Hingucker? Kolonialismus und Rassismus ausstellen

erstellt von Bildungsstätte Anne Frank — zuletzt geändert 2020-10-06T14:50:40+02:00
Die Epoche des Kolonialismus produzierte nicht nur Gewalt, sondern verwandelte sie auch in "Wissenschaft": Kolonialausstellungen, Völkerschauen, Raubkunst. So wurden Menschen zu Ausstellungsstücken, zu "Hinguckern" - mit den "Hinguckern" im Publikum als Komplizen der Gewalt.

 Wie lässt sich Kolonialrassismus ausstellen, ohne kolonial zu handeln? Mit Materialien der vieldiskutierten Ausstellung "Die Erfindung der Menschenrassen" des Hygiene-Museums Dresden und in Kooperation mit dem Historischen Museum Frankfurt versucht die Ausstellung "Hingucker" den kolonialen Blick zurückwerfen – und stellt die Praxis des Ausstellens selbst zur Diskussion.

Am Montag war Jom Kippur, der höchste Feiertag im Judentum. Viele nichtjüdische Menschen in Deutschland verbinden mit Jom Kippur seit vergangenem Herbst vor allem den rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle 2019 – die wenigsten kennen wohl die Hintergründe des Feiertags. Im Zentrum der Tradition von Jom Kippur steht eine grundsätzliche zwischenmenschliche Geste: die Entschuldigung.
Mir persönlich sind viele aktuelle Formen der Entschuldigungen entschieden zu oberflächlich und grenzen eher an eine Rechtfertigung. Im musealen und kulturellen Kontext werden etwa Hinweise auf rassistische Kunstwerke oft mit einer "Entschuldigung" quittiert, die mehr abwiegelt, als sie wiedergutmacht und sich etwa so zusammenfassen lässt: "Tut uns Leid, dass es dich verletzt." Mit anderen Worten: Selbst dran Schuld, wenn es dir schlecht geht.

In unserer aktuellen Sonderausstellung "Hingucker? Kolonialismus und Rassismus ausstellen" wollten wir vermeiden, was viele Ausstellungen zu Kolonialgeschichte reproduzieren, nämlich eine abwertende, entmenschlichende Darstellung der Opfer des Kolonialismus. Stattdessen wollen wir zur kritischen Auseinandersetzung mit der kolonialen Vergangenheit anregen, die Teil der deutschen Geschichte ist und oft fälschlich als historische Randnotiz abgetan wird. Das vierköpfige Kurator*innenteam hat ein Konzept entwickelt, das auch das heutige Erbe des Kolonialismus thematisiert, mit dem wir uns in Deutschland auseinandersetzen müssen.
Die Auseinandersetzung ist selbstverständlich keine Entschuldigung, aber vielleicht trägt sie dazu bei, den Blick auf Kolonialismus und Rassismus zurecht zu rücken.

Herzliche Grüße

Ihr Meron Mendel
und das Team der Bildungsstätte Anne Frank

Editorial aus dem Oktober-Newsletter der Bildungsstätte Anne Frank

Die Ausstellung wird begleitet von einem umfangreichen Rahmenprogramm, kuratiert von Hadija Haruna-Oelker (Hessischer Rundfunk). Die Veranstaltungen werden als Live-Stream auf dem Youtube-Kanal der Bildungsstätte Anne Frank übertragen.

Rahmenprogramm

7. Oktober 2020, 19 Uhr

Rassismus der Gegenwart – Wie sich erinnern?

In einem Europa, in dem die Nachfahren einstiger Kolonialmächte zusammen mit Menschen aus ehemals kolonisiertenLändern leben, gibt es verschiedene Blicke in die Vergangenheit. Welche Fragen ergeben sich, wenn die Erinnerungen aller miteinbezogen werden. Wer spricht bzw. wer darf über die koloniale Vergangenheit sprechen und worüber sollte gesprochen werden? Wie kann struktureller Rassismus abgebaut werden? Welche Rolle sollten Kultureinrichtungen dabei spielen?

Keynote: Joshua Kwesi Aikins, "Sich erinnern heißt: empowern"
Podiumsdiskussion: Dekolonisiert euch! Wie funktioniertein rassismuskritischer Museumsbetrieb?
Mit Dr. Anna Greve, Murat Akan, Natalie Bayer
Moderation: Dr. Mahret Ifeoma Kupka
Anmeldung nur über den Besucherservice des HMF
HMF, Leopold-Sonnemann-Saal

 

23. Oktober 2020, 19 Uhr

Textland-Salon – Macht.Worte.Widerworte – Sprechen über Rassismus

In diesem Salon kommen wichtige Stimmen des aktuellen Rassismus-Diskurses in Deutschland zu Wort. Ihre Sprache und Wortwahl unterscheidet sie. An diesem Abend sprechen sie über das vielen so unangenehme Wort "Rassismus" und das Denken darüber. Ein ungeliebtes, gern verdrängtes Thema. Ziel ist eine Rassismuskritik, die darauf abzielt, die Verletzbarkeit der so genannten "Anderen" sichtbar zu machen und wahrzunehmen.

