Hiroshima und Büchel warnen
-- Rede von Ulrich Gottstein, IPPNW am 6. August 2015 auf dem Frankfurter Römerberg -- Heute erinnern wir uns der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki, und ich verstehe, warum ich gebeten wurde, zu Ihnen zu sprechen. Denn es gibt ja nicht mehr viele Menschen hier in Frankfurt, die bewusst den Einschnitt in die Weltgeschichte am „Hiroshimatag“ erlebt haben, den Beginn des nuklearen Zeitalters, in dem es es möglich wurde, alles Leben auf der Erde zu vernichten.
Ich war damals bereits fast ein Jahr in englischer Kriegsgefangenschaft. Wir erfuhren, dass die Amerikaner zwei Superbomben über Japan abgeworfen hätten und dachten, es wären besonders gewaltige Luftminen gewesen, wie ich sie vom Bombenkrieg auf Berlin auch kannte. Erst später erfuhren wir, dass es Atombomben gewesen waren, die schlagartig 92.000 Menschen verbrannten, zerschmetterten und tötlich verstrahlten. Zum Jahresende waren insgesamt 220.000 Menschen gestorben. Das körperliche und seelische Leid der jetzt nur noch wenigen Überlebenden, aber ihrer Familien hält bis zum heutigen Tag an.
Vor der teuflischen Erfindung der Atombomben war der 2. Weltkrieg ja auch schon sehr grausam gewesen. Wir hatten ja erlebt, wie Hunderte alliierter Flugzeuge Tausende Spreng-und Brandbomben abwarfen, und ganze Innenstädte, wie z.B. von Berlin, Hamburg, Dresden oder auch Frankfurt zerstört wurden. Seit 1945 reicht nun aber eine einzige Bombe, eine Atombombe aus, um hunderttausend Menschen zu töten und eine Stadt auszulöschen.
Meine Damen und Herren, wo wir jetzt stehen, war noch 1971, als ich nach Frankfurt zog, ein weiter leerer Platz, an dem nur Entlüftungsschornsteine von der Tiefgarage hässlich emporragten. All die jetzt wieder aufgebauten schönen Gebäude, die von Strömen deutscher und vor allem ausländischer Besucher bestaunt werden, existierten nach 1945 nicht mehr, sie waren durch die Bombenangriffe zerstört worden. Eine einzige moderne Atombombe heute auf den Frankfurter Flughafen würde die Stadt Frankfurt wieder in einen Trümmerhaufen verwandeln!
Ein Atombombenangriff, wie auf Hiroshima und Nagasaki, hätte Deutschland auch treffen können, wäre nicht fünf Wochen vor der ersten Atombomben Testexplosion am 14.Juli (in der Wüste New Mexicos) bei uns der Krieg zu Ende gewesen. Denn die US-Atombomben waren ja zur Vernichtung Hitler-Deutschlands bestimmt gewesen. Das tragische Schicksal traf dann Japan, nur 3 Monate später. Präsident Truman wollte auf jeden Fall die zerstörerische Kraft der neu erfundenen Atombomben der Welt, insbesondere der Sowjetunion demonstrieren und das Resultat nach der Auslöschung einer bewohnten Stadt auswerten können. Dazu musste noch ein Kriegszustand bestehen, wie das für Japan nur noch für wenige Tage der Fall war.
Oft liest man in den Medien, deutsche Physiker wären auch dabei gewesen, eine Atombombe zu konstruieren. Das stimmt jedoch nicht, denn damals waren sie nicht in der Lage, genügend Uran hoch anzureichern, wie es zur Kettenreaktion und Explosion erforderlich ist. Und es gab auch noch keine Kernreaktoren, in denen Plutonium gewonnen wird. So konnte man in Deutschland Gott sei Dank weder eine Uranatombombe, wie die von Hiroshima, noch eine Plutoniumbombe, wie die von Nagasaki, bauen. Hätte die Möglichkeit bestanden, hätte Hitler natürlich den Einsatzbefehl gegeben.
