Schutz und Asyl für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer aus Russland, Belarus und der Ukraine

erstellt von PRO ASYL — zuletzt geändert 2022-03-30T08:50:20+01:00
In einem gemeinsamen Appell an den Deutschen Bundestag fordert ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis den Bundestag und die Bundesregierung auf, sowohl russischen und belarussischen als auch ukrainischen Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren Schutz und Asyl zu gewähren.

Deutschland und alle anderen EU-Länder müssen diese Menschen, die vor dem Kriegseinsatz fliehen, unbürokratisch aufnehmen und ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht ermöglichen – und auch dafür sorgen, dass das Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung anerkannt wird.

"Unser Ziel ist es, dass Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren aus dem Ukraine-Krieg unkompliziert Schutz und Asyl gewährt wird", heißt es in dem Brief an die Bundestagsabgeordneten, der von Connection e.V., der Menschenrechtsorganisation PRO ASYL und rund 40 weiteren Friedens-, Menschenrechts- und Flüchtlingsorganisationen aus ganz Deutschland unterstützt wird. Das Bündnis bittet die Bundestagsabgeordneten eindringlich, mit einem entsprechenden Antrag – möglichst überfraktionell – die Bundesregierung mit diesem Schutz für Deserteure und Kriegsdienstverweigerer zu beauftragen. Leider ist dieser Schutz bisher nicht garantiert.

Deserteure aus der Russischen Föderation und Belarus

Nach derzeitigem Stand müssen geflüchtete Deserteure und Verweigerer aus der Russischen Föderation und Belarus ins Asylverfahren gehen –  mit ungewissem Ausgang. Denn die Verfolgung wegen Kriegsdienstverweigerung und Desertion gilt in Deutschland nach der Praxis von BAMF und Gerichten nicht ohne weiteres als Asylgrund.
Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine ist ein völkerrechtswidriger Krieg, unterstützt durch Belarus. Und deshalb gilt für russische und belarussische Soldatinnen und Soldaten, die sich dem Einsatz im Militär und somit dem möglichen Kriegseinsatz in der Ukraine entzogen haben oder desertiert sind, Artikel 9 der  Qualifikationsrichtline der Europäischen Union: Denjenigen Menschen wird flüchtlingsrechtlicher Schutz zugesagt, die sich völkerrechtswidrigen Handlungen oder Kriegen entziehen und deswegen Bestrafung fürchten müssen (Artikel 9 Abs. 2e).

Doch die Erfahrung sieht anders aus: Bisherige Asylverfahren, die sich auf Artikel 9 Absatz 2 der Richtlinie bezogen, haben gezeigt, dass deutsche Behörden und Gerichte sehr hohe Beweisanforderungen stellen, die viele der Betroffenen nicht erfüllen können. Dann droht ihnen Ablehnung und Auslieferung an die Kriegsherren.
So fordern deutsche Behörden und Gerichte von den betroffenen Männern zum Beispiel Einsatzbefehle, die anstehende völkerrechtswidrige Handlungen belegen – was in der Praxis aber schier unmöglich ist. Und auch das Recht, den Kriegsdienst zu verweigern, ist in beiden Ländern eingeschränkt. 

Ausreiseverbot aus Ukraine widerspricht Menschenrechtskonvention

Auch in der Ukraine wird nur ein kleiner Teil der Kriegsdienstverweigerer anerkannt – zu ihnen zählen Mitglieder von kleinen Religionsgemeinschaften wie beispielsweise den Zeugen Jehovas. Wer nicht einer solchen Religionsgemeinschaft angehört, dem wird eine Anerkennung versagt. Auch Reservisten und Soldaten haben keine Möglichkeit der Antragstellung. Zudem widerspricht das derzeit geltende Ausreiseverbot für Männer zwischen 18 und 60 Jahren dem 4. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach es jeder Person "freisteht, jedes Land einschließlich seines eigenen zu verlassen".

Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011 feststellte. Diesem Menschenrecht auf Kriegsdienstverweigerung muss in allen Ländern, auch in denen, die sich im Krieg befinden, Geltung verschafft werden. Wer aus Gewissensgründen den Dienst mit der Waffe ablehnt und dafür verfolgt wird, muss geschützt werden.

Zwar genießen Menschen aus der Ukraine durch den EU-Ratsbeschluss zum vorübergehenden Schutz für zunächst ein Jahr einen sicheren Aufenthalt. "Bezüglich der Kriegsdienstverweigerer ist jedoch zu bedenken, dass mit Auslaufen dieser Regelung die Frage relevant sein wird, ob und wie Kriegsdienstverweigerer in der Ukraine verfolgt werden", heißt es in dem gemeinsamen Appell der Organisationen.

Denn auch hier zeigt die Erfahrung: In den vergangenen Jahren waren bereits mehrere Hundert Verweigerer aus allen Teilen der Ukraine nach Deutschland gekommen, um hier Schutz zu finden. Die meisten wurden aber in den Asylverfahren abgelehnt.

Der Appell an den Deutschen Bundestag steht hier.

Pressemitteilung von PRO ASYL und connection e.V. 29. März 2022