Tote an der EU-Außengrenze zu Griechenland

erstellt von PRO ASYL — zuletzt geändert 2022-02-18T16:58:32+01:00
PRO ASYL fordert eine internationale Untersuchung, umfassende Aufklärung und Opferschutz

19 tote Flüchtlinge im griechisch-türkischen Grenzgebiet Anfang Februar 2022 – und nun ein erschütternder Medienbericht darüber, dass die griechische Küstenwache Schutzsuchende über Bord ins offene Meer wirft. Zwei Männer starben, berichtet der Rechercheverbund aus Spiegel, Guardian und anderen. PRO ASYL fordert sowohl internationale Untersuchungen und umfassende Aufklärung als auch ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland, das die EU-Kommission einleiten muss.

Denn die Situation in Griechenland ist geprägt von systematischen Pushbacks, Toten und einer Krise des Rechtstaates. Der Tod dieser zwei Schutzsuchenden ist leider kein Einzelfall.  Es ist ein Fall in einer Kette von systematischen Pushbacks durch die griechischen Grenzbehörden. Diese menschenverachtenden Praktiken dokumentieren die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL und ihre griechischen Partner*innen seit Jahren. Und sie unterstützen die Klagen der Opfer vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Zum Beispiel, als bereits im Jahr 2014 ein Fischerboot mit 27 Flüchtlingen im Schlepptau der griechischen Küstenwache vor der Insel Farmakonisi sank und elf Menschen starben. Die Klage vor dem EGMR ist noch immer anhängig.

Todesfälle nach illegalen Zurückweisungen häufen sich

"Die Praxis der Zurückdrängung von Schutzsuchenden zu Lande und zu Wasser in Griechenland erfährt seit 2020 eine noch nie dagewesene Eskalation und Brutalität. Diese Politik stellt nicht nur eine Verletzung grundlegender Prinzipien des internationalen Rechts dar, sondern bedroht auch unmittelbar das Leben von Menschen. Todesfälle nach illegalen Zurückweisungen häufen sich", betont Karl Kopp, Leiter der Europa-Abteilung der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL.

Das Bittere: Diese eklatanten Menschenrechtsverletzungen und schweren Straftaten bleiben ungesühnt, die Zeugen und Überlebenden völlig ungeschützt. In Griechenland existiert eine Krise der Rechtsstaatlichkeit. Und: Es herrscht ein Klima der Angst. Die gezielte Einschüchterung durch griechische Sicherheitskräfte von Rechtsanwältinnen, zivilgesellschaftlichen Organisationen, ja  sogar von UNHCR-Personal,  das Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, verschärft die Situation. Immer wieder reagiert Migrationsminister Notis Mitarakis auf Medienberichte über  tote Flüchtlinge mit Vorwürfen gegen die Türkei und die Medien – ohne eigene Untersuchungen einzuleiten.  So auch aktuell auf die Berichte über den Tod der zwei Männer.

EU-Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland nötig


"Und was macht Europa? Nichts. Die Kommission ist regelmäßig tief betroffen bis schockiert – ohne jegliche Konsequenz. Die europäischen Regierungen hüllen sich in Schweigen beziehungsweise goutieren diese menschenverachtenden Praktiken sogar. Die Erosion der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit wird billigend in Kauf genommen", so Kopp weiter.

PRO ASYL fordert internationale Untersuchungen, umfassende Aufklärung und Opferschutz im Fall der beiden Toten, die ins Wasser geworfen worden sein sollen – und in allen anderen Todesfällen der vergangenen Jahre.  "Die EU-Kommission muss zudem ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland einleiten, weil die Regierung permanent und seit Jahren gegen Menschenrechte und gegen internationales Recht verstößt", fordert Kopp. Und auch Strafverfahren gegen einzelne Beteiligte an den Pushbacks und an anderen Rechtsverstößen müssen endlich begonnen werden.

Lebend ins Meer geworfen


Der Spiegel hatte berichtet, dass es überzeugende Zeugenaussagen und Hinweise dafür gibt, dass zwei Männer, die im September 2021 tot im Wasser an der türkischen Küste gefunden wurden, zuvor auf  Samos festgenommen und dann lebend von einem Boot der griechischen Küstenwache ins Meer geworfen worden waren. Es ist bekannt, dass die griechische Küstenwache auch von Samos aus Männer, Frauen und Kinder auf so genannten Rettungsflößen im Mittelmeer aussetzt.

In der Kälte ausgesetzt


Ein weiteres Beispiel: Ende Januar berichtete die griechische Zeitung Efsyn über brutale Geschehnisse auf einer Insel im Grenzfluss Evros, am denen sowohl griechische als auch türkische Behörden beteiligt waren: Griechische Grenzbeamte hatten 24 Frauen, Männern und Kinder Mitte Januar nicht nur daran gehindert, einen Asylantrag zu stellen, sie hatten sie sogar im Schneetreiben auf einer griechischen Insel im Grenzfluss ausgesetzt, ohne Nahrung und passende Kleidung. Fotos zeigen einige Menschen ohne Schuhe, nur mit Socken bekleidet.

Tagelang weigerten sich die griechischen Behörden, den Menschen, darunter ein nierenkranker Mann, zu helfen. Türkische Grenzsoldaten holten die Gruppe von der Insel, schlugen und inhaftierten sie für einige Tage – und brachten sie dann wieder auf dieselbe Insel. Der schwerkranke Mann soll nach den Schlägen gestorben sein. Türkische Oppositionelle aus der Flüchtlingsgruppe blieben in Haft.

Presseerklärung 18. Februar 2022