Schwangerschaftsabbruch raus aus dem Strafgesetzbuch

erstellt von Helena Müller, DGB Hessen-Thüringen — zuletzt geändert 2019-09-22T10:57:13+02:00
Aktionen zum International Safe Abortion Day am 28. September: Demo in Gießen, Speakers‘ Corner in Frankfurt // Der Kleiderbügel auf dem Plakat steht für alle Schwangerschaftsabbrüche, die auf Grund eines Verbots selbst vorgenommen werden ...

Das Frauen*Streik-Bündnis Frankfurt am Main und Pro_Choice-Aktivist*innen Rhein-Main rufen anlässlich des Internationalen Tages zur Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen am 28. September zur Teilnahme an einer Demonstration um 11 Uhr ab Berliner Platz in Gießen und in Frankfurt am Main von 15 bis 18 Uhr zu einer Speakers‘ Corner an der Hauptwache auf. Beim offenen Mikrofon werden alle zu Wort kommen, die sich für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aussprechen. Redebeiträge für die Speakers‘ Corner angekündigt haben Ärzt*innen, Politiker*innen, Aktivist*innen des Frauen*streik Bündnisses und des Bündnisses Frankfurt für Frauenrechte, von ProFamilia, DaMigra und andere.

Weiterhin bleibt in Deutschland das grundsätzliche Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen mit den Paragrafen 218 und 219a im Strafgesetzbuch bestehen. Ungewollt Schwangere stoßen dadurch auf unüberwindbare Hürden: Seriöse Informationen sind schwer erhältlich, Schwangerschaftsabbrüche sind teuer, Behandlungsmöglichkeiten oft weit entfernt und immer weniger Ärzt*innen führen Abbrüche durch. Menschen mit Migrationshintergrund und/oder geringem Einkommen wird der Zugang zum Schwangerschaftsabbruch dadurch faktisch verwehrt. Hinzu kommt die Schikane durch Abtreibungsgegner*innen. In Frankfurt am Main mussten Beratungen bei ProFamilia sogar in umliegende Beratungsstellen verlagert werden.

Helena Müller, Gewerkschafterin, pro_choice und Frauen*Streik Aktivistin: „Warum eine Schwangere abtreibt, hat vielfältige Gründe. Niemals ist aber die Entscheidung eine leichte. Dass Schwangerschaftsabbrüche noch immer mit den Paragrafen 218 und 219a im Strafgesetzbuch geregelt sind, bedeutet eine Stigmatisierung für ungewollt Schwangere und verbreitet das Bild einer unmündigen Frau*. Diese Schikane muss ein Ende haben. Deswegen setzen wir uns für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen ein.“ Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen und darüber informieren, sind von staatlicher Repression und Anfeindungen durch Fundamentalist*innen betroffen. Erst im Juni wurden zwei Ärztinnen* aus Berlin zu Geldstrafen verurteilt, weil sie auf ihrer Internetseite darüber informierten, dass ein „medikamentöser, narkosefreier“ Schwangerschaftsabbruch zu ihren Leistungen gehört. Auch das Verfahren von Kristina Hänel aus Gießen ist noch lange nicht beendet. Nachdem das Landgericht Frankfurt im Juni 2019 das Verfahren an das Amtsgericht Gießen zurückverwiesen hat, wartet sie derzeit auf den nächsten Verhandlungstermin. Die Verurteilung zu einer Geldstrafe wurde nicht aufgehoben, nun soll das Amtsgericht Gießen den Fall aufgrund der Gesetzesänderung des § 219a Strafgesetzbuch neu bewerten.

Weltweit wird das Recht auf körperliche und sexuelle Selbstbestimmung von rechtspopulistischen und konservativen Regierungen angegriffen und infrage gestellt. In diesem Jahr wurden in zahlreichen US-amerikanischen Bundesstaaten Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen verschärft. In Alabama droht ein Abbruch in nahezu jedem Fall illegal zu werden, auch bei Schwangerschaft infolge von Inzest oder Vergewaltigung. In Polen konnte 2016 eine solche Verschärfung des Abtreibungsgesetzes nur durch den Protest der Zivilgesellschaft abgewendet werden.

Dazu Christiane von Rauch, Ärztin und pro_choice Aktivistin aus Frankfurt am Main: „ Internationale Solidarität ist am 28.09. zentral. Auf der ganzen Welt wird ungewollt Schwangeren das Menschenrecht auf Gesundheit verweigert: Laut WHO landen jährlich über sieben Millionen Frauen in Entwicklungsländern aufgrund unsicherer Schwangerschaftsabbrüche in Krankenhäusern. Daher kämpfen wir gemeinsam für legale und sichere Schwangerschaftsabbrüche. Und das gilt auch für Deutschland. Wir fordern eine flächendeckende medizinische Versorgung bei Schwangerschaftsabbrüchen sowie Kostenübernahme von Verhütungsmitteln und Schwangerschaftsabbrüchen durch die Krankenkassen!”Angesichts der zunehmend angespannten Situation für Schwangere, Berater*innen und Ärzt*innen fordern die Aktivist*innen die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen durch die Abschaffung der Paragrafen 218 und 219 im Strafgesetzbuch, die bedingungslose Kostenübernahme von Schwangerschaftsabbrüchen und Verhütungsmitteln, freiwillige Beratungsangebote und ein flächendeckender Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen.

