Stadt Frankfurt verweigert Dialog zum Fortbestand der Wohngemeinschaft Bonameser Straße

erstellt von Gegen Vergessen - Für Demokratie — zuletzt geändert 2020-03-13T19:38:21+02:00
und zeigt damit eine erschreckende Geschichtsvergessenheit.

In der Wohnwagensiedlung in der Bonameser Straße leben seit 1953 ambulante Gewerbetreibende, Schausteller, Zirkusangehörige, Schrotthändler, Jenische sowie Sinti und Roma. Ihre Familien waren in der Zeit des Nationalsozialismus als Minderheiten, u.a. als sogenannte „Asoziale“, verfolgt und in Konzentrationslagern ermordet worden.

Ausgrenzung und Diskriminierung seit Jahrzehnten

Seit dieser Zeit werden die Bewohner*innen der Wohngemeinschaft Bonameser Straße von der Stadt Frankfurt als ordnungspolitisches Problem behandelt und kriminalisiert. Sowohl die Verfolgung im Nationalsozialismus als auch die in den Nachkriegsjahren fortgesetzte Ausgrenzung und Diskriminierung der Überlebenden - unter Beteiligung von NS-Tätern bis in die 1960er Jahre – wird von der Stadt ignoriert und übergangen. Hinzu kommt noch, dass die Stadt Frankfurt in den 1960er und 1970er Jahren das Deponieren schwermetallhaltiger Schlacke auf dem Platz genehmigt hatte, sodass der Platz nach Bodensanierungsarbeiten erst 2011 vom Regierungspräsidium abgenommen wurde. Die wichtige Dissertation „Soziale Wirklichkeit und Geschichte des Wohnwagenstandplatzes Bonameser Straße in Frankfurt am Main“ von Dr. Sonja Keil (2018) zeigt dies auf, auch, wie die für die Vernichtung der Sinti und Roma mitverantwortlichen Robert Ritter und Eva Justin nach dem Krieg in den Dienst der Stadt traten, und Justin sogar direkt im Wohnwagenlager eingesetzt wurde. Einer ihrer Förderer war der ehemalige Nazi und spätere Frankfurter Sozialdezernent Rudolf Prestel, der eine besonders repressive Haltung gegenüber dem Wohnwagenlager vertrat.

Angebliche Beschlussfassung zur Schließung des Platzes nicht belegt

Schon seit längerem wird versucht, die Bewohner*innen mittelfristig von der Bonameser Straße zu vertreiben. Nun hat eine Stellungnahme des Magistrats vom November 2019 die Bemühungen des zuständigen Ortsbeirat 9 mit der Bitte um Einrichtung eines runden Tisches ignoriert. Die Darstellung der Stellungnahme 2121 enthält Fehler und benutzt Vorurteile. So soll etwa „die sukzessive Verringerung der Bewohner*innen-Zahl mittelfristig [verfolgt werden]“. In der Stellungnahme wird darüber hinaus behauptet, dass „durch die Nutzung“ eines Platzes „eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit an Bodenkontaminationen“ entstehe. Daher sehe der Magistrat eine „Verlagerung der dort lebenden Nutzerinnen und Nutzer“ nicht als „zielführend“ an. Erstens unterstellt die Stadt den Bewohner*innen hier pauschal, ihre Umwelt zu vergiften. Dies kommt einer nationalsozialistischen Seuchen- und Ungeziefermetaphorik gefährlich nahe. Zweitens werden bei einer „sukzessiven Verringerung der Bewohnerzahl“ und „Verlagerung“ von Personen Menschen mit Dingen verwechselt. Hier fehlt auch die Sensibilität dafür, dass die Bewohner*innen Nachkommen von Verfolgten des Naziregimes sind.

Die behauptete Beschlussfassung der Stadtverordnetenversammlung zur Schließung des Platzes ist nicht belegt. Dies trifft nur für den heute nicht mehr zugänglichen Schrottplatzbereich zu.

