Vorzeigeprojekt Platensiedlung? – die Kehrseite der Nachverdichtung

erstellt von Mieter helfen Mietern Frankfurt e.V. — zuletzt geändert 2021-11-17T16:20:02+02:00
Die wiederholte Präsentation der Platensiedlung als Vorzeigebauprojekt der ABG Frankfurt Holding im Zusammenhang mit der Vorstellung des Geschäftsberichts 2020 hat uns zu dieser Pressemitteilung veranlasst, die die Kehrseiten der Baumaßnahme in der Siedlung aus der Perspektive betroffener Mieter*innen schildert.

Bei der Vorstellung des Jahresabschluss 2020 der ABG äußerte die kommunale Wohnungsbaugesellschaft ihre Zufriedenheit darüber, dass die Aufstockung und Modernisierung der Platensiedlung in Frankfurt Ginnheim „ohne größere Einschränkungen planmäßig ausgeführt" [1]

Was in der Vorstellung des Geschäftsberichts in Bezug auf das Vorzeigebauprojekt der ABG Holding unerwähnt blieb, ist

  • die massive Verzögerung der dortigen Bauarbeiten, die bereits 2020 abgeschlossen sein sollten,
  • die enormen Einschränkungen der Wohnqualität, die insbesondere die Altmieter*innen vor Ort seit Jahren durch Lärm, Dreck, abgebaute Balkone, die Baustellensituation vor Ort, bis hin zu Rissen in den eigenen Wohnwänden hinnehmen müssen sowie
  • das Zurückweisen eines berechtigten Mietminderungsanspruchs durch die ABG Holding.

Mit der Modernisierung und Nachverdichtung der 50er Jahre Siedlung in Ginnheim hat sich die Frankfurter Kommunalpolitik und die Eigentümerin der Platensiedlung, die stadteigene Wohnungsbaugesellschaft ABG Holding ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Insgesamt 19 Häuserzeilen sollen binnen drei Jahren modernisiert, jeweils um zwei Stockwerke aufgestockt und durch Neubauten um 680 Wohnungen erweitert werden. Die Siedlung wächst damit um mehr als das Doppelte an. Entsprechend feiert Frankfurts Stadtplanungsdezernent Mike Josef (SPD) das Projekt als „größte Nachverdichtung der Republik".

 Was die Mieter*innen aktuell erleben: Eine nicht enden wollende Baustelle

Die Platensiedlung zeichnete sich durch eine dreistöckige Zeilenbauweise der 348 ursprünglichen Wohnungen aus, die durch großzügige Grünflächen verbunden waren. Seit dem Baustart in 2017 ist die Siedlung nicht mehr wiederzuerkennen. Die um zwei Stockwerke aufgestockten Häuserzeilen geben der Siedlung einen anderen Charakter. Die größte Belastung für die Bestandsmieter*innen stellt die nicht enden wollende Baustellensituation dar – auch über vier Jahre nach Baustart ist ein Abschluss der Arbeiten nicht in Sicht. In mehreren einst begrünten Innenhöfen klaffen immer noch riesige Baugruben für die neuen Tiefgaragen. Begrünungen fehlen dort und mit dem Bau einiger der geplanten verbindenden Brückenhäuser und Torbauten ist noch nicht einmal begonnen worden. Diese enorme Verzögerung des Baufortschritts blieb bisher seitens der ABG unkommentiert, die über ihre Webseite folgende Information verbreitet: „Baubeginn ist im Jahr 2017 und die Baustelle soll [...] in drei Jahren abgeschlossen sein." [2]

Die Kehrseite der Nachverdichtung: Belastungen für die Bestandsmieter*innen

Der Erfolg einer derartigen Nachverdichtungsmaßnahme misst sich nicht allein am Zuwachs an Wohnungen, sondern nicht zuletzt am Wohnalltag jener Siedlungsbewohner/innen, die den Umbau seit Jahren ertragen müssen. ABG-Chef Frank Junker proklamiert: „Für die Mieter in der Platensiedlung ändert sich gar nichts, außer dass sie, wenn die Baumaßnahme abgeschlossen ist, in einer deutlich schöneren Siedlung leben werden als bisher." [3] Aber diese Schönfärberei kann nicht über die Tatsachen des Wohnalltags in der Siedlung seit Baustart hinwegtäuschen:

