Kriminalisierung von Sexarbeit begünstigt Rechtsterrorismus

erstellt von Dona Carmen e.V. — zuletzt geändert 2022-05-01T09:03:00+01:00
Neben dem repressiven so genannten „Prostituiertenschutzgesetz" sind es diskriminierende prostitutionsspezifische Sonderregelungen im Straf- und Ordnungsrecht, mit denen Sexarbeit hierzulande nach wie vor kriminalisiert wird.

Nur weil sie der Prostitution nachgehen, können Sexarbeiter*innen nach Belieben als „Täter*innen" traktiert und schikaniert werden.

Täterschutz durch die Polizei

Darauf verweist ein bizarres Ereignis, das jüngst im Zusammenhang der Ermittlungen zum Attentat von Hanau durch die Aussagen einer Sexarbeiterin ans Licht der Öffentlichkeit kam.

Am 19. Feb. 2020 ermordete der Psychopath und Rechtsterrorist Tobias R. aus rassistischen Motiven Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saraçoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov.

 2018, also 2 Jahre zuvor, bestellte Tobias R. – wie erst jetzt bekannt wurde (FR, 26.04.2022) – die Mitarbeiterin eines Escort-Service in ein bayerisches Ferienhaus und verlangte von ihr, gemäß dem Drehbuch für einen Horrorfilm einen Tanz vorzuführen, so als ob es der letzte Tanz ihres Lebens sei. Im Film selbst fand man am Ende eine Frauenleiche. Die von Tobias R. mitgeführte und demonstrativ zur Schau gestellte Schusswaffe und ein Messer versetzten die angereiste Sexarbeiterin verständlicherweise in Alarmstimmung und in Todesängste.

Es gelang ihr jedoch, in einem unbemerkten Augenblick telefonisch die Polizei zu ver-ständigen. Diese traf zwar rechtzeitig am Ort des Geschehens ein, zeigte aber mehr Interesse am „Fehlverhalten" der Sexarbeiterin – „Ausübung der verbotenen Prostitution im Sperrgebiet" – als an der von Tobias R. ausgehenden Bedrohung von Leib und Leben. Nach Aussagen eines mit dem Fall betrauten BKA-Hauptkommissars gegenüber dem Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zeigten die Polizeibeamten vor Ort kein gesteigertes Interesse, das betreffende Haus nach Waffen zu durchsuchen. Vielmehr zeigten sie Verständnis für die sexuellen Vorlieben des Kunden der Sexarbeiterin!

Gegen den späteren Rechtsterroristen Tobias R. wurde schließlich nur wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, nicht aber wegen Bedrohung mit Gewehr und Messer ermittelt! Die Sexarbeiterin dagegen erhielt eine Anzeige wegen „Ausübung verbotener Prostitution im Sperrgebiet". Zwar wurde das Verfahren gegen sie am Ende eingestellt, doch blieb sie auf den Anwaltskosten sitzen.

Das Opfer wird zum Täter

Das in diesem scheinbar unbedeutenden Vorfall zum Vorschein kommende Verhalten der Polizei ist ungeheuerlich. Es reiht sich ein in eine ganze Serie von „Pleiten, Pech und Pannen" im Vorfeld und während des rechtsterroristischen Attentats von Hanau. Sexarbeiter *innen haben ein ausgeprägtes Gespür für „toxische Männlichkeit". Wenn sie sich an die Polizei wenden, sollte man das schätzen, nicht aber den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen relativieren. Klar ist: Unter solchen Umständen können Sexarbeiter*innen kein Interesse daran haben, bei Kontakt mit rechten Polit-Psychopathen die Polizei einzuschalten.

Der eigentliche Skandal besteht nicht in erster Linie im individuellen Fehlverhalten der vor Ort tätigen bayerischen Polizeibeamten, sondern darin, dass das System der rechtlichen Kriminalisierung von Prostitution es geboten erscheinen lässt, Sexarbeiter *innen in die Täter-Rolle zu drängen. Statt ihre Expertise ernst zu nehmen, werden sie persönlich gebrandmarkt. Gegenüber Personen, die qua Beruf einem kriminalisieren-den Sonderrecht unterworfen sind, scheint diese persönliche Diskriminierung und Herabwürdigung offenbar legitim.

 Kriminalisierung von Prostitution hat System

► Diese Kriminalisierung beginnt mit Art. 297 EGStGB, der Rechtsgrundlage für alle Sperrgebiets-regelungen. Die Ordnungsrechts-Paragrafen § 119 („Grob anstößige Handlungen") und § 120 („Verbotene Ausübung der Prostitution / Werbung für Prostitution) reihen sich da ein.

§ 104 Strafprozessordnung erlaubt die „Durchsuchung von Räumen zur Nachtzeit", die „als Schlupfwinkel des Glücksspiels, des unerlaubten Betäubungsmittel- und Waffenhandels oder der Prostitution bekannt sind". Hier wird Prostitution direkt mit Verbrechen gleichgesetzt.

► Allein in 12 von 16 Bundesländern wird der Polizei mittels Landespolizeigesetzen mit Bezug auf § 104 Abs. 3 StPO das Recht eingeräumt, nachts Wohnungen und Geschäftsräume zu betreten und zu durchsuchen, die der Prostitution dienen, ohne dass eine „Gefahr im Verzug" vorliegen muss.

► In den Strafrechts-Paragrafen § 184 f StGB („Ausübung der verbotenen Prostitution") und § 184 g StGB („Jugendgefährdende Prostitution") finden sich ausweislich der Polizeilichen Kriminalstatistik zwar reichlich Täter*innen, nicht aber Opfer. Opfer sind vielmehr die der Prostitution nachgehenden Frauen, die für die Übertretung der eigens für sie geschaffenen Delikte bestraft werden.

► Weitere fünf prostitutionsspezifische Strafrechtsparagrafen behindern unter dem Vorwand des „Schutzes" der Sexarbeiter*innen die freie Berufsausübung in der Prostitution. Dazu zählen § 180a StGB („Ausbeutung von Prostituierten"), § 181a StGB („Zuhälterei"), § 232 StGB („Menschenhandel"), § 232a StGB („Zwangsprostitution") und § 233a StGB („Ausbeutung und Freiheitsberaubung").

Prostitution ist heute der einzige Beruf, der umfangreich strafrechtlich reglementiert wird. Das wird immer fragwürdiger: Ausweislich der jüngst veröffentlichten Verurteilten-Statistik ist nur 1 von 1.000 Personen in der Prostitution nachgewiesenermaßen von angeblich „prostitutions-spezifischer" Kriminalität betroffen. 99,9 % aller Sexarbeiter*innen sind also nicht davon betroffen. Die strafrechtliche Reglementierung von Prostitution ist folglich überflüssig.  

  • Doña Carmen e.V. fordert – so wie jetzt auch in Belgien geschehen – die voll ständige Streichung sämtlicher Strafrechts-Paragrafen zu Prostitution sowie die rechtliche Gleichbehandlung von Prostitution mit anderen Berufen! Das so genannte „Prostituiertenschutzgesetz" muss weg!
  • Doña Carmen e.V. wird die Kritik am oben geschilderten Fall und am polizeilichen Umgang mit der Sexarbeiterin durch bayerische Polizisten am 12. Mai 2022 bei einer Anhörung im Bayerischen Landtag zur Sprache bringen!

Pressemitteilung 29.04.2022