Antwort auf offenen Brief steht aus

Vertreter*innen von Bildungsstätte Anne Frank, Förderverein Roma, Landesverband Hessen der Deutschen Sinti und Roma, VVN-BdA Kreisvereinigung Frankfurt, Gegen Vergessen – Für Demokratie, Goethe- Universität und Frankfurt University of Applied Sciences haben im Dezember einen offenen Brief an Oberbürgermeister Peter Feldmann geschickt. Darin wurden u.a. die Beendigung der repressiven Haltung und eine Aufnahme des vom Ortsbeirat gewünschten Dialogs gefordert. Eine Antwort des Oberbürgermeisters bzw. des Magistrats steht bislang aus.

Stattdessen wurden im Februar einzelne Organisationen vom Bau-Dezernenten Jan Schneider angeschrieben. Joachim Brenner vom Förderverein Roma e.V. und Andreas Dickerboom von Gegen Vergessen – Für Demokratie e.V. zeigen sich empört über die Stellungnahme des Dezernenten: „In einer von bürokratischer Kälte geprägten Sprache werden die alten Vorurteile wiederholt. Von einer historischen Verantwortung für diese Nachfahren von NS-Opfern ist an keiner Stelle die Rede.“ Der gewünschte Dialog wird von Dezernent Schneider abgelehnt, stattdessen droht er die mittelfristige Schließung der Wohnwagensiedlung an.

Auch Eva Demski schließt sich dem offenen Brief an

Die Frankfurter Schriftstellerin Eva Demski schließt sich dem Offenen Brief an: „Seit Jahrzehnten leben an der Bonameser Straße sehr unterschiedliche Menschen zusammen, auf etwas andere Art als zum Beispiel in den Häuserstapeln am Frankfurter Berg oder in der Limesstadt. Eine Stadt wie Frankfurt sollte diese Lebensweisen respektieren, anstatt sie zu bedrohen. Es kommen dort viele Geschichten, Erinnerungen, farbige, auch düstere, zusammen, man sollte ihnen zuhören. Auch ein Ort wie dieser machen eine Stadt und ihre Farbigkeit aus.“

Nach Hanau gilt erst recht: Frankfurt ist eine weltoffene Stadt

Die Unterzeichner*innen des Offenen Briefs fordern erneut den Magistrat der Stadt Frankfurt auf, diese Diskriminierung zu beenden, den Dialog mit den Bewohner*innen und dem Ortsbeirat endlich aufzunehmen, um den Verbleib der Bewohner*innen sicherzustellen. Der Oberbürgermeister erwähnt an jeder Stelle, so zuletzt auf dem Paulsplatz bei der Mahnwache für die Opfer von Hanau, dass Frankfurt mit seinen 180 Nationen eine weltoffene Stadt ist. Es wird Zeit, dass Worten auch Taten folgen und den Bewohner*innen der Wohngemeinschaft Bonameser Straße ein dauerhaftes Zuhause ermöglicht wird. Sie gehören zu Frankfurt.

Gemeinsame Pressemitteilung der Bildungsstätte Anne Frank, des Förderverein Roma e.V., von Gegen Vergessen – Für Demokratie / Rhein-Main, des Verbands Deutscher Sinti und Roma Landesverband Hessen, der VVN-BdA Kreisvereinigung Frankfurt a. M.
Sowie von Prof. Benjamin Ortmeyer, Dr. Z. Ece Kaya und Dr. Katharina Rhein, Forschungsstelle NS-Pädagogik, Goethe-Universität Frankfurt a. M., und Prof. Kathrin Schrader, Frankfurt University of Applied Sciences

Empathie gegenüber Verfolgten ist anstelle von Geschichtsvergessenheit gefragt
Offener Brief an den Oberbürgermeister der Stadt Frankfurt a. M. zur Wohngemeinschaft Bonameser Straße  

