Rechtsbruch beenden!

erstellt von Pro Asyl — zuletzt geändert 2021-08-18T15:46:54+01:00
Erfüllung der menschenrechtlichen Verpflichtung gegenüber lokal Beschäftigten, Familienangehörigen und Schutzsuchenden aus Afghanistan. Aufnahme jetzt!

Pro Asyl, Rechtsanwält*innen, Jurist*innenorganisation und nationale sowie europäische Anwält*innenorganisationen erklären: Die zugespitzte Lage in Afghanistan wurde für den Fall des Abzugs der westlichen Streitkräfte von Expert*innen einhellig vorhergesehen.

Davon unbeeindruckt führt das Bundesamt für Migration und Flüchtlingen (BAMF) in einer Stellungnahme in einem gerichtlichen Verfahren noch am 10.08.2021 aus: "Die Bedingungen, auf die Rückkehrer nach Kabul treffen, sind nicht derartig schlecht, dass sie in schrecklichen humanitären Zuständen existieren müssten.« In einem weiteren Schriftsatz vom 11.08. stellt das BAMF fest: »In Bezug auf die Zuerkennung subsidiären Schutzes ist einerseits auszuführen, dass die meisten Städte und Provinzen derzeitig kampflos übergeben werden. Demnach ist doch sehr fraglich, ob die Intensität der Kampfhandlungen und damit die Gefahrendichte tatsächlich zugenommen hat."

BAMF reagiert zynisch und rechtswidrig

Das BAMF, welches unter Fachaufsicht des Bundesinnenministeriums steht, reagiert auf die Entwicklung der letzten Wochen - wenn überhaupt - mit dem bekannten Muster: Entscheidungsstopp. Das ist nicht nur zynisch, sondern rechtswidrig.

Für die Europäisch Demokratischen Anwält*innen (EDA) erklärt Rechtsanwältin Berenice Böhlo: "Diese Realitätsverleugnung knüpft an die hartnäckige Weigerung an, Abschiebungen nach Afghanistan auszusetzen. Ebenso unverantwortlich sind die seit Jahren festzustellenden, für Betroffene unerträglichen Verzögerungen beim Familiennachzug durch das Auswärtige Amt."

Die Taliban interessiert der Begriff der Kernfamilie nicht

Für PRO ASYL erklärt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYl: "Wir fordern die Ausweitung der jetzigen Ad-hoc-Luftbrücke zu einem dauerhaften Aufnahmeprogramm auch aus den Nachbarstaaten Afghanistans. Auch Familienangehörige von in Deutschland lebenden Schutzbedürftigen sind in Gefahr. Es müssen jetzt systematische und rechtliche Missstände in Deutschland beseitigt und die Aufnahmekriterien erweitert werden. Auch die volljährigen Töchter und Söhne, die bei der Aufnahme von Ortskräften und beim Familiennachzug oft nicht berücksichtigt werden, müssen Visa erhalten. Die Taliban interessiert der Begriff der Kernfamilie aus dem deutschen Aufenthaltsrecht nicht, sie bedrohen und verfolgen auch Familienangehörige, die nicht der Kernfamilie angehören."

Wir wenden uns gegen Lageberichte und eine Behördenpraxis, die das Ausmaß des brutalen Bürgerkriegs und die daraus folgende humanitäre Katastrophe auch jetzt noch systematisch leugnet und die rechtlichen Verpflichtungen missachtet.

Rechtsanwalt Dr. Matthias Lehnert vom RAV äußert sich hierzu wie folgt: "Diese strukturelle Missachtung zeigt sich auch darin, dass noch von Januar bis Mai 2021 76% der negativen Asylbescheide zu Afghanistan von den Verwaltungsgerichten aufgehoben wurden und diese Entscheidungen im weit überwiegenden Maße Bestand haben. BMI und BAMF müssen endlich in Einklang mit europäischem Recht anerkennen: Afghanistan ist für niemanden sicher."

Konkret fordern wir:

  • Umgehende Evakuierung aller lokal Beschäftigten unter Ausweitung des bestehenden Kriterienkatalogs;
  • umgehende Weisung, wonach jede deutsche Auslandsvertretung zur Annahme von Visaanträgen zuständig ist;
  • umgehende Bearbeitung aller Anträge auf Familiennachzug einschließlich einer sofortigen Aufstockung der personellen und sachlichen Ressourcen an den Botschaften, insbesondere in Islamabad, Neu-Delhi und Teheran, um die zügige Bearbeitung von Visa zu gewährleisten;
  • Ausschöpfung aller Ermessenspielräume und Absehen von Erteilungsvoraussetzungen wegen Vorliegens atypischer Fallgestaltungen im Rahmen von Familiennachzugsverfahren im Hinblick auf Sprachnachweise und Vorlage von Identitätsdokumenten;
  • großzügige Anwendung von § 36 Abs. 2 AufenthG zugunsten von Familienangehörigen außerhalb der formalen Kernfamilie, insbesondere zugunsten von volljährigen alleinstehenden Kindern;
  • Einrichtung eines Aufnahmeprogramms gem. § 23 AufenthG zugunsten von besonders vulnerablen und gefährdeten Personen / Personengruppen, und großzügige Anwendung von § 22 AufenthG;
  • Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen aus Griechenland, Serbien, Bosnien-Herzegowina und der Türkei;
  • Aufhebung des Entscheidungsstopps des BAMF und Schutzgewährung von afghanischen Schutzsuchenden;
  • Einstellung aller Widerrufs- und Rücknahmeverfahren zu Asylverfahren von afghanischen Schutzsuchenden;
  • sofortiger und von der IMK und dem BMI zu beschließender und unbefristeter Abschiebestopp für Afghanistan.

Gemeinsame Pressemitteilung von: Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV), Deutscher Anwaltverein (Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht, DAV), Europäisch Demokratische Anwält*innen (EDA), PRO ASYL, Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ), Rechtsberaterkonferenz der Wohlfahrtsverbände, 18. August 2021