Für die Aufstockung einer Häuserzeile veranschlagt die ABG Holding lediglich zweieinhalb Monate und vermittelt damit Tempo. Werden jedoch vorbereitende Maßnahmen und der Ausbau hinzugerechnet, ergibt sich in jeder einzelnen Häuserzeile bis zu ein Jahr Bauzeit, verbunden mit Lärm, Dreck und ein- und ausgehenden Handwerker/innen. Für die Arbeiten am Dach (Dachrückbau /Aufstockung) wird monatelang ein Fassadengerüst gestellt. Schon im Rahmen von vorbereitenden Maßnahmen für die Aufstockungen der bewohnten Gebäude mussten aus den Dachetagen Schadstoffe mit viel Krach entfernt werden. Im Keller wurden die Arbeiten fortgesetzt mit der Verstärkung der Fundamente, dem Zubauen der Haushintertüren und dem Umbau der Kellerabteile, die vorher zumindest teilweise als Waschküchen genutzt wurden. Container mit den Waschmaschinen waren wochenlang nur über abenteuerliche Holzwegkonstruktionen zu erreichen.

Der Beton für die Verstärkung der Fundamente wurde vor Ort hergestellt und dann in den Boden gepumpt. Das verursachte nicht nur einen Höllenlärm, der die Häuser erzittern ließ, seit diesen Kellerarbeiten bilden sich immer wieder Risse in den Wohngebäuden.

Die Balkone der Erdgeschosswohnungen wurden abgebrochen und die Ausgänge mittels Spanplatten gegen Absturz gesichert. Circa die Hälfte der Wohnungen hat bis heute keinen neuen Balkon erhalten. Fassaden- und Putzarbeiten betrafen das gesamte Gebäude.

Dennoch verkündete ABG-Chef im September 2019 als die Baumaßnahme bereits zwei Jahre lief: „Die Arbeiten in der Platensiedlung zeigen, dass auch so eine Großbaustelle im Einvernehmen mit den Mieterinnen und Mietern realisiert werden kann, wenn die Kommunikation stimmt und alle Betroffenen rechtzeitig ins Boot geholt werden" [4]. Selbst wenn wir aus Beratungen mit unseren Mitgliedern nicht deutliche Zweifel an dieser Darstellung haben, stellt sich die Frage: Welche Verbesserungen ergeben sich überhaupt für die Bestandsmieter/innen, die über Jahre die belastende Baustelle aushalten müssen?

 Die Platensiedlung – irgendwann „deutlich schöner" wohnen?

 Unterm Strich ergeben sich für sie sogar handfeste Nachteile: Dadurch, dass die Freiflächengestaltung und der Bau der Brückenhäuser vielerorts noch nicht einmal beginnen konnte, büßen sie über Jahre hinweg begrünte Erholungsflächen ein. Zudem werden nach Fertigstellung der Gesamtbaumaßnahme in einer nicht abzusehenden Zukunft hunderte Menschen mehr in der Siedlung leben. Nicht alle Mieter/innen teilen angesichts einer Aufstockung der Wohnungszahl auf das Dreifache von ursprünglich 348 um 680 Wohnungen auf über 1000 Wohneinheiten die Einschätzung des ABG-Chefs vom „maßvollen Weiterbau einer Siedlung". Ist es nicht vielmehr so, dass die Mieter/innen der Platensiedlung über den Maßen für Versäumnisse der Wohnungspolitik aus der Vergangenheit büßen müssen?

Zu den jahrelangen Belastungen des Baualltags kommen für die Mieter/innen handfeste Verschlechterungen der Wohnverhältnisse. Das Fenster der ehemals separaten Toilette in einigen Wohnungen wird etwa für einen Anbau zugemauert, in den neue Mieter/innen einziehen werden. Die Erledigung von Schönheitsreparaturen in diesem Zusammenhang erfolgt nur schleppend. Eine vollkommene Blockadehaltung nimmt die ABG zudem in Bezug auf eine rechtmäßige Mietminderung wegen der dauerhaften Verschlechterung der Wohnung durch den Wegfall des Fensters ein. Diese Mietminderung wird nun in einem Fall von einem MhM-Mitglied nun gerichtlich erstritten.

Das Image des Vorzeigeprojekts Platensiedlung bröckelt im Hinblick auf den Umgang mit den Bestandsmieter/innen, die nicht nur die jahrelangen Belastungen der Baustelle schultern, sondern auch langfristig auf die großzügige Freiflächengestaltung in der Platensiedlung verzichten werden müssen.

[1] https://www.abg.de/presse/?Wohnungskonzern-der-Stadt-Frankfurt-legt-erneut-positive-Bilanz-2020-vor&document=5625

[2] https://www.abg.de/projekte/projekte-daten/platensiedlung/

[3] https://www.abg.de/projekte/projekte-daten/platensiedlung/interview_platensiedlung.php

[4] https://www.abg.de/presse/?Wohnungsbauprogramm-der-ABG-l%C3%A4uft-auf-hohen-Touren&document=5073

Pressemitteilung 17.11.2021