Zwei Jahre rassistischer Anschlag in Hanau

erstellt von Förderverein Roma — zuletzt geändert 2022-02-17T19:14:28+02:00
Förderverein Roma e.V. gedenkt der Opfer, fordert eine konsequente Aufklärung und ein entschiedenes Vorgehen gegen rechtsextremistischen Terror

Am 19. Februar 2022 jährt sich der rassistische, menschenverachtende Anschlag von Hanau zum zweiten Mal. Der Förderverein Roma e.V. gedenkt der Opfer und ruft dazu auf, sich aktiv an den Mahnwachen und Demonstrationen zu beteiligen. Der Anschlag von Hanau ist, so wie die Mordserie des NSU, der Mord an Walter Lübcke und der Anschlag in Halle, das Ergebnis einer jahrzehntelangen politisch bewussten Verharmlosung von Antisemitismus, Antiziganismus, Rassismus und rechtem Terror in der Bundesrepublik Deutschland.

Bei dem Anschlag wurden Mercedes Kierpacz, Kalojan Velkov, Vili-Viorel Păun, Said Neser El Hashemi, Fatih Saracoglu, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtovic, Ferath Ünvar und die Mutter des Täters ermordet.

Auch Angehörige aus der Minderheit der Roma waren Opfer. Mercedes Kierpacz lebte in Hanau mit ihrer dreijährigen Tochter und ihrem 17 Jahre alten Sohn. Als sie für die Kinder Pizza holen wollte, wurde sie erschossen. Mercedes Kierpacz wurde 35 Jahre alt. Kaloyan Velkov kam vor zwei Jahren aus Bulgarien nach Hanau. Er war Vater eines siebenjährigen Sohnes und unterstützte mit seiner Arbeit die Familie in Bulgarien. In der Bar, in der er gelegentlich aushalf, wurde er ermordet. Kaloyan Velkov wurde 33 Jahre alt. Vili-Viorel Păun kam im Alter von 16 Jahren aus Rumänien nach Deutschland. Er arbeitete bei einer Kurierfirma. Inzwischen gilt es als erwiesen, dass er den Täter aufhalten wollte. Vili-Viorel Păun verfolgte den Täter und versuchte währenddessen erfolglos, die Polizei zu alarmieren. Am zweiten Tatort in Hanau-Kesselstadt wurde er vom Täter erschossen. Er war 22 Jahre alt.

Der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags offenbart Lücken im Tathergang und wirft Fragen hinsichtlich der demütigenden Vorgehensweise der Polizei gegenüber den Angehörigen sowie dem Umstand, warum der Notruf nicht entgegengenommen wurde, auf. Ein fehlendes Verständnis gegenüber den Opfern offenbarte sich am Morgen nach der Tat, als die Polizei sich beim Förderverein Roma meldete, weil sie Unruhen aufgrund angereister Familienmitglieder befürchtete.

Der Förderverein Roma fordert, die Hintergründe des Anschlags konsequent zu ermitteln und der Öffentlichkeit darzulegen. Die Angehörigen der Opfer haben das Recht auf eine lückenlose Aufklärung des Tathergangs, auf angemessene Unterstützung und einen konsequenten Schutz vor rechtsextremer Gewalt.

Ffm. den 17.2.2022

Der Förderverein Roma weist auch auf die nachstehende Pressemitteilung des Verbandes deutscher Sinti und Roma, Landesverband Hessen und dessen Vorsitzenden Adam Strauß hin:

Gesellschaftliche Vorurteile haben tödliche Auswirkungen

Am 19. Februar 2020 erschoss ein Täter neun Menschen aus rassistischen Motiven und schließlich seine Mutter und sich selbst. An diesem Tag verloren Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov ihr Leben, weil sie nicht in sein Weltbild passten.