Ein Kleiderbügel als Symbol weist in Frankfurt am Main und Umgebung im öffentlichen Raum auf den Aktionstag hin. Er steht für alle Schwangerschaftsabbrüche, die auf Grund eines Verbots von Schwangerschaftsabbrüchen selbst vorgenommen werden mussten und müssen und für die ausweglose Situation von Frauen*, ihre Entschlossenheit und ihren Leidensweg, der bis zum Tod führen kann. Laut WHO sterben durch solch unsichere Abbrüche noch immer mindestens 22.800 ungewollt Schwangere jährlich.

Bundesweit werden am 28.09.2019 in über 30 Städten im Bundesgebiet Aktionen für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen stattfinden.

Frauen*Streik FFM und Pro_Choice FFM

Nach aktuellem Stand werden am 28.09.2019 in über 30 Städten im Bundesgebiet Aktionen für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen stattfinden, wie in Aachen, Augsburg, Berlin Bielefeld, Bochum, Detmold, Dortmund, Dresden, Frankfurt am Main, Freiburg, Gießen, Göttingen, Hamburg, Hattingen, Hannover, Karlsruhe, Kassel, Kiel, Köln, Leipzig, Mainz, Mannheim, München, Münster, Oldenburg, Passau, Saarbrücken, Verden. Gleichzeitig finden weltweit Aktionen statt, in den letzten Jahren in 65 Ländern.

Bereits am 21.09.2019 wird in Berlin der Startschuss für die Aktionswoche gesetzt mit dem Aktionstag für sexuelle Selbstbestimmung. Er richtet sich gegen den Marsch radikaler Abtreibungsgegner*innen, der an diesem Tag durch Berlin ziehen soll. Auch in weiteren Städten finden bereits im Vorfeld des 28.9. Aktionen statt.

Den Aufruf auf Deutsch oder Englisch, sowie laufend aktualisierte Informationen zu den Aktivitäten in der Aktionswoche vom 21.9. bis 28.9. in den verschiedenen Städten finden Sie hier:

https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/12258/aufruf-aktionswoche-2019/

https://www.facebook.com/events/701315990312656/

Auf den bundesweiten Kundgebungen werden Politiker*innen, sowie Ärzt*innen und Aktive zu Wort kommen, die sich für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen aussprechen und auch die aktuelle Situation durch den zuletzt geänderten § 219a in den Fokus nehmen.

Ines Scheibe, Sprecherin des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung in Berlin und selbst in der Schwangerschaftskonfliktberatung tätig, führt aus: „ Die Bundesregierung hat sich in Sachen § 219a als nicht handlungsfähig erwiesen: Die Änderung des Paragrafen hat weder Rechtssicherheit für Ärzt*innen geschaffen, noch Informationssicherheit für ungewollt Schwangere. Die Listen bei der Bundesärztekammer sind für einige Länder praktisch leer. Wir freuen uns, dass es nun schon zum zweiten Mal in diesem Jahr in vielen Städten zu Protesten für die Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen kommt.“

Initiator*innen der bundesweiten Aktionswoche sind Einzelpersonen, Parteien, Gewerkschaften und eine Vielzahl zivilgesellschaftlicher Organisationen: Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung (Berlin, Freiburg, Göttingen, Hamburg, Münster, Passau), Kritische Mediziner*innen Dresden, Aktionsbündnis Pro_Choice Gießen (wegmit219a), Frauenforum Göttingen, Frauenrat Hannover, Frauen*streik Frankfurt am Main, Pro_Choice Aktivist*innen RheinMain, Karlsruher Frauenbündnis für das Selbstbestimmungsrecht der Frau, Streikcafé Kiel, Frauen*kollektiv Köln, Kasseler Frauenbündnis, Frauennetzwerk Städteregion Aachen, Bayerisches Aktionsbündnis “Weg mit §218” in München, ProFamilia bzw. Pia – ProFamilia in action (Rheinland-Pfalz, Bayern, Berlin, Bielefeld, Bochum, Detmold).

Beim letzten bundesweiten Aktionstag, am 26. Januar 2019, nahmen bundesweit in über 30 Städten etwa 6.000 Menschen an den Protesten gegen die geplanten Gesetzesänderungen der Bundesregierung teil und forderten die Streichung des § 219a StGB aus dem Strafgesetzbuch.

Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung

Das „Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung“ ist ein breites Bündnis aus Beratungsstellen, verschiedener feministischer und allgemeinpolitischer Gruppen, Verbänden, Gewerkschaften und Parteien sowie Einzelpersonen. Gegründet wurde es 2012 in Berlin und organisiert seither Proteste gegen den dort jährlich stattfindenden, bundesweiten “Marsch für das Leben”. In den letzten Jahren haben sich eine Anzahl weiterer Pro-Choice Bündnisse im Bundesgebiet gegründet, weitere Bündnisgründungen sind angekündigt.Mehr zum Hintergrund des internationalen Aktionstags Am 28. September wird seit 1990 in Lateinamerika und seit 2011 in der ganzen Welt für “safe abortion” protestiert. In den letzten Jahren gab es Aktionen in 65 Ländern.

(http://www.safeabortionwomensright.org/international-safe-abortion-day-2019/)