Zum Prozess der Formierung der extremen Rechten in Europa

erstellt von FIR — zuletzt geändert 2021-11-15T09:30:54+01:00
Mit Aufmerksamkeit und Sorge verfolgt die FIR die Intensivierung der Zusammenarbeit extrem rechter und rechtspopulistischer Parteien im Europäischen Parlament.

Seit Frühjahr 2021 fanden auf Initiative von Ungarns Regierungschef Viktor Orban, der gleichzeitig Parteivorsitzender von FIDESZ ist, verschiedene Treffen dieser Parteien bzw. ihren Repräsentanten statt. Nachdem FIDESZ im März 2021 die Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europäischen Parlament verlassen hat, sucht sie neue Bündnisse innerhalb und außerhalb des Parlaments.

Das erste Treffen fand in Budapest mit Matteo Salvini von der italienischen Lega und dem polnischen Regierungschef Mateusz Morawiecki von der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) statt. Auch Marine Le Pen vom französischen Rassemblement National (RN) wurde kontaktiert, wobei die sich mehr um den Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich kümmerte und internationale Kontakte zurückstellte. In diese Lücke sprangen kurzfristig der extrem rechte französische Kandidat Éric Zemmour und die spanische Rechtspartei Vox.

Als Ergebnis dieser Kontakte veröffentlichten Anfang Juli Parteien aus 16 EU-Ländern eine gemeinsame Erklärung für eine extrem rechte Orientierung in Europa. Zu den Unterzeichnern zählen neben Viktor Orban der Vorsitzende der polnischen PIS Jaroslaw Kaczynski, Italiens Lega-Chef Matteo Salvini, die französische RN-Präsidentin Marine Le Pen, Spaniens Vox-Vorsitzender Santiago Abascal Conde und die Fratelli d'Italia-Chefin Giorgia Meloni. Weitere Unterstützer waren die FPÖ (Österreich), JA21 (Niederlande), EL (Griechenland), PNT-CD (Rumänien), LLRA (Litauen), VMRO (Bulgarien), Vlaams Belang (Belgien), Dansk Folkeparti (Dänemark), EKRE (Estland) und PS (Finnland), alles Parteien, die für ihren extremen Nationalismus und Rassismus bekannt sind. In dieser Liste fehlt eigentlich nur die deutsche AfD, die sich mit ihrer Forderung im Bundestagswahlprogramm nach einem EU-Austritt selbst in dieser Runde isoliert hat.

Angeblich solle die Zusammenarbeit der europäischen Nationen auf Tradition, dem Respekt vor der Kultur und der Geschichte der europäischen Staaten, dem Respekt vor dem jüdisch-christlichen Erbe Europas und den gemeinsamen Werten, die diese Nationen vereinen, beruhen – und nicht auf deren Zerstörung, heißt es vollmundig und in blumiger Sprache in diesem Papier. Gemeint sind de facto Nationalismus, rechtskonservative Vorstellungen von Familie, die Diskriminierung von Menschen mit anderer sexueller Orientierung und insbesondere die Ablehnung jeglicher Hilfe für Flüchtlinge in Europa. Erfreulicherweise gestaltet sich diese Zusammenarbeit jedoch etwas schwieriger. Von einer geplanten Konferenz im September in Warschau hat man bislang nichts gehört.

Gleichzeitig erleben wir in den vergangenen Wochen eine deutliche Zunahme extrem rechter Gewalt im außerparlamentarischen Spektrum. Vor dem Hintergrund von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen um Corona-Maßnahmen organisierten Schlägerbanden der spanischen Vox Auseinandersetzungen auf den Straßen gegen die Politik der sozialdemokratischen spanischen Regierung. In Griechenland verstärkt die als kriminelle Organisation verurteilte „Goldenen Morgenröte" ihren Straßenterror, beispielsweise bei Aktionen in Athen gegen Flüchtlinge und Linke. Und der Sturm auf die nationale Zentrale des italienischen Gewerkschaftsbunds CGIL durch die Faschisten von Forza Nuova – ebenfalls organisiert im Zusammenhang mit einer Demonstration gegen Corona-Maßnahmen – zeigt, dass diese Gewaltstrategie der Neofaschisten tatsächlich eine europäische Dimension besitzt.

Die FIR und ihre Mitgliedsorganisationen sind in Sorge über diesen Prozess der Formierung und gewalttätigen Radikalisierung der extremen Rechten in Europa. Hiergegen ist in allen europäischen Ländern vielfältiger gesellschaftlicher Widerstand nötig, wie ihn z.B. die 200.000 Antifaschisten vor wenigen Wochen in Rom gezeigt haben. Nur mit einer solchen politischen Breite des Widerstands können wir sicher sein: „No pasaran – sie werden nicht durchkommen!"

Newsletter 2021-45 dt, November 2021