Nein zum erneuten Lockdown!

Doña Carmen e.V., Verein für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten, lehnt die erneute bundesweite Schließung von Prostitutionsstätten entschieden ab.

In allen 14 Bundesländern, in denen die Wiedereröffnung der Bordelle durch rechtliche Schritte und/oder politische Proteste in den letzten Monaten wieder erstritten werden konnte, gilt die für das Prostitutionsgewerbe typische „1:1-Konstellation“ bei der Erbringung sexueller Dienstleistungen. Das heißt: Kontaktbeschränkung ist sexuellen Dienstleistungen per se immanent. Das Prostitutionsgewerbe ist auch aus diesem Grund nicht als Treiber der Corona-Pandemie in Erscheinung getreten.

Erneute bundesweite Bordellschließungen im Namen einer „Einschränkung von Kontakten“ sind daher absurd und in keiner Weise nachvollziehbar. Sie sind grober politischer Unfug und im Hinblick auf Corona-Eindämmung gänzlich unverhältnismäßig. Sie verdanken sich ganz anderen Motiven als legitimen gesundheitspolitischen Erwägungen zur Eindämmung von Neuinfektionen.

Denn die Neuauflage der Verbotspolitik gegenüber dem Prostitutionsgewerbe ist bekanntermaßen gesundheitspolitisch kontraproduktiv, da sie die Abdrängung von Sexarbeit in informelle Strukturen zur Folge hat, wo im Unterschied zu Prostitutions-stätten sinnvolle Standards im Hinblick auf Arbeitsbedingungen und Gesundheitsschutz nicht zu gewährleisten sind.

Die erneute bundesweite Schließung von Prostitutionsstätten wird aber, das lässt sich voraussagen, den wirtschaftlichen Ruin vieler Betreiber/innen und damit den Verlust regulärer Beschäftigungsmöglichkeiten für Sexarbeiter/innen zur Folge haben.

Tatsache ist:
Das Prostitutionsgewerbe gehört hierzulande neben dem Veranstaltungsgewerbe zu jenen Branchen, die durch eine als unverhältnismäßig und verfehlt zu bewertende staatliche Schließungspolitik systematisch ausgeblutet wird. Vom ersten Lockdown war das Prostitutionsgewerbe überproportional betroffen.

Bezogen auf alle 16 Bundesländer dauerte der erste Lockdown in jedem Bundesland im Schnitt 179 Tage. In Hessen und Mecklenburg-Vorpommern wurde der erste Lockdown sogar bis heute nicht aufgehoben und währt bereits 231 Tage, wenn am 2. Nov. 2020 der zweite Lockdown beginnt, in den man nahtlos hineinschliddert.

Ende November wird das Prostitutionsgewerbe bundesweit im Schnitt 208 Tage oder 57 % des Jahres 2020 im Lockdown verbracht haben – mit Aussicht auf Verlängerung, da der Dezember 2020 dabei noch gar nicht berücksichtigt ist.

Daran wird ersichtlich: Die Corona-Lockdown-Politik der Bundesregierung und der Landesregierungen betreibt eine systematische Existenzvernichtung im Prostitutionsgewerbe und beschleunigt so eine Tendenz, die bereits mit dem 2017 in Kraft getretenen Prostituiertenschutzgesetz begonnen wurde: Die Zahl der (nicht nur vorläufig und somit nur fiktiv) genehmigten Prostitutionsstätten wird seitdem gezielt nach unten gedrückt und Sexarbeiter/innen durch eine repressive Politik der Zwangsregistrierung, der Zwangsberatungen und der Stigmatisierung mittels Hurenpässe unter Druck gesetzt und in die Illegalität getrieben.

Genau diese Politik rächt sich jetzt in Corona-Zeiten, wo es eigentlich um eine sinnvolle und durchdachte Politik der Zurückdrängung von Neu-Infektionen gehen müsste. Doch die Prostitutionspolitik der Großen Koalition leistet nach wie vor nur eines: Sie befördert informelle Strukturen, die sinnvoller Regulierung weitgehend unzugänglich sind.

Doña Carmen e.V. verurteilt daher aufs Schärfste nicht nur die erneute Schließung von Prostitutionsstätten, sondern die gesamte perspektivlose Lockdown- und Repressionspolitik, die den politischen Rahmen für die Schließung der Bordelle bildet.

Denn immer offensichtlicher wird: Eine Eindämmung des Corona-Virus kann nicht gelingen, wenn sie auf Grundlage von Maßnahmen erfolgt, die auf einen Polizei- und Überwachungsstaat zielen.

Anstatt der Aufrechterhaltung einer verpflichtenden, staatlich verordneten, aber längst gescheiterten „Kontaktdatennachverfolgung“, anstatt des Einsatzes von Militär in Gesundheitsämtern und von Bundespolizei in den Städten, anstatt der geplanten Schleierfahndungen, die die Bevölkerung hierzulande zum Feind erklärt und nichts bewirkt, außer ein Klima der Angst zu schüren, sollte endlich der Schutz der wirklich gefährdeten Menschen durch eine ausreichende personelle und finanzielle Ausstattung des Gesundheitssystems im Vordergrund stehen.

Als Prostituiertenselbsthilfeorganisation wird Doña Carmen e.V. auch im bevorstehenden erneuten Lockdown nicht schließen, sondern seine Beratungen unvermindert fortführen. Das sind wir den über 300 Sexarbeiter/innen schuldig, die wir gegenwärtig betreuen und unterstützen, aber auch den mehr als 100 Frauen, die mit Hilfe von Doña Carmen e.V. gegenwärtig ALG-II-Leistungen beziehen und Termine einhalten müssen. Wir werden diese Frauen nicht auf der Straße und im Regen stehen lassen.

Der erneute oder (in Hessen) fortgesetzte Bordell-Lockdown verschärft deren Situation.

Deshalb fordert Doña Carmen e.V. mit Nachdruck: Weg mit dem Lockdown!