Jetzt aber hätte Deutschland die Möglichkeit, Atombomben zu bauen, denn genug angereichertes Uran ist vorhanden, und ebenfalls Plutonium, das jeden einzigen Tag in unseren Kernkraftwerken entsteht. Glücklicherweise aber hat Deutschland auf den Besitz von Atomwaffen vertraglich verzichtet, auch seit 1968 im unterzeichneten Atomwaffensperrvertrag, und dass das so bleibt, dass Deutschland nicht aus dem Vertrag aussteigt, dafür müssen wir als deutsche Zivilgesellschaft sorgen!
Aber nicht nur das, wir müssen außerdem fordern, dass endlich die 20-25 amerikanischen Atombomben vom Fliegerhorst Büchel in Rheinland-Pfalz abtransportiert werden, wo deutsche Piloten auf deutschen Kampfflugzeugen den Abwurf und Abschuss von modernisierten Atombomben üben müssen, die zehnfach stärker als die von Hiroshima sind. Warum wohl ? Weil Deutschland sich als NATO-Mitglied zur „Nuklearen Teilhabe“ verpflichtet hat. Das heißt, wir sind zwar nicht Eigentümer von Atombomben, aber haben auf deutschem Boden NATO-Atombomben und üben mit ihnen, besitzen sie also doch, wenn wir auch nicht die Befehlsgewalt zum Einsatz haben. Aber, wir sind Teil des geübten Atomkriegs ! Das muss ein Ende haben. Wir verlangen die Erfüllung der Forderung des Deutschen Bundestages von 2010, die NATO solle die Atomwaffen aus Deutschland entfernen!
Warum deponieren die USA Atombomben in Deutschland? Natürlich, um damit zu drohen und sie im Ernstfall rasch einsetzen zu können. Trotz vieler internationaler Abkommen zum kontinuierlichen Abbau der Atomwaffendepots, wie auch jetzt wieder vor 3 Monaten in New York bei der Überprüfungskonferenz des Atomwaffen Sperrvertrags, werden die Atombomben nicht abgebaut, sondern sie werden sogar modernisiert, um noch teuflischer und zerstörerischer wirken zu können . Milliarden von Dollar, Rubel, Pfund und anderen Währungen werden dafür ausgegeben, die so dringend zur Kriegsverhütung, nämlich zur Verbesserung der Lebensqualität der Menschheit, benötigt werden. Dafür aber fehlt angeblich das Geld, eine unglaubliche und unmenschliche Aussage!
Prof. Neuneck wird nachher im Haus am Dom beschreiben, wie oft schon unsere Erde vor einer Atomkriegsgefahr stand, denken Sie nur an die Kuba-Krise, oder wie oft ein technisches oder menschliches Versagen beinahe zur Katastrophe geführt hätte.
Wie kommt es, dass wir in Deutschland keinen Aufschreih in der Zivilgesellschaft haben, mit der Forderung, die gegen das Völkerrecht verstoßenden Atomwaffen durch den UN- Sicherheitsrat zu verbieten ? Die Antwort ist, wir Deutschen haben uns an das über unseren Köpfen hängende Damoklesschwert gewöhnt und reagieren auch nicht, wenn jetzt nach Beginn der Ukraine Krise neue russische Atomraketen auf der Krim stationiert werden sollten, und modernisierte amerikanische Atombomben nach Europa gebracht werden, und an der Grenze zum Baltikum Vorbereitungen für die Installierung von Atomwaffenträgern getroffen werden sollen. Wir Menschen interessieren uns auch nicht für die wissenschaftlichen neuen Erkenntnisse, nach denen es zu einem „nuklearen Winter“ mit der Folge von globalen Hungerepidemien kommen würde, wenn auch nur ein Bruchteil des vorhandenen Atomwaffenbestandes bei einem auch nur regionalen Atomkrieg explodieren würde. Wir Menschen regen uns auch nicht über die neuen Erkenntnisse auf, dass die Fortentwicklung der Hacker Techniken es möglich erscheinen lassen, in das Computersystem der Atomraketen Abschuss Systeme einzugreifen. Wir wissen heute auch, dass es verantwortungslose und terroristische Gruppierungen und Regierungen gibt, die solche Massenvernichtungswaffen einsetzen würden, wenn sie ihrer habhaft würden, selbst wenn sie selbstmörderisch sind.
