PRO ASYL zum Koalitionsvertrag

erstellt von Pro Asyl — zuletzt geändert 2021-11-24T19:00:08+02:00
Licht und Schatten im Inland, doch die Zukunft des Asylrechts entscheidet sich auf EU-Ebene

Positiven Einigungen wie zum Familiennachzug,  zum Bleiberecht  und zur Abschaffung der Arbeitsverbote steht die weiter fortbestehende bis zu 18-monatige Isolierung Schutzsuchender in Erstaufnahmelagern gegenüber, analysiert PRO ASYL die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen.

Im Inland gibt es Licht und Schatten. PRO ASYL begrüßt die Verbesserungen beim Familiennachzug, die verabredeten gesetzlichen Verbesserungen etwa beim Bleiberecht, bei der Abschaffung der Arbeits- und Ausbildungsverbote. "Alle beschlossenen Gesetzesänderungen müssen nun in einem 100 Tage-Programm gesetzlich auf den Weg gebracht werden", fordert Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

100 Tage-Programm nötig

Zu einem 100 Tage-Programm gehört auch die  Aufnahme von bedrohten Menschenrechtsverteidigern aus Afghanistan. Ein Bundesaufnahmeprogramm muss schnell kommen, und auch  Afghan*innen, die über Subunternehmen für deutsche Einrichtungen und Ministerien gearbeitet haben, sowie die bedrohten erwachsenen Familienmitglieder schützen.

"Tief enttäuscht sind wir jedoch, dass die künftige Regierung die bis zu 18-monatige Isolierung in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht antastet", kritisiert  Burkhardt. "So werden gezielt Schutzsuchende ausgegrenzt, das Ankommen erschwert." 

Der Koalitionsvertrag weist eine weitere bedenkliche Leerstelle auf: Dass weiterhin Kranke und Traumatisierte abgeschoben werden können, darf nicht das letzte Wort sein.  Abschiebungen in Kriegs- und Krisengebiete werden nicht klar ausgeschlossen. Abschiebungen ins Elend an den EU-Grenzen  müssen aufhören – zu diesem Punkt ist der Koalitionsvertrag interpretationsoffen.

Entscheidende Zukunftsfrage des Asylrechts liegt in Europa

Doch die Zukunft des Flüchtlingsschutzes entscheidet sich in Europa. Hermetisch abgeschlossene EU-Grenzen kombiniert mit systematischen Pushbacks zu Land und zu See drohen, das Asylrecht zu zerstören. "Wir erwarten, dass die neue Koalition in Europa  für das Asylrecht kämpft und Menschenrechtsverletzungen gegenüber den EU Staaten klar benennt.

Jegliche finanzielle Unterstützung für Staaten wie Polen, Ungarn, Griechenland und Kroatien muss eingestellt werden, wenn die Pushbacks dort weitergehen. Kein Euro aus deutschen oder EU-Mitteln darf in den Bau neuer Mauern und Festungsanlagen fließen", fordert Günter Burkhardt.

Neues Innenministerium muss sich in EU für Recht auf Asyl einsetzen

Die Zukunft des Flüchtlingsschutzes entscheidet sich nicht in Deutschland, sondern auf den ägäischen Inseln, im Mittelmeer sowie an den polnischen, kroatischen und griechischen Landgrenzen. Wenn illegale Zurückweisungen – sogenannte  Pushbacks – an diesen Grenzen weitergehen, dann haben auch nationale Verbesserungen nur begrenzte Wirkung.

"Die Ampel muss  in Europa Farbe bekennen: Wir erwarten, dass sich das neu geführte Innenministerium in der EU für den Zugang zum Recht auf Asyl an den EU-Grenzen stark macht, Menschenrechtsverletzungen klar gegenüber den EU-Mitgliedstaaten benennt und sich mit allen Mitteln für einen effektiven Menschenrechtsschutz einsetzt.  Solchen Worten müssen dann auch Taten folgen, wie ein Ende finanzieller und anderer Unterstützung für den Grenzschutz von Ländern, die rechtsstaatliche Prinzipien missachten. Kein Euro aus deutschen oder EU-Mitteln darf in den Bau neuer Mauern und Festungsanlagen fließen", betont Burkhardt.

Hoffnung für getrennte Familien

Die Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen machen getrennten Familien Hoffnung: Die Verbesserung bei den Rechtsgrundlagen und die vorgesehene Beschleunigung beim Familiennachzug bedeuten, dass die jahrelange Trennung von ihren Familien absehbar ein Ende haben wird. "Nach jahrelangem Kampf der Betroffenen und der Zivilgesellschaft ist die notwendige Verbesserung beim Familiennachzug zum Greifen nahe. Doch auch bei erfolgter Änderung der Gesetze  ist die Arbeit nicht vorbei – wir brauchen im Auswärtigen Amt schnellere, digitale und unbürokratische Abläufe,  um endlich eine zügige Bearbeitung der Verfahren zu erreichen", kommentiert Burkhardt. 

Auch bezüglich des Spurwechsels werden im Koalitionsvertrag richtige Wege eingeschlagen. Diese zu beschreiten, liegt primär beim Bundesinnenministerium, das in den letzten Jahren eine Gesetzesverschärfung nach der anderen vorgelegt hat und stets die restriktivste Auslegungsart von Vorschriften vertreten hat. 

Aufnahmeprogramme für Afghan*innen nötig

Wie ernst es die neue Bundesregierung mit dem Schutz von Menschenrechten meint, wird sich auch an der konkreten Ausgestaltung einer Aufnahme aus Afghanistan zeigen. Ein Bundesaufnahmeprogramm muss so ausgestaltet werden, dass auch Afghan*innen, die über Subunternehmen für deutsche Einrichtungen und Ministerien gearbeitet haben, sowie die bedrohten erwachsenen Familienmitglieder geschützt werden.

Die Aufnahme von bedrohten Menschen aus Afghanistan muss – inklusive der erwachsenen Familienmitglieder – weitergeführt werden. "Wir erwarten jetzt sofort ein großzügiges und entschiedenes Aufnahmeprogramm für verfolgte Afghan*innen im Rahmen eines 100 Tage-Programmes", sagt Burkhardt.

Schutzsuchende Menschen die Grenzen passieren lassen

Für PRO ASYL geht es in den nächsten Jahren um die alles entscheidende Frage, ob der Zugang zum individuellen Recht auf Asyl an Europas Grenzen überhaupt noch möglich ist. Zwar bekennt sich die Ampel "zur humanitären Verantwortung, die sich aus dem Grundgesetz, aus der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention ergibt" und verspricht, mit den europäischen Partnern Anstrengungen zu unternehmen, "das Sterben auf dem Mittelmeer genauso wie das Leid an den europäischen Außengrenzen zu beenden".

Aber diesen Worten müssen nun Taten folgen. Das Kanzleramt, Innen- und Außenministerium müssen wirksamen Druck auf andere EU-Staaten ausüben, Schutzsuchende die Grenzen passieren zu lassen und den Zugang zum Recht zu ermöglichen. "Dies wird zur Nagelprobe für die Glaubwürdigkeit dieser Regierung werden", sagt Burkhardt.

Pro Asyl, Presseerklärung, 24. November 2021