Richtigstellung zum 8. Mai in Frankfurt an der Paulskirche und am Römer

erstellt von "Bündnis 8. Mai" — zuletzt geändert 2020-05-15T18:19:27+01:00
Offener Brief des Bündnisses an Bürgermeister Uwe Becker und Stadtverordnetenvorsitzenden Stephan Siegler

Frankfurt, 15. Mai 2020
Herrn Bürgermeister Uwe Becker
Herrn Stadtverordnetenvorsteher Stephan Siegler

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher,
ich schreibe Sie stellvertretend für das "Bündnis 8. Mai 2020" an.
Mit Erstaunen haben wir nach dem 8. Mai zum einen die Berichterstattung in der FAZ, zum
anderen den Brief des Stadtverordnetenvorstehers an den Oberbürgermeister zur Kenntnis
genommen. In der FAZ werden Sie, Herr Becker, dahingehend zitiert, dass in dem am
Mahnmal der Paulskirche verlesenen Aufruf des Bündnisses der USA Kriegstreiberei
vorgeworfen würde. Fakt ist, dass die USA in dem Aufruf nicht einmal erwähnt wird,
geschweige denn im Sinne einer Kriegstreiberei. Zu Ihrer Kenntnis lege ich den Aufruf als
Anlage dazu.
Der Aufruf, der von etwa 30 Organisationen getragen wird, ist weit verbreitet worden.
Deshalb erstaunt es uns, dass in der FAZ eine solche Falschbehauptung aufgestellt wird, die
das ganze Bündnis in ein falsches Licht rückt. Ebenso erstaunt uns, dass Sie, Herr Siegler,
in ihrem Brief an Oberbürgermeister Feldmann von einer "Gruppe von Demonstranten"
sprechen, denn hier handelte es sich um Vertreter des Bündnisses, die an einer ordentlich
angemeldeten Gedenkveranstaltung teilnahmen - die sich im übrigen im Gegensatz zur
nicht verhinderten Demonstration von "Corona-Gegnern" am letzten Samstag, die von der
Stadt erstaunlicherweise geduldet wurde, an die notwendigen Pandemie-Vorschriften
selbstverständlich gehalten haben.
Die Aktion am 8. Mai ist auch nicht, wie im Brief fälschlicherweise behauptet wird, alleinig
von der VVN/BdA, sondern von den etwa 30 Bündnispartnern gemeinsam durchgeführt
worden. Zu den Unterstützern zählen u.a. der DGB Frankfurt, die Bildungsstätte Anne
Frank, die Naturfreunde Frankfurt, Aufstehen gegen Rassismus Region Rhein-Main oder
der Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945, also ein Bündnis, das ein breites
Spektrum in Frankfurt abdeckt. Geradezu entsetzt sind wir, dass Sie, Herr Siegler, die
VVN/BdA als eine Organisation darstellen, die "unseren demokratischen Rechtsstaat
abschaffen" wolle und in eine Reihe mit "Verfassungsfeinden" stellen. Diesen Vorwurf
möchte ich sowohl für meine Regionalgruppe Rhein-Main von Gegen Vergessen - Für
Demokratie als auch im Namen des gesamten Bündnisses entschieden zurückweisen!

Auch möchten wir dem Eindruck, der in der Überschrift der FAZ - "Gedenken mit
Sowjetflagge" - suggeriert wird, entgegentreten. Der Herr mit Uniform und Sowjetflagge,
der natürlich ein "dankbares Fotomotiv" darstellte, gehörte nicht zum Bündnis. Im
erwähnten Aufruf verweisen wir am Ende auf das unserer Ansicht nach konfliktfördernde
Nato-Manöver "Defender 2020" hin. Daraus abzuleiten, dass das Bündnis den USA
Kriegstreiberei vorwerfe, ist nicht nachvollziehbar. Der 8. Mai 1945 war für viele, gerade
die Befreiten aus den Konzentrationslagern, Anlass zu sagen: "Nie wieder Krieg". Dass wir
ein solches Manöver, gerade zeitgleich zum 75. Jahrestags des Kriegsendes, auch in
unserem Aufruf kritisieren, halten wir für absolut legitim.
Die Frage, in welcher Form Sie beide vom Obernbürgermeister über die
Gedenkveranstaltung am Mahnmal informiert wurden, möchten und können wir als
Bündnis nicht kommentieren. Wir erachten die Form des Streits, wie er jetzt öffentlich
ausgetragen wird, und die darin enthaltenen Vorwürfe dem Bündnis gegenüber jedoch als
pauschal und z.T. ehrverletzend. Wir hoffen, dass wir im kommenden Jahr gemeinsam mit
ihnen ein Fest der Befreiung feiern können, das dem Anlass gerecht wird.
Da Sie leider ohne vorherige Rücksprache mit dem Bündnis den Weg über die Presse
gewählt haben, muss ich diese nun ebenfalls informieren.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Dickerboom
Für das "Bündnis 8. Mai 2020"

