Gegen die autoritäre Versuchung
Erklärung zum Internationalen Frauentag 2025: Sexarbeiter*innen brauchen Rechte statt Verbotspolitik
Die bevorstehende neue Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD wird in nächster Zeit ein
Déjà-vu erleben: Den Koalitionären in spe fällt mit dem Prostituiertenschutzgesetz ein lästiges Erbe vor die Füße. Es handelt sich dabei um ein Gesetz, das die gleichen Parteien 2016 gemeinsam beschlossen hatten.
Wenn die Erfahrungen mit dem Prostituiertenschutzgesetz in den vergangenen Jahren eines gezeigt haben, so ist es die Tatsache, dass dieses Gesetz mit seinen überdimensionierten Kontroll- und Überwachungsmechanismen komplett an der Realität vorbei konzipiert wurde.
Von 11.700 bestehenden Prostitutionsgewerben und 200.000 in Deutschland tätigen Sexarbeiter*innen ging der Entwurf des Gesetzes seinerzeit aus. Tatsächlich lizensierte man nach Angaben des Statistischen Bundesamts zuletzt gerade einmal 2.312 Prostitutionsgewerbe und registrierte ganze 30.636 Sexarbeiter*innen. Bei aller gebotenen Vorsicht gegenüber den vorliegenden statistischen Daten lässt sich eine Größenordnung dennoch festhalten:
Zwischen der Ausgangsschätzung und der vorfindlicher Realität klafft eine 80-%-Lücke. Ein schlagender Beweis dafür, dass das Prostituiertenschutzgesetz und die mit ihm in Kraft getretenen repressiven Kontroll- und Überwachungsmechanismen maßlos überdimensioniert und in den meisten Fällen sachlich verfehlt waren.
Einen Faktencheck, der sich an der Angemessenheit und Realitätstauglichkeit gesetzlicher Vorgaben orientiert, würde dieses Gesetz nicht bestehen. Es gibt mithin einen erheblichen Änderungsbedarf an den bestehenden Grundlagen zur rechtlichen Regulierung des Prostitutionsgewerbes.
Anlässlich des Internationalen Frauentags 2025 erinnert Doña Carmen e.V. daran, dass Sexarbeiter*innen – zu 99 % Frauen – ihre selbst getroffene Entscheidung zur Arbeit in der Prostitution unter dem Prostituiertenschutzgesetz mit einer massiven Beschneidung ihrer Grundrechte bezahlt haben und weiterhin tagtäglich bezahlen.
Davon zeugen nicht zuletzt die demütigenden Zwangsberatungen, denen sie sich unterwerfen müssen, die völlig überflüssige Zwangsregistrierung von Sexarbeiter*innen, die außer den Überwachungsbehörden niemandem nutzt, sowie der Zwang, einen von den Nazis abgekupferten Hurenpass mit sich führen zu müssen. Das alles ist gänzlich inakzeptabel, das muss weg. Die bestehende rechtliche Regulierung der Prostitution bedarf mithin dringend einer Rundumerneuerung.
Arroganz und Dummheit an der Macht
Notorische Prostitutionsgegner*innen sehen darin die Gunst der Stunde, die sie für sich nutzen wollen. So auch Dorothee Bär (CSU), Mitglied im Sondierungsteam für eine neue CDU/CSU/SPD-Koalition und seit 2023 eine glühende Verfechterin des so genannten „Sexkaufverbots".
Ihr halbes Leben hat die 46-jährige Bär bis jetzt als CSU-Bundestagsabgeordnete zubringen müssen. Schon der Papa war bei der CSU, in der Studentenzeit half ein Stipendium der CSU-nahen Hans-Seidel-Stiftung. Auf diesem Weg hat Bär es immerhin bis zur stellvertretenden CSU-Vorsitzenden und zur stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion gebracht.
