Trude Simonsohn 1921 – 2022

erstellt von Initiative 9. November — zuletzt geändert 2022-01-19T18:55:08+02:00
Ehrenbürgerin der Stadt Frankfurt - Die Initiative 9. November erinnert: Die erste Begegnung mit Trude Simonsohn blieb den meisten Menschen für immer im Gedächtnis. Wiederholten sich diese Begegnungen verbunden mit Gesprächen, Vorträgen, Würdigungen in Paulskirche und Universität, wie unsere Gruppe das Glück hatte miterleben zu dürfen, dann festigte sich der Eindruck von einer bedeutenden großen Persönlichkeit von Mal zu Mal mehr.

Gleichzeitig wuchs die gute Erfahrung, dass Trude Simonsohn für das Engagement einer Bürgerinitiative wie der unseren jederzeit ansprechbar war, für Interviews ihre Wohnung zur Verfügung stellte, die inhaltliche Arbeit interessiert und wertschätzend begleitete und in vielfältiger Weise aktiv unterstützte.

Diese positive Haltung hat uns mehr als 30 Jahre bei vielen bürokratischen Hemmnissen, politischen Widerständen und eigenen personellen und finanziellen Schwächen gestärkt, langen Atem und Sicherheit geschenkt. Dafür sind wir unendlich dankbar! Gerne hätten wir diese Verbundenheit und diesen Dank öffentlich noch sichtbarer gemacht.

Wie wir schon in einem Newsletter zu ihrem 100sten Geburtstag ausgeführt hatten, hat Trude Simonsohn uns gern teilhaben lassen an ihrer glücklichen behüteten Kindheit in bürgerlichen Verhältnissen, die ihr eine gute, zweisprachige Bildung und alle denkbaren sportlichen Aktivitäten ermöglichten. Mit dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in ihrer Heimat begannen Terror, Zerstörung und Mord.

Im Konzentrationslager Theresienstadt, wo auch ihre Mutter inhaftiert war und sie selbst sich unermüdlich um die Betreuung der zahlreichen Kinder kümmerte, lernte sie Sonja Okun kennen. All die Jahre sprach Trude Simonsohn mit besonderer Wärme und Hochachtung von ihr, verehrte sie ihr Leben lang. In einer Veranstaltung, getragen von unserem aktiven langjährigen Mitglied, der bekannten Schauspielerin und Autorin Carmen Renate Köper, die die Biografie „Das kurze Leben der Sonja Okun“ geschrieben hat, zeigten wir auch den Film „Warum starb Sonja Okun?“ und jedem/r Zuhörer:in ging unter die Haut, wie liebevoll und wehmütig Trude Simonsohn jene gemeinsame intensive Zeit voller Menschlichkeit inmitten der tagtäglichen Bedrohung und Gewalt schilderte.

Dass sie hier auch ihren zukünftigen Mann kennen lernte und heiratete und nach beider Überleben in Auschwitz aufgrund einer Vereinbarung dort in Theresienstadt wiedertraf, klingt wie ein Wunder und das war es angesichts der barbarischen Verhältnisse auch.

In „Noch ein Glück – Erinnerungen“ zeichnet ihre enge Freundin Elisabeth Abendroth nach ihren Erzählungen gemeinsam mit Trude die weiteren Lebensstationen und -aufgaben auf. Dabei fand das junge Ehepaar in Hamburg in dem Ehepaar Irmgard und Heinz Joachim Heydorn frühzeitig bedeutende Freunde für ihr weiteres, das private und berufliche Leben. Mit dem Umzug nach Frankfurt 1955 wurde das Ehepaar Simonsohn auch in der Jüdischen Gemeinde an vielen Stellen aktiv.

Anfang der 80er Jahre begann Trude Simonsohn in Schulen, Universitäten, sonstigen Bildungseinrichtungen und eben auch in Initiativen von ihrem Leben, ihren sozialen und politischen Erfahrungen, ihren wegweisenden Erkenntnissen zu berichten. Wer sie in einer Schulklasse dabei erleben durfte, vergisst es nie und dankt ihr ein Leben lang für die psychische Anstrengung, die sie über Jahre auf sich nahm, um vielen jüngeren Generationen überhaupt erst die Augen zu öffnen für die Abgründe ihres nationalen Erbes. Diese Wahrheit annehmen zu können, machte sie möglich, indem sie nie Schuldvorwürfe gegenüber den Nachgeborenen – in welcher Hinsicht auch immer – erhob, sondern die lebenslange Verantwortung jedes Einzelnen für diese Geschichte betonte und aktives Handeln bei jedem Unrecht, jeder physischen oder verbalen Attacke einforderte. „Man konnte Nein sagen zu den Nazis“, unterstrich ihre Freundin Irmgard Heydorn dies aus eigenem Erleben im Widerstand, wenn beide zusammen aus unterschiedlichen Perspektiven über diese Jahre berichteten.

Im Sinne dieses pädagogischen Konzeptes und leidenschaftlichen Engagements haben wir unsere Ausstellungen, unsere Arbeit insgesamt entwickelt und über die vielen Jahre weiter aufgebaut. Trude Simonsohn hat es uns leicht gemacht, sie um Rat zu fragen, ihren Überlegungen, Erzählungen und Überzeugungen zu folgen. Sie war und bleibt das wichtigste Vorbild unserer Initiative.

Frankfurt, 11.01.2022   Elisabeth Leuschner-Gafga

aus: Newsletter der Initiative 9. November, Januar 2022