Der vorgetragene Aufruf des Bündnisses:

8. Mai 2020: 75 Jahre Befreiung

Die Verbreitung unseres Aufrufs zum 75. Jahrestag der Befreiung von Faschismus und Krieg haben wir uns anders vorgestellt. Wir waren weit in der Planung eines Befreiungsfests auf dem Frankfurter Römerberg. Die Stadt Frankfurt wollte eine würdige Feier in der Paulskirche voranstellen und damit ihren Beitrag leisten, damit in unserer Stadt deutlich wird: Wir feiern die Befreiung. Was sonst? Es kam anders. Die Corona-Pandemie hat das gesellschaftliche Leben lahmgelegt. Wir können es im Interesse der Gesundheit der Teilnehmenden nicht verantworten, zu einer Feier einzuladen. Die Feierlichkeit in der Paulskirche wurde abgesagt.

Doch wir lassen es uns auch in dieser Zeit nicht nehmen, Position zu dem historischen Ereignis zu beziehen, das vor 75 Jahren stattfand. Und ein „Gutes“ hat diese Situation auch: bei unserem Aufruf brauchen wir keine große Rücksicht nehmen auf einen Aufruf, der auf ein Blatt Papier passen muss…

Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg in Europa mit der Niederlage des deutschen Faschismus. Die Befreiung der KZ-Häftlinge und das Ende der Terrorherrschaft über weite Teile Europas ist für uns ein Grund zum Feiern.

Angesichts von Faschisten in den Parlamenten und zuletzt wieder zunehmenden rassistischen und antisemitischen Anschlägen ist dieser Tag auch ein Anlass, um den Kampf gegen jede Form der Diskriminierung und Menschenverachtung zu erneuern.

Befreiung! Was sonst?

Es war die Niederlage für Täter*innen, Profiteure und Mitläufer*innen. Es waren die Verfolgten des Hitler-Faschismus, die Widerstandskämpfer*innen, die Befreiten aus Konzentrationslagern und Zuchthäusern, die Frauen und Männer, die aus dem Exil zurückkehrten, die den 8. Mai 1945 als Befreiung erfuhren. Sie hatten noch auf den Plätzen der befreiten Konzentrationslager geschworen, ihren Kampf erst einzustellen, wenn der letzte Schuldige bestraft sei, wenn die Wurzeln von Faschismus und Krieg endgültig beseitigt seien. Der Weg für Anti-Faschismus, Anti-Militarismus und Anti-Monopolismus war frei.

Nach dem Neubeginn: Die Ewiggestrigen bedrohen die Gesellschaft

Doch mit dem Beginn des Kalten Krieges kam alles anders. Ein Rüstungswettlauf setzte ein mit immer gefährlicheren Waffen statt Abrüstung, Entspannung und politischen Konfliktlösungen. Neue Waffen sollen auch Atomkriege wieder gewinnbar machen. Eine friedenspolitische Wende bleibt in weiter Ferne.

Nicht nur das. In den Parlamenten, der Publizistik, der Justiz, der Verwaltung, den Geheimdiensten und der öffentlichen Meinung nistete sich der überwunden geglaubte Geist zum Großteil mit dem vertrauten Personal ein. Die Verfolgung der faschistischen Verbrechen wurde weitgehend eingestellt und bereits Verurteilte wieder rehabilitiert. Faschistisches Gedankengut wird ungestraft geäußert.

Viele Opfergruppen wurden auch im Nachkriegsdeutschland wieder verfolgt oder offen diskriminiert: Schwule wurden nach dem §175 verurteilt. Nach dem Verbot der KPD wurden Kommunist*innen und konsequente Demokrat*innen wegen Weiterbetätigung verfolgt. Die Bürgerrechtsbewegung der Roma und Sinti erreichte erst 1982, dass die Bundesrepublik Deutschland den begangenen Völkermord anerkannte. Jüd*innen waren und sind einem breiten gesellschaftlichen Antisemitismus ausgesetzt. Die Rehabilitierung der als asozial verfolgten Opfer des NS-Regimes erfolgte erst in diesem Jahr.