Autor*innen: Zoe Hagen und Deniz Utlu, Sharon Dodua Otoo und Jamal Tuschick, Kübra Gümüsay und Max Czollek

Moderation: Hadija Haruna-Oelker

In Kooperation mit der Faust-Kultur-Stiftung

Eintrittspreis: 10 €/erm. 8 €

Anmeldung nur über den Besucherservice des HMF
Historisches Museum Frankfurt (HMF), Leopold-Sonnemann-Saal

 

4. November 2020, 19 Uhr

"Alles in Farbe: Let's talk about race", Rasse und Rassismus

Während die Wissenschaft vom Menschen das Ordnungssystem Rasse schon lange ad acta gelegt hat, wird heute zur genetischen Vielfalt geforscht. Die Humangenetik produziert aber Vorstellungen von genetischen Besonderheiten, die sich mit geografischen Herkunftsmythen paaren. Es ist der Rassismus, der Rassen erfindet. Hinter der Einteilung von Menschen steht immer eine Macht, in deren Interesse dies erfolgt. Wir existieren nebeneinander und dann kommt der Rassismus dazu, der die Wertungen und Ungleichwertigkeiten scheinbar wissenschaftlich begründet.

Keynote: Prof. Dr. Veronica Lipphardt, "Grundlagen des Rassismus. In Sarrazins Irrgarten"

Podiumsdiskussion: Rasse, Race, Rassismus: Klärung eines vielseitigen Phänomens und seiner gesellschaftlichen Bedeutung. Mit Prof. Dr. Iman Attia, Nadine Golly, Isidora Randjelovic

Moderation: Hadija Haruna-Oelker

Bildungsstätte Anne Frank
Anmeldung über events@bs-anne-frank.de

 

25. November 2020, 19 Uhr

Bewegt! Moved! Déplacé!

Eine Performance in Schwarz auf weiß

Die Zuschauer*innen erleben die Gedankenwelt von Bewegung im Öffentlichen Raum in Zeiten von Corona aus der Perspektive von einer Frau und einem Mann, einer weißen Person und einer Schwarzen Person. Die einzelnen Perspektiven der beiden Figuren werden klar gemacht und dann aber wiederin symbiotischer Beziehung miteinander verschmolzen, so dass die klare Trennschärfe zwischen Mann und Frau sowie Schwarz und weiß aufgelöst, dann wieder getrennt und überlagert werden.

Regisseurin: Hannah Schassner und Mirrianne Mahn/ theaterperipherie

Schauspieler*innen: Benjamin Cromme, Lea Zehaf

In Kooperation mit dem Frauenreferat der Stadt Frankfurt

Nur mit Anmeldung über den Besucherservice des HMF
Historisches Museum Frankfurt (HMF), Leopold-Sonnemann-Saal

 

2. Dezember 2020, 19 Uhr

Frankfurt in der Kolonialzeit: Vergessen, verdrängt,relevant!

Zum Jahresende werfen das Amt für multikulturelle Angelegenheiten und das Historische Museum Frankfurt einen Blick auf die Frankfurter Kolonialzeit und darauf, wie wir uns heute dazu verhalten sollten. Nähere Informationen unter: www.stadtraumfrankfurt.de 

Amt für multikulturelle Angelegenheiten

 

9. Dezember 2020, 19 Uhr

Frankfurter Abend – Rassismus in der postmigrantischen Gesellschaft

Was passiert in Deutschland, wenn komplexe gesellschaftliche Herausforderungen "ethnisiert" oder "kulturalisiert" werden? Wie fühlt man sich angesichts allgegenwärtiger, pauschalisierender, rassistischer Bilder über sich selbst? Was tun mit "guten" und "schlechten" Fremdzuschreibungen? Was hat das für Konsequenzen für das Selbstverständnis, welche Anstrengungen bringt dies mit sich?

Sprecher*innen: Roma Förderverein, Sarmina Stuman (Afghan Refugee Movement), Zerai Abraham (Ubuntu Passion Art), Ayesha Khan (8.Mai Streikbündnis), O. Hyunsin Kim

Moderation: Aisha Camara

In Kooperation mit dem Frauenreferat der Stadt Frankfurt

Anmeldung nur über den Besucherservice des HMF
Historisches Museum Frankfurt (HMF), Leopold-Sonnemann-Saal

 

27. Januar 2021, 19 Uhr

SayTheirNames: Wo stehen wir ein Jahr nach Hanau?

