PRO ASYL kritisiert Außenminister Maas: Lagebericht in Auftrag geben statt Abschiebungen zu rechtfertigen

erstellt von PRO ASYL — zuletzt geändert 2021-07-06T16:57:53+02:00
Am Dienstag wollen mehrere Bundesländer erneut Menschen in das Kriegs- und Krisenland Afghanistan abschieben.

PRO ASYL verurteilt dies als unverantwortlich und widerspricht damit entschieden Bundesaußenminister Heiko Maas, der Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan trotz der sich immer weiter verschlechternden Sicherheitslage nach wie vor für vertretbar hält.

PRO ASYL erwartet von Maas und seinem Auswärtigen Amt, einen aktuellen Lagebericht zu Afghanistan zu erstellen, der alle sich überschlagenden Entwicklungen der vergangenen Wochen aufnimmt. Die Bundesländer fordert PRO ASYL erneut auf, sofort einen Abschiebestopp für drei Monate zu erlassen sowie die für Dienstag von Hannover aus geplante 40. Sammelabschiebung zu stoppen.

Abschiebungen in ein lebensgefährliches Land unverantwortlich

Die Bundeswehr hat ihre letzten Soldaten aus Afghanistan ausgeflogen, die US-Armee ist kurz vor dem Abschluss ihres Rückzugs,  die Taliban erobern immer mehr Gebiete und gewinnen mehr Einfluss. "Es ist unverantwortlich, dass sicherheitspolitische Fakten von den Innenministerien der Länder weiterhin weggeschwiegen werden und Heiko Maas nichts anderes einfällt, als Abschiebungen in ein lebensgefährliches Land zu rechtfertigen. Anstatt einen neuen Lagebericht zu veranlassen, schaut Maas tatenlos zu und rechtfertigt die Abschiebungen", kritisiert Günter Burkhardt, Geschäftsführer von PRO ASYL.

"Ein neuer Lagebericht des Auswärtigen Amts ist mehr als überfällig", so Günter Burkhardt. Denn der derzeitige Lagebericht des Auswärtigen Amts, auf dessen Grundlage Behörden und Gerichte die Lage einschätzen, ist vom Juli 2020 und somit ein Jahr alt. Darin heißt es laut tageschau.de: Dem Auswärtigen Amt seien "keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden".

Maas hat laut dpa am Montag gesagt: "Bisher gab es sicherlich eine Zunahme von Gewalt, die es auch in der Vergangenheit gegeben hat. Sollte sich das weiter dramatisieren, wird sich das auch in unseren Berichten niederschlagen. Welche Auswirkungen das dann auf die Frage hat, ob Menschen noch abgeschoben werden können nach Afghanistan, wird man dann sehen. Bei dem was, wir bisher an Informationen haben, halte ich die bisherige Praxis aber nach wie vor für vertretbar."

Lagebericht ist ein Jahr alt - Neuer Bericht ist mehr als überfällig

Doch eine Anfang Juni veröffentlichte Studie der Afghanistan-Expertin Friederike Stahlmann zur Gefährdungslage Abgeschobener kommt zu ganz anderen Ergebnissen – und das bei Recherchen, die vor dem von den westlichen Truppen angekündigten Truppenabzug lagen: Nach den Erkenntnissen der Langzeitrecherche, herausgegeben von Diakonie und Brot für die Welt, sind aus Deutschland abgeschobene Afghanen einer erneuten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt. Ihnen wird wegen der Flucht nach Europa Verrat, Verwestlichung, unmoralisches Verhalten oder die Abkehr vom Islam vorgeworfen.

Eine neue, für Asylanträge fundamental wichtige, Erkenntnis ist: Den Abgeschobenen fehlt meist das für das Überleben notwendige soziale Netz. Das ist ein Abschiebehindernis, denn Gerichte, darunter auch der Verwaltungsgerichtshof in Baden-Württemberg, hatten festgestellt, dass abgelehnten Afghanen eine Rückkehr ohne ein stabiles familiäres oder soziales Netzwerk in Afghanistan nicht zuzumuten ist.

Taliban rücken immer weiter vor

Seit den Recherchen für die Studie ist die Situation in Afghanistan aber noch schlimmer geworden: Die Bundeswehr ist bereits abgezogen, die US-Truppen werden ihren Rückzug bald abgeschlossen haben, die Taliban erobern immer mehr Gebiete und Einfluss, Zehntausende Menschen wurden bereits laut UNOCHA (Amt der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten) durch die Kämpfe vertrieben, die Versorgungslage wird immer schlechter, die Delta-Covid-Welle droht und die Taliban kündigen an, die Scharia einführen zu wollen.

Presseerklärung 6. Juli 2021