Gericht kippt endlich Bordellverbot in Baden-Württemberg

erstellt von Doña Carmen e.V. — zuletzt geändert 2020-10-08T11:24:21+01:00
Lockdown fällt – Einschränkung der Grundrechte bleibt!

Am 6. Oktober 2020 hat der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof in einer unanfechtbaren Entscheidung (Az. 1 S 1871/20) gegen den erklärten Willen der baden-württembergische Landesregierung die Aufhebung des seit nunmehr sieben Monaten dort geltenden Totalverbots von Prostitutionsstätten verfügt. Diese sollen nun ab dem 12. Oktober 2020 wieder öffnen dürfen.

Das oberste baden-württembergische Verwaltungsgericht sieht in der Aufrechterhaltung des Bordell-Lockdowns eine unzulässige Einschränkung des Grundrechts auf freie Berufsausübung in der Prostitution. Gegen den Verweis der baden-württembergischen Landesregierung auf steigende Covid-19-Neuinfektionen argumentiert das Gericht, dass es keine empirischen Belege für die Behauptung gibt, kommerziell vermittelte sexuelle Kontakte im Verhältnis 1:1 seien Corona-„Superspreader“.

Nach dem baden-württembergischen Urteil besteht ein Bordell-Totalverbot jetzt nur noch in zwei Bundesländern: Mecklenburg-Vorpommern und Hessen.

 In Mecklenburg-Vorpommern regiert mit Manuela Schwesig (SPD) eine erklärte Prostitutionsgegenerin, die in ihrer früheren Funktion als Bundesfamilienministerin für das unsägliche Prostituiertenschutzgesetz verantwortlich zeichnete. Das vollständige Prostitutionsverbot in dem von Corona-Infektionen kaum betroffenen Bundesland an der Küste ist ausschließlich politisch motiviert.

 Ähnlich liegen die Verhältnisse in Hessen. Das weiterhin bestehende Bordellverbot in Hessen richtet sich vor allem gegen den Prostitutionsstandort im Rheinmain-Gebiet mit Schwerpunkt Frankfurt. In sämtlichen umliegenden Bundesländern sind Bordelle mittlerweile wieder zugelassen. Für eine Sonderstellung Hessens gegenüber anderen Bundesländern gibt es keine epidemiologische Rechtfertigung.

 Die durch gesundheitspolitische Maximen nicht zu rechtfertigenden Bordellschließungen verfolgen ganz offensichtlich das politisch motivierte Ziel, die bestehende Infrastruktur des Prostitutionsgewerbes ökonomisch in die Knie zu zwingen. Dass dabei rechtsstaatliche Erwägungen eine immer geringere Rolle spielen, belegt die Tatsache, dass ein seit Anfang August 2020 beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof vorliegender Eilantrag gegen die Bordellschließungspolitik der Landesregierung seitdem auf Eis liegt. Landesregierung und Verwaltungsgerichtshof spielen auf Zeit und arbeiten so Hand in Hand. Gewaltenteilung: Fehlanzeige! Und das, obwohl die Spatzen es von den Dächern pfeifen, dass die mit den Bordellschließungen einhergehende Verdrängung von Sexarbeit in informelle Strukturen mit Gesundheitsschutz nicht das Geringste zu tun hat

Der Lockdown geht, der Verfassungsbruch bleibt

Die Wiederzulassung der Bordelle in Baden-Württemberg – und zuvor schon in vierzehn anderen Bundesländern – taugt allerdings nicht als Anlass zu ungetrübter Freude. Denn an die Stelle eines durch sachliche Erwägung nicht gerechtfertigten Eingriffs in das Grundrecht auf freie Berufsausübung (Art. 12 GG) und die Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG) tritt nun eine nicht minder verfassungswidrige Einschränkung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG).

 Exemplarisch ist dies dem jüngsten baden-württembergischen Verwaltungsgerichts-Urteil zu entnehmen, wonach sexuelle Dienstleistungen im Südwesten zukünftig auf erotische Dienstleistung „ohne Geschlechtsverkehr“ beschränkt bleiben sollen – ein klarer Verstoß gegen das durch Art. 2 GG geschützte Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Zudem soll den Prostitutionsstätten in Baden-Württemberg eine Kontaktdatenerhebung mit Ausweiskontrolle auferlegt werden – ein klarer Verstoß gegen das durch Art. 2 GG geschützte Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Die ab dem 12. Oktober im Südwesten geöffneten Bordelle ähneln damit einer Metzgerei für Veganer. Den Kunden der Sexdienstleisterinnen werden substanziell eingeschränkte Dienstleistungen offeriert – so als könne man bei einem Friseurbesuch alles erwarten, nur keinen Haarschnitt.

Doña Carmen e.V. fordert die Aufhebung derart sachfremder, allein politischen Vorgaben geschuldeter Einschränkungen demokratischer Grundrechte von Sexarbeiter/innen. In dem Baden-Württemberg benachbarten Bundesland Bayern sind Prostitutionsstätten bereits seit drei Monaten wieder geöffnet, ohne dass das Prostitutionsgewerbe in der bayerischen Corona-Verordnung durch derart abstruse Sex-Verbote behelligt wird. Neben Baden-Württemberg hat man sich lediglich in Brandenburg und Sachsen zu einem ähnlich groben Unfug hinreißen lassen.

Doña Carmen e.V. geht davon aus, dass mit dem jetzigen baden-württembergischen Urteil auch das ganz und gar gehässige Sexkaufverbot der Stadt Karlsruhe sowie das von der Stadt Stuttgart verhängte totale Prostitutionsverbot (auch außerhalb von Prostitutionsstätten) obsolet sind und ebenso zu Fall kommen wie jetzt das totale Verbot des Betreibens von Prostitutionsstätten.

 In Anbetracht der jüngsten Aufhebung von Bordellverboten in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg erwartet Doña Carmen e.V., dass auch die Landesregierung in Hessen endlich zur Vernunft kommt. Wir fordern den zuständigen hessischen Sozialminister Klose (Bündnis 90 / Die Grünen) auf, die von ihm zu verantwortende Aufrechterhaltung der verfassungswidrigen Verbotspolitik gegenüber dem Prostitutionsgewerbe umgehend aufzuheben und sich nicht länger hinter der Entscheidungsunfähigkeit des hessischen Verwaltungsgerichtshofs zu verschanzen.

Doña Carmen e.V. , Pressemitteilung, 7. Oktober 2020