Wird der BDS-Beschluss in Frankfurt auf kaltem Wege außer Vollzug gesetzt - weil die Rechtsgrundlage fehlt?

erstellt von Helmut Suttor — zuletzt geändert 2020-12-02T20:18:24+02:00
wie bei der Veranstaltung zum BDS-Bundestagsbeschluss in den Räumen der Saalbau GMBH am 5.12.2020 + BDS-Befürworter in städtischen Räumen auf dem Ökumenischen Kirchentag im Mai 2021

Gegen die Antisemitismusbeschlüsse mit BDS-Fokussierung gab es bisher eine Reihe von Prozessen, die, i.d.R. ausgehend von Raumverboten, kommunale Beschlüsse zum Gegenstand hatten. Ausnahmslos alle Verfahren bescheinigen den BDS-Beschlüssen Grundrechtswidrigkeit. Sie verstoßen danach insbesondere dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit (Art. 5 GG). Am ausführlichsten wurde dies jüngst vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in einem Urteil zu einem Raumverbots-Verfahren in München begründet. Die FDP-Fraktion in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung nahm dies zum Anlass, vom Magistrat erneut zu fordern, die Rechtmäßigkeit des BDS-Beschluss vom September 2017 darzulegen. Diese an den zuständigen Dezernenten Becker gerichtete Aufforderung, war zunächst Bestandteil des BDS-Beschluss selbst. Sie wurde in einer Anfrage der FDP vom 2.12.2019 wiederholt. Seit drei Jahren verweigert Uwe Becker eine substantielle Antwort. Er verantwortet eine Verwaltungspraxis, deren Rechtmäßigkeit er offensichtlich nicht begründen kann.

Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof im Münchner Verfahren eine Revision beim Bundesverwaltungsgericht zugelassen. Der Münchner Oberbürgermeister Reiter kündigte an davon Gebrauch machen zu wollen. Erfahrungsgemäß wird innerhalb von ca. 2 Jahren ein Urteil des höchsten deutschen Verwaltungsgerichts vorliegen. Auch wenn das nicht die letzte Instanz ist, dürften dann die BDS-Beschlüsse auf Bundesebene de facto ohne legale Basis dastehen. Zur Meinungsfreiheit gibt es eine seit den 50er Jahren gefestigte Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts.

Vor diesem Hintergrund zeichnet sich in Frankfurt scheinbar die Tendenz ab, den BDS-Beschluss auf kaltem Weg außer Vollzug zu setzen, bzw. ihn selektiv je nach politischer Opportunität zu handhaben, in dem man fallweise nichts gegen Veranstaltungen unternimmt, die nach den bisherigen Interpretationen von Bürgermeister Uwe Becker von einer Nutzung städtischer Räume auszuschließen waren. Zur Erinnerung: Eine Veranstaltung in Frankfurt zum Thema "Meinungsfreiheit statt Zensur" am 15.10.2019 hat Herr Becker als "Sympathisanten-Treffen antisemitsicher Israelhasser" bezeichnet und deren "umgehende Absage" gefordert.

Hier hat sich offensichtlich etwas geändert.

Ein Jahr später kann eine Veranstaltung zu einem ähnlichen Thema stattfinden. Der Unterschied ist allerdings: Diese Veranstaltung findet in städtischen Räumlichkeiten statt (Saalbau Südbahnhof). Zu den Teilnehmern gehören nicht nur Unterstützer von BDS, sondern auch Mitglieder dieser Kampagne.

Das Thema lautet: Meinungsfreiheit für Menschenrechtsarbeit statt Zensur – Die Klage der Bundestag 3 für Palästina (BT3P) gegen den Anti-BDS Beschluss des Deutschen Bundestags

Die Klage richtet sich direkt gegen den Bundestagsbeschluss vom 17.5.2019 („BDS-Bewegung entschlossen entgegentreten – Antisemitismus bekämpfen“) und nicht, wie die anderen Klagen i.d.R., gegen kommunale BDS-Beschlüsse. Kläger sind Judith Bernstein (Jüdisch Palästinensische Dialoggruppe München), Christoph Glanz (BDS-Gruppe Oldenburg), Amir Ali (Initiative "Palästina Spricht").

Das ungleich stärkere Indiz für eine Veränderung im Umgang mit der BDS-Resolution wird man im Verhalten der Stadt angesichts des in Frankfurt geplanten Ökumenischen Kirchentag vom 12. bis 16. Mai 2021 sehen können. Schon bei nicht-ökumenischen, deutschen Kirchentagen war Teilnahme BDS-unterstützender Schwesterkirchen aus v.a. aus USA und England üblich. Auf einem Ökumenischen Kirchentag wird die Anzahl solcher Kirchen sehr viel höher sein. Für das kirchliche Großereignis im nächsten Jahr wurden alle frankfurter städtischen Räume an die Kirchentagsleitung vermietet. Offenbar gibt es keine Auflagen der Stadt Frankfurt, BDS-Unterstützer und -Mitglieder von der Durchführung oder Teilnahme an Veranstaltungen aus zu schließen, wie das eigentlich zu geschehen hätte, würde man i.S. der einschlägigen öffentlichen Bekundungen Beckers verfahren. In Evangelikalen Medien wird dies bitter beklagt. Bei der Bekämpfung des Antisemitismus ist Herr Becker, als Dezernent auch zuständig für Kirchen, kein Martin Luther: Er kann auch anders, wenn politische Opportunitäten dies erfordern.

Die Gründe sind klar: Eine konsequente Umsetzung des Frankfurter BDS-Beschluss und die Durchführung eines Ökumenischen Kirchentags schließen sich aus. Die Evangelische Kirche Deutschlands würde sich international unsterblich lächerlich gemacht haben, hätte sie auch nur ansatzweise versucht i.S. der BDS-Beschlüsse ihre Einladungen zu differenzieren. Es wären nicht nur die Kirchen weggeblieben, die BDS unterstützen, sondern auch viele jener, die mit einem Ausschluss von befreundeten BDS-Unterstützern nicht einverstanden wären.

Wenn der Frankfurter BDS-Beschluss für ein öffentliches und mediales Großereignis de facto außer Kraft gesetzt wird, weil man ihn politisch nicht durchsetzen kann oder will, stellt sich die Frage nach seinem Sinn und Zweck. Diese Frage stellt sich auch angesichts des Fehlens einer hinreichenden Rechtsgrundlage. Eine Bekämpfung des Antisemitismus im Widerspruch zum Grundgesetz ist nicht nur problematisch, weil Gesetze verletzt werden. Politisch resultiert daraus eine andere Konsequenz: So besteht keine Chance für die Bekämpfung des Antisemitismus eine Unterstützung der Bevölkerungsmehrheit zu gewinnen. Die Respektierung der geltenden Rechtsordnung sollte deswegen der Minimalkonsens aller Demokraten sein, denen es darum geht dieses Ressentiment klein zu halten.

Es wird sich zeigen, ob die Frankfurter Politik die Einsicht und Kraft hat, die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen oder ob ihr die Entscheidung darüber von deutschen Gerichten aus der Hand genommen wird.

Gruppe Frankfurter Bürgerinnen und Bürger, die sich für eine Bekämpfung des Antisemitismus auf gesicherter Rechtsgrundlage einsetzen, Presseerklärung, 1. Dezember 2020
Verantwortlich i.S. des Presserechts: Helmut Suttor, Frankfurt