Für ein Ende der Heuchelei!

‚Pro Prostitution‘ statt ein ‚Weiter so‘ mit der Schlammschlacht gegen Sexarbeit

Die Zeichen stehen auf Sturm. Nicht nur in der internationalen Politik. Wer heute für demokratische Freiheitsrechte insbesondere im Bereich Prostitution eintritt, muss sich darauf gefasst machen, das ihm der Wind heftig ins Gesicht bläst.

Im katholischen geprägten Spanien hat soeben die angeblich linke Regierung aus Sozialisten und Podemos ein Verbot der Werbung für Prostitution beschlossen. Am Verbot der Prostitution ist man fürs erste gerade noch so vorbeigeschrammt. Im nicht minder katholisch geprägten Belgien geht die Regierung einen anderen Weg. Sie ist dabei, die Entkriminalisierung von Prostitution auf den Weg zu bringen, d. h. die bisherige strafrechtliche Regulierung von Prostitution abzuschaffen.

Welchen Weg geht Deutschland?

Auf Betreiben der damaligen Großen Koalition aus CDU/CSU/SPD ist dem Prostitutionsgewerbe und den Sexarbeiter*innen die Gnade des so genannten Prostituiertenschutzgesetzes zuteil geworden. Mit dem Schutz-Versprechen als angeblichem Mittelweg zwischen Verbot einerseits und umfassender rechtlicher Gleichstellung von Prostitution als Beruf andererseits hat man sich hierzulande nun fünf Jahre lang eingerichtet.

Niemand hatte seinerzeit um diesen Schutz gebeten, der sich nicht nur in der Corona-Krise erwartungsgemäß als der altbekannte Schutz der Gesellschaft vor Prostitution entpuppte.

Nun ist für 2022 der Beginn der Überprüfung (Evaluation) dieses unsäglichen Gesetzes angesagt, die noch einmal fünf Jahre andauern soll. Auf eine Schlammschlacht von Seiten der Prostitutionsgegner*innen sollte man sich daher einstellen. Denn der Kampf um die Rechte von Sexarbeiter*innen im Prostitutionsgewerbe ist kein Kindergeburtstag und kein ökumenischer Kirchentag. Da wird schon immer mit harten Bandagen gekämpft, insbesondere dann, wenn es um glaubwürdige Argumente gegen Prostitution schlecht bestellt ist.

Die herrschende politische Klasse, die stets so tut, als würde sie von morgens bis abends nichts anderes als unsere Werte verteidigen, hat die Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit des ProstSchG vor dem Karlsruher Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg mit Verweis auf Formalien hintertrieben und verhindert.

Nun nach fünf Jahren der Zwangsregistrierung von Sexarbeiter*innen macht sich bei Politiker*innen langsam Nervosität breit, da man trotz massenhafter Überwachung der Prostitution nicht genügend Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution hat finden können, um sich wenigstens nachträglich für das Schandgesetz namens ProstSchG rechtfertigen zu können.

5 Jahre Prostituiertenschutzgesetz sind genug!

Wir fragen: Was soll man von Leuten halten, die ohne mit der Wimper zu zucken für eine Zwangsregistrierung von Sexarbeiter*innen die Hand gehoben haben, eine Registrierung, die es zuletzt unter den deutschen Faschisten gegeben hat, eingeführt 1939 von Hitlers Innenminister Wilhelm Frick und von Reinhardt Heydrich, bekannt für seine Verantwortung im Hinblick auf die Endlösung der Judenfrage.

Wir fragen: Wie soll man Leuten vertrauen, die 90.000 Sexarbeiter*innen hierzulande den Zwang zur Beantragung und zum Mitführen eines Hurenpasses aufnötigen, dessen Ursprungsversion 1933 vom NS- und SS-Mann, dem Essener Polizeipräsidenten Karl Zach, stammte?

Wir fragen: Was kann man von Leuten erwarten, die eine vollkommen aus der Zeit gefallene strafrechtliche Reglementierung von Prostitution aufrechterhalten, die mittlerweile stolze acht Paragrafen im StGB und im Einführungsgesetz StGB ausmachen?

Wir sagen rundheraus: Wir trauen diesen Herrschaften und Damen nicht über den Weg! Wir sind daher gezwungen, unsere Werte selbst zu verteidigen.

Was sind unsere Werte?

Unsere Werte, für die wir eintreten, sind Selbstbestimmung und Einvernehmlichkeit im Hinblick auf Sexarbeit in der Prostitution: Jede*r muss selbst bestimmen dürfen, wie und mit wem sie/er Sex hat. Sexuelle Selbstbestimmung schließt dabei selbstredend ein, selbst zu entscheiden, ob man seine Sexualität wie in Partnerschaften und Ehe in Einheit mit Liebe, oder aber in Form der Trennung von Sexualität und Liebe praktizieren möchte, wie es professionell in der Prostitution geschieht.

Sexuelle Selbstbestimmung ist unbestritten ein demokratischer Wert. Das Eintreten für Prostitution ist die Verteidigung des Rechts einer Person selbst zu bestimmen, wie sie ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wahrnimmt. Staatliche Repression, paternalistische Bevormundung oder Verbote haben hier nichts verloren.