Aus all dem Gesagten ergibt sich die dringende Notwendigkeit, weltweit die Atomwaffen zu ächten, zu verbieten und schnellst möglich abzuschaffen. Das aber wollen die Atomwaffenmächte nicht, deshalb müssen wir Bürger und Bürgerinnen aktiv werden und laut und eindeutig die Atomwaffen, seien sie in „guten“ oder „bösen“ Händen, ablehnen, d.h. sie ächten. Auch dem Verbot der Chemie- und Bakteriologischen Massenvernichtungswaffen ging der weltweite Protest der Zivilgesellschaft voraus, bis endlich das Verbot durch den UN-Sicherheitsrat erfolgte.
Vor fünf Jahren ist eine internationale Bürger Initiative zur Ächtung der Atomwaffen gebildet worden, die seit dem letzten Jahr von der Österreichischen Regierung sehr gefördert wird, und sich verpflichtet, aktiv das Verbot aller Atomwaffen zu fordern. Diese Forderungen sind bereits von weiteren 108 Nicht-Atomwaffen-Staaten unterschrieben worden. Der Name der Initiative und ihrer Selbstverpflichtung ist „humanitarian pledge“, also „ Humanitäre Verpflichtung“, eine Verpflichtung für die Menschheit. Diese Verpflichtung ist auch unsere, also der „Internationalen Ärztlichen Friedensbewegung zur Verhütung eines Atomkriegs“ (IPPNW), sowie der von uns initiierten Bewegung für alle Berufsgruppen, die „Internatioanle Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen“ ( ICAN).
Meine Damen und Herren, 70 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki ist es höchste Zeit, dass die Menschheit vernünftig wird. Mit teuflischen Waffen kann kein Frieden gemacht oder erhalten werden. Nötig ist eine Friedensdiplomatie und die rechtzeitige Erkennung von Krisen-und Gefahrenherden und dann eine sofortige diplomatische, humanitäre und evtl. ökonomische Hilfe, damit aus der Flamme kein Großfeuer wird. Nicht militärische Aufrüstung ist nötig, nicht ein Verteidigungs- und Waffenministerium, sondern im Gegenteil ein Friedensministerium, gewaltlose sofortige Hilfen, die Aufforderung zu globaler Abrüstung und wirksamer Verbesserung der Lebenssituation und Qualität der Menschheit. Man könnte das auch gekürzt „Pazifismus“ nennen, was ja nicht heißt, auf eigene Verteidigung zu verzichten, sondern „pacem facere“ heißt für Frieden sorgen und die Bedürfnisse aller Menschen respektieren, oder wie unser großes Vorbild der Tropenarzt und Humanist Albert Schweitzer gemahnt hat: „Respekt vor der Würde des Lebens“.
Dafür sollten wir uns alle einsetzen!
Nun noch eine Bitte: Bitte besuchen Sie unsere Ausstellung im Haus am Dom, die nur noch bis zum 9. August zu sehen ist. Unsere IPPNW hat die Ausstellung zusammen mit der Stadt Frankfurt, die auch aktives Mitglied der „Bürgermeister für den Frieden“ ist, geschaffen und ermöglicht. Die Ausstellung heißt „ 70 Jahre nach Hiroshima und Nagasaki-Weltweite Opfer der Nuklearen Kette“. „Nukleare Kette“ zeigt die Gefahren der Atomwirtschaft, vom Uran Bergbau zu den Kernkraftwerken, den Atomwaffen und zum über Jahrtausende strahlenden Müll. Die Ausstellung ist absolut sehenswert !