Durchboxen. Boxen als Überlebenskampf in bedrohlicher Lage

erstellt von Ulrich Meckler — zuletzt geändert 2019-07-23T12:39:23+01:00
Eine Produktion von theaterprozess mit dem boxcamp Gallus im Gallustheater

Boxen als Sport und als Spektakel: für die einen kunstvoller Körpersport und die anderen moderner Gladiatorenkampf, für die einen Beherrschung von Aggression und die anderen atavistischer Ausbruch unzivilisierter Gewalt, faszinierende Melange von Unterwelt und Unterschicht: Das Boxen ist als Kampf Mann gegen Mann schon immer ein Sujet von Literatur, Film und Theater. Als Choreografie zweier miteinander im ernsten Spiel verklammerten und sich lösenden Protagonisten scheint es von allen Sportarten die am meisten theatralische.

Für unser Projekt greifen wir jedoch über diese kulturanthropologische und ästhetische Betrachtung hinaus: uns interessieren die gesellschaftlichen Konflikte und historischen Ereignisse, die im Boxen unserer Zeit auftauchen.

Am Beispiel von 4 Boxkarrieren werden diese Ereignisse dargestellt:

  • die verschiedenen Boxer der zur „Unterhaltung“ von Wachpersonal und privilegierten Häftlingen aufgestellten Boxstaffeln im KZ Auschwitz-Monowitz, die ums Überleben kämpften. Noah Klieger, eigentlich kein Boxer, wird von seinen Kameraden geschützt, die ihm scheinbare Siege ermöglichen. Seine Geschichte steht hier im Zentrum. Um ihn herum andere Boxer aus unterschiedlichen Ländern. Herschl „Hertzko“ Haft, dessen K.O.–Siege ein Todesurteil waren, haben wir aus dramaturgischen Gründen in die Boxstaffel Monowitz versetzt.
  • die Geschichte eines Boxers („Mike“) in einem Gym im Ghetto der Southside von Chicago, der im Boxen eine Alternative zur Gewaltkultur von Drogen und Kriminalität sucht. Geleitet wird das Gym von der Legende Herman „DeeDee“ Armour. Dort lernt Mike strenge Disziplin und die kunstvolle Kontrolle seiner Aggressionen. Später gleitet er wieder in die Strasse ab und wird dort umkommen. Zugleich die Geschichte der Streetgang Black P Stones, die seit den 60er Jahren den Stadtteil Woodlawn beherrscht. Und die Geschichte der strukturellen Gewalt in diesen sich selbst überlassenen und verwahrlosten schwarzen Bezirken.
  • die Geschichte des aus Afghanistan geflüchteten Matullah Ahmadi, geflohen vor dem Krieg und der Bedrohung seiner Familie durch die Taliban, nach einer Odyssee über Persien, die Türkei und den Balkan, durch die aktive und zunehmende gestaltende Teilnahme am boxcamp aufgefangen. Hier hat er schon mehrere Amateurkämpfe bestritten.
  • die Geschichte des deutschen Schwergewichtsboxers Charly Graf, seinen Siegen und seinem Absturz ins kriminelle Milieu, seiner Entwicklung unter dem Einfluss des mit ihm einsitzenden Ex-Terroristen Peter-Jürgen Boock, sein Comeback aus dem Gefängnis heraus, der Gewinn und Verlust des deutschen Meisterschafts-Titels und seine spätere Tätigkeit als Betreuer und Trainer auffälliger Jugendlicher.

Praktische Umsetzung

in Kooperation mit dem Boxcamp des Sportjugendrings Frankfurt im Gallus werden die 4 Schicksale von (zumeist jugendlichen) Boxern als Kämpfe im direkten und übertragenen Sinn dargestellt. Die Boxer und professionelle Boxtrainer werden die geschilderten Boxvorgänge darstellen, aber auch einzelne Dialoge sprechen. Professionelle Schauspieler spiegeln die Berichte, befragen die Darsteller und die berichteten Ereignisse.

Das bocxamp Gallus dient neben anderen Zielen der Prävention von Gewalt im öffentlichen Raum. Boxen mit seinem Regelsystem ermöglich den Jugendlichen die physische, psychische und soziale Kontrolle des gerade in sogenannten Problemvierteln entstandenen Aggressionspotentials. Hier hat das boxcamp hervorragende Erfahrungen gesammelt, zuletzt in der Betreuung traumatisierter junger Flüchtlinge.

Produktionsteam:

theaterprozess: Ilja Kamphues (Spielleiter, Coach und Darsteller), Tanjana Tsouvelis (Darstellerin), Charly Graf (Gast, Darsteller), Ulrich Meckler (Text, Regie, Bühne); Oliver Augst (Komposition); Johnny und Ronnie Howard (soulmatemusic – Rapper aus Mannheim)

boxcamp: C.Celetaria (Boxtrainer) und weitere Sportler aus dem camp..

Aufführungen vom 5. - 8. September 2019 jeweils um 19.30 im Gallustheater, vorher offenes Boxtraining; weitere Aufführungen und ein Gastspiel in Mannheim im Frühjahr 2020