Der Kampf um die vollständige rechtliche Anerkennung von Prostitution als Beruf steht seit einigen Jahrzehnten international auf der politischen Tagesordnung. Um dieses Ziel zu erreichen,
muss die nach wie vor bestehende strafrechtliche Reglementierung von Prostitution,
der ganze Plunder der vergangenen Jahrhunderte, restlos und ersatzlos entsorgt werden;
muss das auf der strafrechtlichen Reglementierung der Prostitution gegründete
Prostituiertenschutzgesetz, das legalisierte Ausnahmerecht, ohne Wenn und Aber abgeschafft werden;
muss Prostitution endlich mit anderen Berufen rechtlich gleichbehandelt werden. Die auf der Hand liegenden Besonderheiten des Berufs Prostitution sind ebenso wie die Besonderheiten anderer Berufe kein Hinderungsgrund für eine grundsätzliche rechtliche Gleichbehandlung;
muss um rechtliche Unsicherheiten in Zukunft zu vermeiden die immer noch
behauptete Annahme einer Sittenwidrigkeit von Prostitution im Bürgerlichen Gesetzbuch ausdrücklich und definitiv ausgeschlossen werden.

Es gibt keine Schleichwege zur Anerkennung von Prostitution als Beruf!

Die Erfahrungen zeigen, dass man der gesellschaftlichen Anerkennung von Prostitution durch terminologische Spielchen, durch bloßen Verweis auf sexuelle Vielfalt oder durch sonstige Hintertüren keinen wesentlichen Schritt näher kommt. Es reicht nicht, mit dem Slogan Sexarbeit ist Arbeit um gesellschaftliche Anerkennung zu betteln, und dabei rechtliche Rahmenbedingungen als auch die existenzielle Frage des rechtlichen Umgangs mit den für Sexarbeit unerlässlichen Prostitutionsstätten auszuklammern.

Es reicht nicht und ist absurd, Respekt im Umgang mit Sexarbeit ausgerechnet von jenen einzufordern, die die eklatante rechtliche Ungleichbehandlung von Prostitution nach wie vor gutheißen.

Es reicht nicht, lediglich eine schwammige Entstigmatisierung von Sexarbeit einzufordern, und um die bestehende strafrechtliche Reglementierung von Prostitution einen großen Bogen zu schlagen und sie unangetastet zu lassen.

Es reicht nicht, für eine Entkriminalisierung von Sexarbeit Stellung zu beziehen und dabei im Vagen zu belassen, worin die Kriminalisierung von Prostitution konkret und im Detail besteht.

Und es reicht nicht, mit dem nichtssagenden Slogan Nicht ohne uns über uns aufzuwarten, wenn man zum Kern des Problems der Diskriminierung und Kriminalisierung von Prostitution nichts Substanzielles zu sagen hat.

Die Heuchelei muss ein Ende haben!

Die Heuchelei im Umgang mit Prostitution, wie sie die politische Klasse egal welcher Couleur regelmäßig an den Tag legt, ist nur ein Spiegelbild der allgemeinen politischen Heuchelei. Wir erleben gegenwärtig tagtäglich die Verlogenheit einer politischen Klasse,

die in Anbetracht der brutalen, kriegerischen Auseinandersetzung zwischen dem Faschismus Putinscher Machart und dem Nationalismus der Herren Selenski, Klitschko etc. mit einem Schwere-Waffen-Export für letztere Partei ergreift;
die demonstrativ einen 100-Milliarden-Euro-Schulterschluss mit Rüstungsindustrie, Militär
und NATO in die Wege leitet und damit billigend in Kauf nimmt, dass die Ukraine weiter in Schutt und Asche gelegt wird, nur um sich am Ende beim Wiederaufbau des Landes unentbehrlich zu machen;
wie in Orwellscher Manier all das als Verteidigung unserer Werte verkauft wird.

Wer so handelt, dem ist allemal zuzutrauen, dass er im Innern des Landes demokratische Freiheitsrechte mit Füßen tritt und sich dabei nicht zu schade ist, auch weiterhin verschärft und repressiv gegen Prostitution vorzugehen. Dass diese Befürchtungen nicht aus der Luft gegriffen sind, verdeutlicht das Tinder-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. vom 25.05.2022, Az. 2 WRB 2.21 2 WRB 2.21) im Fall der Bataillonskommandeurin Oberstleutnant Anastasia Biefang. Sie hatte auf besagter Dating-Plattform ein Profil mit den Worten offene Beziehung auf der Suche nach Sex. All genders welcome" unterhalten. Nun muss sich Biefang vom obersten deutschen Gericht vorwerfen lassen, das Ansehen der Bundeswehr beeinträchtigt zu haben, weil sie den Anschein erwecke, sich selbst und ihre Geschlechtspartner auf reine Sexualobjekte zu reduzieren. Das Bundesverwaltungsgericht verlangte, Menschen in ihrer Position müssten Formulierungen vermeiden, die den falschen Eindruck eines wahllosen Sexuallebens und eines erheblichen Mangels an charakterlicher Integrität erwecken". Das oberste deutsche Gericht attestierte Zweifel an der erforderlichen charakterlichen Integrität" der Soldatin.

Solche Urteile sprechen eine unmissverständliche Sprache. Es ist die Sprache der 50er Jahre. Wenn sich das Bundesverwaltungsgericht auf Grundlage zweifelhafter Sittlichkeitsvorstellungen glaubt, ein Urteil über die charakterliche Integrität von Menschen anmaßen zu dürfen, dann hat man eine leise Vorstellung davon, was auf den Umgang mit Prostitution im Zuge der Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes zukommen wird.

In diese Debatte werden wir uns einmischen und sowohl Recht auf Prostitution als auch die Rechte der Sexarbeiter*innen verteidigen!

Doña Carmen e.V. fordert:
Rechte statt Schutz und Verbote!

Vollständige rechtliche Anerkennung von Prostitution als Beruf auf der Grundlage
der Gleichbehandlung mit anderen Berufen!
Schluss mit der strafrechtlichen Reglementierung von Prostitution!

Weg mit dem unsäglichen Prostituiertenschutzgesetz!

Pressemitteilung 31.5.2022