Kontraproduktiv und verfassungswidrig:

erstellt von Doña Carmen e.V. — zuletzt geändert 2020-03-29T12:39:25+01:00
Nein zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes im Schweinsgalopp!

Doña Carmen e.V. kritisiert und missbilligt die gestern im Bundestag beschlossene

Änderung des Infektionsschutzgesetzes und fordert den Bundesrat auf, der vorliegenden Novelle in seiner morgigen Sitzung nicht zuzustimmen!

Angesichts der Befürchtungen um eine weitere Ausbreitung des Coronavirus will die Bundesregierung mit der Novellierung des Infektionsschutzgesetzes notwendige gesundheitliche Präventionsmaßnahmen konkretisieren und ausweiten. So sehr ein solches Anliegen nachvollziehbar ist, so wenig ist es hinnehmbar, wenn die Bundesregierung diesen Anlass schamlos ausnutzt und missbraucht für Zwecke autoritären Regierungshandelns jenseits der geltenden Verfassung.

 In einem ‚Offenen Brief‘ an Bundesgesundheitsminister Jens Spahn hat Doña Carmen e.V. im Interesse der rund 90.000 nach wie vor rechtlich diskriminierten, zumeist migrantischen Sexarbeiter/innen erst kürzlich die dringend erforderliche Änderung des § 19 Infektionsschutzgesetz angemahnt.

 Dabei geht es um die gesetzliche Verankerung eines garantierten Rechtsanspruchs auf freiwillige, anonyme und kostenfreie Gesundheitsberatung sowie des Rechtsanspruchs auf aufsuchende Arbeit in allen 81 bundesdeutschen Großstädten mit über 100.000 Einwohnern bei Personen, „deren Lebensumstände eine erhöhte Ansteckungsgefahr für sich und andere mit sich bringen“ können.

 Dieses berechtigte Anliegen schlägt das nun vorgelegte novellierte Infektionsschutzgesetz vollkommen in den Wind. Es ist ein Charakteristikum der vorliegenden Novelle, dass sie sich stattdessen beschränkt auf eine Blanko-Ermächtigung des Bundesgesundheitsministers, im Falle einer „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ mit Verordnungen autoritär durchregieren und auf verfassungsmäßig bedenkliche Weise elementare Freiheitsrechte beschneiden zu können.

 Damit werden ausschließlich Maßnahmen ins Auge gefasst für den Fall, dass das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Sinnvolle präventive Schritte im Vorfeld nationaler Notlagen wie die von Doña Carmen e.V. vorgeschlagenen Gesetzesänderungen werden erst gar nicht ins Auge gefasst. Diese fatale und kontraproduktive Verkürzung des Blickwinkels lehnen wir ganz entschieden ab.

Zudem werden in § 5 Abs. 2 des novellierten Infektionsschutzgesetzes sämtliche beabsichtigten Maßnahmen in einen Rahmen gepresst, der die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes aushebelt und in der Konsequenz mit Füßen tritt.

 Denn das vom Bundesgesundheitsminister in § 5 Abs. 2 IfSG nun angemaßte Recht, ohne Zustimmung des Bundesrats einfach per Rechtsverordnung Ausnahmen von bestehenden gesetzlichen Bestimmungen mit sofortiger Wirkung erlassen zu können, ist eine maßlose Ausweitung exekutiver Befugnisse, die erkennbar im Widerspruch zum Grundgesetz steht.

Den Ermächtigungen in § 5 Abs. 2 Infektionsschutzgesetz fehlt die grundgesetzlich vorgeschriebene Bestimmtheit (Art. 80 Abs. 1 GG) und sie unterlaufen den in Art. 83 GG verankerten Grundsatz, dass die Ausführung des Infektionsschutzgesetzes Sache der Länder ist. Eine derartige Verfassungsänderung ist mittels eines einfachen Gesetzes gar nicht möglich. Da Verordnungen in der Rangordnung unterhalb von Gesetzen stehen, können sie deren Bestimmungen zudem nicht durch Ausnahmen generierende Notverordnungen außer Kraft setzen.

Hinzu kommt die mehr als problematische Änderung des § 28 Infektionsschutzgesetz, mit der zukünftig Ausgangssperren gegenüber der gesamten Bevölkerung und damit die weitgehende Stilllegung des öffentlichen Lebens gerechtfertigt und durchgesetzt werden soll. Eine Beschränkung solch weitgehender Grundrechtseingriffe auf tatsächliche Träger ansteckender Erkrankungen ist nicht vorgesehen. Auch hier erhält die Exekutive weitreichende Befugnisse auf unbestimmter Grundlage. 

So berechtigt es ist, gesellschaftliche Notlagen zu bewältigen, so wenig darf dies doch unter Preisgabe grundlegender demokratischer Grundsätze erfolgen. Es würde völlig genügen, Risikogruppen stärker zu schützen, anstatt die Grund- und Freiheitsrechte aller außer Kraft zu setzen, wie es mit dem neuen Infektionsschutzgesetz gerade geschieht.

 Sexarbeiter/innen kennen aus bitterer eigener Erfahrung die unter dem Vorwand des Schutzes betriebene staatliche Missachtung grundlegender demokratischer Rechte im Zuge der Verabschiedung und Umsetzung des Prostituiertenschutzgesetzes. Daher haben sie guten Grund, einem ähnlichen Vorgehen im Zusammenhang des Infektionsschutzgesetzes entschieden zu widersprechen.

 Daher gilt: Keine Zustimmung zu einem Gesetz, das demokratische Grundrechte unter Notstandsvorbehalt stellt!

 Doña Carmen e.V., Pressemitteilung, 26. März 2020