Das rassistische Weltbild des Täters ist nicht allein erklärbar mit einer Radikalisierung in geschlossenen digitalen Gruppen. Vielmehr wurden in den letzten Jahren antiziganistische, rassistische und antisemitische Positionen immer salonfähiger. Die Anschlagsorte sind hierbei ein Beispiel. In den Monaten bevor der Täter eine Shisha-Bar und eine Sportsbar als Anschlagsorte aussuchte, wurde bundesweit Stimmung gemacht gegen Shisha-Bars und migrantisch geprägte Orte als vermeintliche Orte von Kriminalität. In der Arena-Bar war darüber hinaus der Notausgang abgeschlossen. Überlebende berichten, dass dies bereits seit circa einem Jahr der Fall und auch offiziell bekannt gewesen sei. Der verschlossene Notausgang hätte in der Vergangenheit polizeiliche Razzien erleichtert.

„Kriminalität wird hier zu einer Eigenschaft von Minderheiten gemacht. Kriminell, das sind in der Vorstellung immer ‚die Anderen'. Dabei ist egal, ob diese bereits seit Jahrhunderten in Deutschland leben oder nicht.", so Adam Strauß, Vorsitzender des Hessischen Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma. „Clan-Kriminalität, Bettel-Mafia und jüdische Verschwörung sind kriminalisierende Bilder von Minderheiten, die auch heute noch in der breiten Bevölkerung verankert sind und verheerende Auswirkungen haben."

Wie stark und welche Bilder verbreitet werden, hängt von der gesellschaftlichen Situation ab. Während Corona sind insbesondere Verschwörungstheorien, die die Verantwortung für die Pandemie einer vermeintlich elitären Gruppe geben, besonders verbreitet und werden jede Woche auf der Straße oder in Nachrichtendiensten verbreitet. Aber auch andere Bilder bleiben aktuell:

„Ende letzten Jahres, im Dezember 2021, veröffentlichte der Hessische Rundfunk eine Fernsehreportage zu der Frage ‚Gibt es eine Bettelmafia?'. Obwohl auch in dieser betont wurde, dass es keine Statistiken oder konkreten Hinweise im Rahmen polizeilicher Ermittlungen dazu gibt, wurde immer wieder das Bild einer kriminellen Gruppe bedient, die bettelt, obwohl sie nicht bedürftig ist und selbstverständlich nicht aus Deutschland, sondern Osteuropa kommt.", betont Adam Strauß. „Hierbei wird das alte Bild bedient, dass unsere Menschen angeblich unehrlich und auf Kosten der Gesellschaft leben würden. Ein Bild, das schlimme Folgen hat: so stimmten 2020 in der sogenannten Leipziger Autoritarismus Studie 35% der Befragten der Aussage zu, dass Sinti und Roma aus Innenstädten verbannt werden sollten und vergessen dabei, dass wir normale Bürger dieses Landes sind und in eben diesen Innenstädten wohnen, arbeiten und zur Schule gehen."

Aber selbst im Umgang der Polizei nach dem Anschlag zeigte sich der enorme Einfluss dieses Bildes. So wurden Überlebende und Hinterbliebene von der Polizei als potentielle „Gefährder" angesprochen, dass sie sich nicht am Vater des Täters rächen sollten. „Das ist absurd und ein Skandal! Hier wurde Menschen, ohne Anlass Kriminalität und Aggressivität zugeschrieben, die weiter in direkter Nähe des Vaters wohnen mussten und sich selbst bedroht fühlten.", empört sich Strauß.

„Dass ein Anschlag wie in Hanau sich in Zukunft nicht wiederholt, ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Sie bedeutet auch, dass wir sensibler werden müssen für gesellschaftlichen Rassismus, Antiziganismus und Antisemitismus und uns ihm konsequent entgegenstellen."

Am 19. Februar 2022 wird in vielen deutschen und hessischen Städten der Ermordeten gedacht.
Auch am Darmstädter Karolinenplatz werden um 19.00 die Portraits der Ermordeten im Rahmen einer Mahnwache gezeigt. Der Landesverband beteiligt sich an dieser in Form eines Redebeitrages und lädt alle Darmstädter*innen und Interessierten zu diesem gemeinsamen Gedenken ein.

„Ein gesellschaftliches Gedenken ist wichtig, damit wir die Menschen dahinter nicht vergessen, ebenso wie die Aufgabe und Verantwortung, die sich der Gesellschaft dadurch stellt.", so Adam Strauß abschließend.

Darmstadt, den 14.2.2022