Die langandauernde Zugehörigkeit zur CSU-Bubble offenbart nun langsam aber sicher ihre mentalen Risiken und Nebenwirkungen: So hat Frau Bär kein Problem damit, die Schuld für das in jeder Hinsicht verfehlte Prostituiertenschutzgesetz den betroffenen Sexarbeiter*innen in die Schuhe zu schieben. Die 80-%-Lücke zwischen Ausgangsschätzung und tatsächlich registrierten Sexarbeiter*innen sei ihrem ausgeprägten Hang zur Illegalität zuzuschreiben, behauptet Bär gänzlich faktenfrei. Da sie so jedoch nicht zu „schützen" seien, müsse man dem ganzen Treiben jetzt einen Riegel vorschieben. Das heißt: alle Bordelle schließen und sämtliche Prostitutionskunden per Strafrecht kriminalisieren.
Frau Bär gehört wie Friedrich März der römisch-katholischen Kirche an – mit einem 24-%-Anteil an der hiesigen Bevölkerung also eine religiöse Minderheit. Das hindert sie jedoch nicht daran, die moralischen Vorstellungen dieser Minderheit per Regierungsbeteiligung der Mehrheit aufzunötigen.
Dazu bedient sie sich Phrasen wie z. B. Deutschland sei das „Bordell Europas" und ein „Hort für Menschenhandel". Dass ausgerechnet bei „Menschenhandel" in die Prostitution seit nunmehr 27 Jahren ein Rückgang um nahezu zwei Drittel sowohl bei Geschädigten und Verurteilten vorliegt (zuletzt 60 Verurteilte pro Jahr) und das hierzulande weniger als ein wegen „Menschenhandel" Verurteilter auf eine Millionen Einwohner*innen kommt – das sind Tatsachen, um die sich Bär nicht schert.
Der Umgang mit Fakten gehört nicht zu den Stärken von Frau Bär. So leugnet sie eine wesentliche Tatsache: Aus den Erfahrungen mit dem Prostituiertenschutzgesetz und seiner insgesamt fehlerhaften Gesamtkonstruktion lässt sich zwar die Notwendigkeit von Änderungen im rechtlichen Umgang mit Prostitution, nicht aber die Notwendigkeit eines „Sexkaufverbots" ableiten.
Wenn Frau Bär, wenn die CDU/CSU oder wenn die nächste Bundesregierung glaubt, ihre Inkompetenz in Sachen Prostitutionspolitik erneut auf Kosten der Sexarbeiter*innen durchsetzen zu müssen, so sollten alle wissen:
Sexarbeiter*innen haben für das Prostituiertenschutzgesetz mit einer massiven Einschränkung ihrer Grundrechte bezahlt. Sie werden eine weitere repressive Politik in Form der Einführung eines „Sexkaufverbots" und die Schließung von Bordellen ganz sicherlich nicht widerstandslos hinnehmen und dafür ein weiteres Mal – diesmal mit der Abschaffung ihres Grundrechts auf freie Berufsausübung – bezahlen.
► Sexarbeiter*innen wollen ein „Sexkaufverbot" nicht!
► Zahllose zivilgesellschaftliche Organisationen wollen ein „Sexkaufverbot" nicht!
► Und auch die Mehrheit der deutschen Bevölkerung will kein „Sexkaufverbot": 82 % der Befragten einer repräsentativen Online-Befragung im Auftrag von Wissenschaftler*innen der TU Ilmenau, verantwortet von Prof. Nicola Döring, haben sich für Modelle der „Legalisierung" bzw. „Dekriminalisierung" von Prostitution ausgesprochen.
Doña Carmen e.V. rät daher aus Anlass des Internationalen Frauentags der zukünftigen Bundesregierung, nicht erneut der autoritären Versuchung zu erliegen und Sexarbeiter*innen weiterhin als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Nicht ein „Sexkaufverbot", sondern die rechtliche Gleichbehandlung von Prostitution mit anderen Berufen ist das Gebot der Stunde.
Pressemitteilung 6.3.2025