Mietentscheid Frankfurt: Brief an die Koalitionsmitglieder von CDU, SPD und Grünen

Kritik an der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung und wiederholtes Angebot für Gespräche

Frankfurt am Main, den 9. April 2020

Sehr geehrtes Mitglied der Regierungskoalition,

dass die Mehrheit der Stadtverordneten und vor allem die Mitglieder der Koalition von CDU, SPD und Grünen das negative Rechtsgutachten zum Mietentscheid am 26.03. bestätigt und damit das BürgerInnenbegehren abgelehnt haben, kam für uns angesichts der vorherigen Debatten sicherlich nicht überraschend. Dennoch sind wir über diese Entscheidung enttäuscht und halten sie aus demokratiepolitischen, wohnungspolitischen und juristischen Gründen für falsch.

Erstens sendet diese Entscheidung demokratiepolitisch ein fatales Signal, da der Wille von 25.000 FrankfurterInnen, die mit ihrer Unterschrift eine direktdemokratische Entscheidung eingefordert haben, abgebügelt wird. Die erfolgreiche Unterschriftensammlung zeigt eindeutig, dass die Stadtbevölkerung ihr Mitbestimmungsrecht über öffentliche Unternehmen wahrnehmen möchte. Mit der Ablehnung des BürgerInnenbegehrens wird den FrankfurterInnen jedoch der direkte Einfluss  auf politischen Willensbildungs- und Entscheidungsprozesse in kommunalen Sachfragen verwehrt. Auch nach einem Jahr Verzögerungstaktik durch den Magistrat will die Mehrheit der FrankfurterInnen an den Wahlurnen über die zukünftige Ausrichtung der ABG entscheiden, deren Zweck laut Gesellschaftervertrag zwischen Stadt Frankfurt und der stadteigenen Wohnungsgesellschaft ABG Frankfurt Holding eine „sozial verantwortbare Wohnungsversorgung“ ist.

Zweitens ist die Entscheidung der STVV wohnungspolitisch verheerend. Seit Anfang der 1990 ist der Sozialwohnungsbestand der Stadt Frankfurt von 70.000 Wohneinheiten auf deutlich unter 30.000 gesunken; während zugleich knapp die Hälfte aller MieterInnen vom Einkommen her Anspruch auf eine Sozialwohnung hat und knapp 24.000 Anspruchsberechtigte als wohnungssuchend auf der Liste des Wohnungsamtes stehen und verzweifelt auf eine für sie bezahlbare Wohnung warten. Die bislang von der Stadt initiierten Maßnahmen (Erhöhung der Fördermittel, Baulandbeschluss, etc.) sind aufgrund ihrer quantitativ geringen Reichweite nicht geeignet die Wohnungsnot, mit der sich vor allem untere Einkommensgruppen konfrontiert sehen, nennenswert abzuschwächen. Vielmehr verbleiben sie vom Umfang her auf einer symbolischen und wenig problemlösenden Ebene. Dagegen hat der Mietentscheid mit seinen drei Forderungen pragmatische Konzepte vorgelegt, wie in relativ kurzer Zeit der Bestand an geförderten Wohnungen im 1. und 2. Förderweg wieder deutlich ausgeweitet und die Wohnungsnot damit zumindest stark gelindert werden können.

Und schließlich steht das Rechtsgutachten juristisch auf sehr wackeligen Beinen. Zum einen beruhen wesentliche Passagen des Gutachtens auf Behauptungen der ABG, die weder belegt noch inhaltlich begründet werden. Zum anderen drängt sich der Eindruck auf, dass es sich um ein politisch beeinflusstes Gefälligkeitsgutachten handelt. Diesbezüglich sei hier nur ein Beispiel genannt. Während das Rechtsgutachten in der Version vom 17.01.2020 auf Grundlage von Angaben des Stadtplanungsamtes zu dem Schluss kommt, dass die Kostenschätzung des Mietentscheids „in einem realistischen Bereich auf Grundlage des Berechnungstools der Abteilung Wohnraumförderung“ liegt, wurde dieser entscheidende Satz in der abschließenden Version vom 05.02.2020 kommentar- und ersatzlos gestrichen. Ein Gutachten, das offenbar in Gutsherrenart politisch manipuliert wird, kann kaum eine belastbare Grundlage für eine juristische Fragestellung sein. Wir gehen davon aus, dass das Verwaltungsgericht dieser Auffassung folgen wird.

Aus den drei genannten Gründen bedauern wir die Entscheidung der STVV sehr, da sie uns letztlich keine andere Wahl lässt, als auf juristischem Wege das BürgerInnenbegehren durchzusetzen. Nichtsdestotrotz bleiben wir offen für Gesprächsangebote. Angesichts der sich aktuell durch die Corona-Pandemie drastisch verschärfenden Lage am Wohnungsmarkt ist es dringend geboten, insbesondere die kurzfristig wirkenden Forderungen 2 (Absenkung der Miete) und 3 (Neuvermietung zu den Bedingungen des geförderten Wohnungsbaus) schnell umzusetzen. Somit verbleiben wir in der Hoffnung, dass insbesondere die Stadtverordneten der Koalition aus CDU, SPD und Grünen mit uns nach Wegen suchen, zumindest diese beiden Forderungen zur Schaffung bezahlbaren Wohnraums schnell umzusetzen.

Auch haben wir die Bereitschaft zu Gesprächen wahrgenommen, die im Rechtsgutachten und gegenüber der Presse von den Koalitionsfraktionen geäußert wurden. Bisher ist allerdings kein konkretes Gesprächsangebot bei uns eingegangen. Deshalb können wir nur erneut darauf hinweisen: Melden Sie sich jederzeit unter info@mietentscheid-frankfurt.de  und/oder bei unseren Vertrauenspersonen mit einem Terminvorschlag, sofern Sie als Koalition eine konkrete abgestimmte Gesprächsgrundlage an uns richten können.

Mit freundlichen Grüßen

Bündnis Mietentscheid Frankfurt