Housing x Home x Displacement

erstellt von Institut für Humangeographie — zuletzt geändert 2022-05-17T11:14:47+01:00
Öffentliche Ringvorlesung zum Thema Wohnen und Verdrängung

Unter kapitalistischen Verhältnissen und verstärkt durch die neoliberalen Transformationsprozesse der letzten Jahrzehnte erfolgt die Versorgung mit dem lebenswichtigen Gut Wohnung in der Regel vermittelt über Marktmechanismen und eingebunden in – zunehmend globale – Prozesse der Kapitalzirkulation (Housing).

Gleichzeitig ist Wohnraum als Zuhause ein menschliches Grundbedürfnis, wobei die räumliche Verortung der eigenen Wohnung ebenso einen spezifischen Zugang zu Infrastrukturen und sozialen Netzwerken gewährt und oft von z.T. tiefen emotionalen Bindungen geprägt ist (Home). Der unfreiwillige Verlust des Zuhauses bzw. die Verdrängung aus der angestammten Nachbarschaft etwa im Kontext von Mietsteigerungen und Prozessen der Gentrifizierung wird daher – insbesondere von marginalisierten und einkommensarmen Haushalten – häufig als existentielle Bedrohung erlebt (Displacement).

Um die Komplexität des Wohnens in diesem Spannungsfeld zwischen Verwertung als Immobilie, Grundbedürfnis und sich verschärfendem Verdrängungsdruck greifbar zu machen, widmet sich die Ringvorlesung Humangeographie im Sommersemester 2022 dem Themenkomplex Housing x Home x Displacement. In fünf Vorlesungen werden aktuelle Forschungsprojekte zur Diskussion gestellt, die danach fragen, wie sich die Prozesse und Widersprüche, welche die Warenförmigkeit des Wohnens gegenwärtig charakterisieren, theoretisch fundiert und empirisch belastbar verstehen und analysieren lassen.

˜˜˜►  4. Mai, 14 Uhr: Matthias Bernt (IRS Erkner)
Rent gap und Commodification Gap.
Eine Integration ökonomischer und politischer Bedingungen für Gentrification
Das von Neil Smith (1979) entwickelte Rent-Gap Theorem stellt einen der einflussreichsten Erklärungsansätze für Gentrification dar. Der Vortrag diskutiert Grenzen dieses Ansatzes und entwickelt mit der „Commodification Gap" ein eigenes Erklärungsmodell, mit dessen Hilfe politische Faktoren besser in die Analyse von Gentrifizierungsprozessen eingebunden werden können. Er stützt sich dabei auf empirische Forschungen in London, Berlin und St. Petersburg.

►  18. Mai, 14 Uhr: Loretta Lees (University of Leicester)
Survivability and (Planetary) Gentrification
The presentation considers what the concept of 'survivability' has to offer the literature on resisting gentrification. It does this from a general, planetary perspective and then zooms in on the case of a displacee from the Aylesbury Estate in London, who has experienced the slow violence of gentrification and displacement, a woman that Lees, a scholar-activist, has worked with and fought with in two public inquiries (against the state-led gentrification of her council estate).

►  25. Mai, 14 Uhr: Miriam Meuth (Universität Zürich)
‚Entmietet' und verdrängt werden.
Perspektiven betroffener Mieter*innen auf ihre Wohnungskündigung im Kontext baulicher Aufwertung und Verdichtung und ihr Umgang damit
Der Vortrag stellt die Ergebnisse einer Grounded Theory Studie (WOHNSOG, Finanzierung durch den Schweizerischen Nationalfonds) zu Perspektiven und Umgangsweisen von Mieter*innen vor, denen im Zuge von baulichen Aufwertungen und Verdichtungen die Wohnung gekündigt wurde. Die Ergebnisse werden im Forschungsstand zu Verdrängung aus Subjektperspektive ('Betroffenenperspektive') verortet und vor dem Hintergrund aktueller Diskurse und Entwicklungen, die solche sogenannten Leerkündigungen in der Schweiz begünstigen, diskutiert.

►  1. Juni, 14 Uhr: Joe Penny (UCL London)
"Revenue Generating Machines"?
London's Local Housing Companies and the Emergence of Local State Rentierism
Since 2010, faced with deep austerity measures, 27 London councils have set up a housing company to acquire, develop, and manage housing. Following 40 years of privatisation, these council-owned companies have been celebrated as a postneoliberal municipal alternative to the hegemony of market-led urban policy. By developing commodified real estate and monetising rising land values, they promise to deliver well-designed housing, generate long-term fiscal rents, and secure local state autonomy. Drawing on in-depth empirical research, this paper develops a situated political economic critique of the limitations, contradictions, and risks of local housing companies in London. Framed as a "critical case", providing insight into the politics of speculative urban provisioning and land value extraction, I argue that local housing companies represent a mode of municipal statecraft – a local state rentierism – that leans into and reproduces a political economy of financialisation and rentierism with potentially long-term implications for collective urban provisioning.

►  22. Juni, 14 Uhr: Lisa Vollmer (Bauhaus-Universität Weimar)
Die Mieter*innenbewegung in der kapitalistischen Stadt vom 19. Jahrhundert bis heute
(mit einem Kommentar aus der Praxis von Conny Petzold, Mieter helfen Mietern Frankfurt e.V.)
Der in der kapitalistischen Produktion von Wohnraum angelegte Widerspruch zwischen Wohnraum als Ware einerseits und Wohnraum als Grundbedürfnis andererseits führt seit dem 19. Jahrhundert immer wieder zu denselben Problemen: zu hohe Wohnkosten für untere, phasenweise auch mittlere Einkommensgruppen und mangelnde Qualität von Wohnraum. Trotz dieser Konstante ändert sich doch die spezifische Organisation der Wohnraumversorgung und mit ihr die mietenpolitischen Proteste, die auf deren Widersprüche reagieren. Mit Hilfe des Regulationsansatzes lassen sich unterschiedlichen Phasen dieser Mieter*innenbewegung ausmachen, die im Vortrag von Lisa Vollmer beschrieben werden. Im anschließenden Kommentar erörtert und reflektiert Conny Petzold (Mieter helfen Mietern e.V. & Mietentscheid Frankfurt) aktuelle Herausforderungen der Frankfurter Mieter*innenbewegung aus Sicht der wohnungspolitischen Praxis.