Die wenig konsequente Entnazifizierung ist eine der Grundlagen für rassistische und neonazistische Bewegungen im heutigen Deutschland.

Für Demokratie und Abrüstung

Es brennen Unterkünfte von Geflüchteten, es werden Menschen wegen ihrer Hautfarbe,

ihres Glaubens oder ihrer politischen Überzeugung ermordet. Die deutsche Geschichte wird immer häufiger verzerrt dargestellt, die deutsche Schuld geleugnet. Faschistisches Gedankengut wird wieder ungestraft geäußert. Die ersten Anzeichen, sich mit Nazis und Rassist*innen aus Gründen des Machterhalts gemein zu machen, mussten wir erst kürzlich im thüringischen Landtag erleben.

Deshalb ist es jetzt an der Zeit, AfD, Uniter und Co. Aufzuhalten. Noch ist es Zeit, sie daran zu hindern, dass die demokratische Übereinkunft nach 1945 vergessen und verdammt wird.

75 Jahre nach dem Sieg über den deutschen Faschismus steht dieses historische Datum im Zeichen einer schweren Konfrontation mit Russland. Das geplante Manöver Defender 2020 der NATO an der russischen Westgrenze wurde zunächst von Corona in die Knie gezwungen, aber damit nicht aufgehoben. Wir lehnen diese Kriegsübung wegen ihres konflikteskalierenden Charakters, ihrer Belastung für die Umwelt und aus friedenspolitischen Erwägungen entschieden ab.

Wir fordern:

  •  Faschistisches Gedankengut darf keinen Platz in unserer Gesellschaft haben, schon gar nicht bei der Polizei und in der Bundeswehr.
  •  Rassismus, Diskriminierung und Antisemitismus gehören nicht zu unserem Zusammenleben.
  •  Ächtung rechtsextremistischer und (neo-)faschistischerer Parteien und Organisationen.
  •  Ein Zeichen, dass wir die Lehren aus den finsteren Jahren 1933 bis 1945 verstanden haben ist, den 8. Mai endlich zu einem Feiertag zu machen.
  •  Konfliktlösung mit friedlichen Mitteln statt Aufrüstung.
  •  Verbot von Rüstungsexporten und Stärkung der UNO statt völkerrechtswidriger Kriege.
  •  Gerade in der heutigen Zeit der Corona-Pandemie zeigt sich, wo Geld gebraucht wird: Mehr Investitionen bei Schulen und Kitas, sozialem Wohnungsbau, Krankenhäusern, kommunaler Infrastruktur, Alterssicherung und ökologischem Umbau.

Die Forderung von UN-Generalsekretär Guterres zu einem „sofortigen weltweiten Waffenstillstand“ muss jetzt realisiert werden.

Verbreitet diesen Aufruf über alle Wege und Kanäle, die uns zur Verfügung stehen.

Unterzeichnende:

Alevitische Gemeinde Frankfurt
ANPI Frankfurt
AStA Goethe-Universität
Aufstehen gegen Rassismus Region Rhein-Main
Bildungsstätte Anne Frank
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Kreisverband Frankfurt
Children's Hope Home e. V.
Club Voltaire
DIDF Frankfurt
DIDF Jugend Frankfurt
DIE LINKE. im Römer
DIE LINKE. Frankfurt am Main
DGB Frankfurt
DKP Frankfurt/Main
Ettie und Peter Gingold Erinnerungsinitiative, Frankfurt am Main
Förderverein Roma
Frankfurter Jugendring
Friedens- und Zukunftswerkstatt
FV Gedenkstätte KZ-Katzbach/Adlerwerke
Gegen Vergessen - Für Demokratie / Rhein-Main
Grüne Jugend Frankfurt
Jusos Frankfurt
Leben und Arbeiten in Gallus und Grieheim e. V.
Main-Taunus - Deine Stimme gegen Rechts
Naturfreunde Frankfurt
Naturfreundejugend Hessen
Piratenpartei Deutschland Kreisverband Frankfurt
Schultheater-Studio Frankfurt
Seebrücke Frankfurt
SPD-Bezirk Hessen-Süd
Städtefreundschaft Frankfurt-Kobane e. V.
Stiftung Solidarität Frankfurt
Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 e. V.
Türkisches Volkshaus Frankfurt e.V.
VVN-BdA Kreisvereinigung Frankfurt
Zentralrat der Muslime in Hessen