Der Aufschrei nach den rassistisch motivierten Morden von Hanau verhallte. Verpasst wurde, über Rassismus zu sprechen, weil Corona vieles überlagerte. Die Proteste von Black Lives Matter brachten das Thema auf die Agenda in Deutschland. Der Slogan "Say their names" ist auch in Zusammenhang mit den Morden des NSU zu sehen. Er will das Schweigen über Rassismus brechen. Welche Rolle spielen die Behörden, der Mainstream, die Medien? Was gilt es strukturell zu tun, damit sich rassistische Morde nicht wiederholen?

Keynote: Newroz Duman (Initiative 19. Februar Hanau): Say their names: In Erinnerung an die Opfer.

Podiumsdiskussion: Ferda Ataman, Ayse Gülec, Vanessa Thompson, Christian Bangel, Olivia Sarma

Moderation: Hadija Haruna-Oelker

Anmeldung nur über den Besucherservice des HMF
Historisches Museum Frankfurt (HMF), Leopold-Sonnemann-Saal

 

4. Februar 2021, 19 Uhr

StreitBar: Rassismus – brauchen wir einen neuen Begriff, eine neue Sprache dafür?

Die "Streitbar" steht für Kontroverse statt Konsens, Auseinandersetzung statt Abschottung: Nicht dabei zusehen, wie Konflikte in den Echokammern der Sozialen Netzwerke verschwinden. Gefeiert wird die Debatte beim Zusammentreffen spannender Gäste zu strittigen Fragen. Dieser Abend ist mit einem differenzierten und konstruktiven Streit dem breiten Themenfeld der Rassismen gewidmet.

Moderation: Hadija Haruna-Oelker

Bildungsstätte Anne Frank
Anmeldung über events@bs-anne-frank.de

 

11. Februar 2021, 19 Uhr

Black History Month: Storytelling-Abend

Der Black History Month wird im Februar in zahlreichen Ländern gefeiert und würdigt die Geschichte Schwarzer Menschen. Dekolonisierung beschreibt die Verbindung von Rassismus, Kolonialismus und Wissenschaft. Einerseits wirdder historische Prozess beschrieben, der mit den Unabhän gigkeitskämpfen einzelner Länder aus den kolonialen Verhältnissen beginnt. Andererseits wird darunter der andauernde Prozess verstanden, sich mit den Langzeitwirkungen zu beschäftigen. Ihnen muss sich unsere Gesellschaft stellen. Diskussionen über den Umgang mit kolonialen Objekten in Museen, Forderungen nach der Umbenennung von Straßen,einer rassismusfreien Sprache und Denkens oder einem diversitätsbewussten Kulturbetrieb zeigen die Brisanz des Themas.

Der Erzähl-, Lese- und Performance-Abend regt Denkprozesse an. Die Sprecher*innen kommen aus unterschiedlichen Kontexten und bringen vielseitige Perspektiven mit. Es sind persönliche Eindrücke, gepaart mit politischen Kontexten, die an die in Afrika verbreitete Tradition der Oral History erinnern sollen.

Sprecher*innen: Itohan Osarenkhoe, Lydia Mesgina, Joanna Tischkau, FrauHerr Meko

Moderation: Hadija Haruna-Oelker

In Kooperation mit der Heinrich-Böll-Stiftung

jugend-kultur-kirche sankt peter

 

26. + 27. Februar 2021

Fachtagung: Was ismus? Reflexion und Widerstand

Wie verlernen wir Rassismus und wie stärken wir uns, werden Verbündete, Alliierte auf dem Weg, intersektional denken zu lernen? Dieser Ansatz betrachtet Diskriminierungsstrukturen wie Rassismus, Sexismus, Klassismus, Ableismus und anderen Formen nicht isoliert voneinander. Die Konferenz widmet sich neuen Handlungsräumen und Methoden, mit dem heutigen Rassismus und der Vielfalt von Menschenfeindlichkeiten umzugehen. Denn wo Minderheiten zu einer Mehrheit werden, gibt es keine Mehrheit mehr, die einer Minderheit erklärt, wer sie ist und was sie fühlen darf.

Das detaillierte Tagungsprogramm wird über die Website des Museums, den Newsletter "HMF News", über die Tagespresse und die sozialen Medien bekanntgegeben.

Moderation: Aisha Camara & Anne Chebu