfliktschlichtung in neue Formen der Rechtsprechung übertragen wurden. Zwischen 2002 und 2012 mussten sich über eine Million Menschen, die für Verbrechen im Völkermord angeklagt waren, vor diesen Gerichten verantworten.

Zur Einführung in den Abend werde ich zunächst die Hintergründe des Völkermords beschreiben und hier vor allem auf die Geschichte der rassifizierenden Spaltung der ruandischen Gesellschaft in „Hutu“ und „Tutsi“ als zwei vermeintliche „Rassen“, später „Ethnien“ eingehen. Danach werde ich die Gacaca-Gerichte vorstellen. Wie sah eine solche Verhandlung aus? Wer waren die Richter*innen? Was waren die Herausforderungen für die Gemeinschaften? Welche Diskussionen gab es dazu? Ich möchte dazu auch gerne einen kleinen Filmausschnitt zeigen. Im Anschluss freue ich mich auf das Gespräch mit Ihnen.

Anna-Maria Brandstetter ist promovierte Ethnologin und Mitarbeiterin am Institut für Ethnologie und Afrikastudien an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Seit 1992 ist sie Kuratorin der Ethnografischen Studiensammlung. Ihre Schwerpunkte in Lehre und Forschung sind Erinnerung und Geschichte, materielle Kultur, Geschichte ethnografischer Sammlungen, post/koloniale Verflechtungsgeschichte und Politik. Ihre Forschungsreisen führten sie in den Kongo (Kinshasa), nach Südäthiopien und Ruanda. Sie publizierte u.a. über Erinnern und Geschichte in Ruanda („Violence, Trauma, Memory”, in Entangled: Approaching Contemporary African Artists, 2006; Contested Pasts: The Politics of Remembrance in Post-genocide Rwanda, 2010 und „Lachen und Katastrophe“, in Prisma und Spiegel. Ethnologie zwischen postkolonialer Kritik und Deutung der eigenen Gesellschaft, 2010) sowie zu Sammlungen und Geschichte, u.a. Nicht nur Raubkunst! Sensible Dinge in Museen und wissenschaftlichen Sammlungen

Veranstalter: Denkbar e.V.