Frankfurt a. M., 18. Dezember 2019

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Feldmann,

mit diesem Schreiben möchten wir unser Unverständnis und unseren Protest gegenüber der Stellungnahme des Magistrats vom 18.11.2019 (ST 2121) zum Ausdruck bringen.
In alter Tradition werden die etwa 80 Bewohner*innen der Wohngemeinschaft Bonameser Straße von der Stadt als ordnungspolitisches Problem behandelt und kriminalisiert. Sowohl die Verfolgung im Nationalsozialismus als auch die in den Nachkriegsjahren fortgesetzte Ausgrenzung und Diskriminierung der Überlebenden – unter Beteiligung von NS-Tätern bis in die 1960er Jahre – wird von der Stadt ignoriert und übergangen. Hinzu kommt noch, dass die Stadt Frankfurt in den 1960er und 1970er Jahren das Deponieren schwermetallhaltiger Schlacke auf dem Platz genehmigt hatte, sodass der Platz nach Bodensanierungsarbeiten erst 2011 vom Regierungspräsidium abgenommen wurde.
Anstatt nun endlich Verantwortung für das in der Vergangenheit an den Betroffenen und ihren Vorfahren begangene Unrecht zu übernehmen, setzt die Stadt Frankfurt im Gegenteil ihre repressive Politik gegenüber den Bewohner*innen fort, bis hin zur Zwangsräumung einer jungen Mutter. Hier kommt noch erschwerend hinzu, dass zwei Urgroßeltern und ein Urgroßvater der Zwangsgeräumten im Nationalsozialismus auch rassistischer Verfolgung ausgesetzt waren: ihre Urgroßeltern als Juden und ihr Urgroßvater als Angehöriger der Sinti und Roma.
Der ordnungspolitische Duktus der in der Stellungnahme des Magistrates benutzte Sprache ist unüberhörbar. So soll etwa „die sukzessive Verringerung der Bewohnerzahl mittelfristig [verfolgt werden]“. In der Stellungnahme wird darüber hinaus behauptet, dass „durch die Nutzung“ eines Platzes „eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit an Bodenkontaminationen“ entstehe. Daher sehe der Magistrat eine „Verlagerung der dort lebenden Nutzerinnen und Nutzer“ nicht als „zielführend“ an.
Erstens unterstellt die Stadt den Bewohner*innen hier pauschal, ihre Umwelt zu vergiften. Dies kommt einer nationalsozialistischen Seuchen- und Ungeziefermetaphorik gefährlich nahe. Zweitens werden bei einer „sukzessiven Verringerung der Bewohnerzahl“ und „Verlagerung“ von Personen Menschen mit Dingen verwechselt. Hier fehlt auch die Sensibilität dafür, dass die Bewohner*innen Nachkommen von Verfolgten des Naziregimes sind.
Wir fordern die Stadt Frankfurt auf, anstatt weiterhin repressive Maßnahmen zu vollziehen, die Diskriminierung der Bewohner*innen anzuerkennen, ihre Probleme ernst zu nehmen und mit ihnen einen Dialog auf Augenhöhe einzugehen. Darüber hinaus fordern wir die Stadt auf, sich bei den Betroffenen für die genannten Formulierungen in der Stellungnahme zu entschuldigen.
Sollte die Stadt untätig bleiben, sehen wir uns zu einer größeren Bekanntmachung dieses Vorgehens veranlasst, bei dem wir auch die internationalen Partnerstädte Frankfurts informieren werden.

Freundliche Grüße

Dr. Meron Mendel, Bildungsstätte Anne Frank
Dr. Z. Ece Kaya und Dr. Katharina Rhein, Forschungsstelle NS-Pädagogik, Goethe-Universität
Frankfurt a. M.
Joachim Brenner, Förderverein Roma
Andreas Dickerboom, Gegen Vergessen – für Demokratie / Rhein-Main
Prof. Benjamin Ortmeyer, Goethe-Universität Frankfurt a. M.
Prof. Kathrin Schrader, Frankfurt University of Applied Sciences
Adam Strauß, Verband Deutscher Sinti und Roma Landesverband Hessen
Norbert Birkwald, VVN-BdA Kreisvereinigung Frankfurt a. M.