Europaparlament auf dem Weg nach rechts?

by FIR veröffentlicht 14.06.2024

In dem „Call for Europe" auf dem FIR-Kongress in Barcelona im Herbst 2023 haben wir nicht nur vor der drohenden Gefahr von rechts gewarnt. Wir haben positiv formuliert, für welches Europa wir eintreten, nämlich ein Europa der sozialen Gerechtigkeit, der Solidarität mit Menschen auf der Flucht und anderen Verfolgten, ein demokratisches und friedensorientiertes Europa im Interesse aller hier lebenden Menschen, nicht der Banken und großen Konzerne.

Unser Appell fand Gehör bei verschiedenen zivilgesellschaftlichen Initiativen, bei Gewerkschaften, Sozialverbänden, antifaschistischen und antirassistischen Gruppen, Umwelt- und Jugendgruppen. Sie alle engagierten sich für ein solches demokratisches Europa. Leider waren wir gemeinsam nicht erfolgreich, den Vormarsch der Rechtskräfte zu stoppen. Wie in vielen Wahlprognosen vorhergesagt, konnte die extreme Rechte in vielen Ländern ihre Position deutlich ausbauen, wenn auch nicht in dem Umfang, wie es in einigen „worst case"-Szenarien beschrieben wurde.

In einer Analyse sollte jedoch zuerst gefragt werden, welche Akzeptanz dieses Europa bei den Wählern besitzt. Zwar gab es in einzelnen Ländern eine höhere Wahlbeteiligung, dennoch ist zu konstatieren, dass gerade einmal die Hälfte der 350 Mio. Wahlberechtigten an der Wahlen teilnahm. Das „Schlusslicht" bei der Wahlbeteiligung bildete diesmal Litauen mit knapp 29%. In Estland, wo man sogar online abstimmen konnte, beteiligten sich nur 37,8%. Selbst Frankreich und Spanien kamen nur auf etwa 50% Wahlbeteiligung. In Deutschland war zudem festzustellen, dass selbst Jungwähler mehrheitlich den Konservativen und der AfD folgten.

Aus antifaschistischer Sicht gab es positive Resultate insbesondere in Skandinavien, wo die Schwedendemokraten und „Wahren Finnen" (Stimmenanteil halbiert) verloren. Erfreulich war auch, dass in Portugal und Spanien Chega und Vox hinter den befürchteten Ergebnissen zurückblieben. Offenbar hat die dortige gesellschaftliche Mobilisierung gegen die extreme Rechte Wirkung gezeigt.

Erschreckend ist dagegen das Ergebnis in Belgien, wo die flämisch-nationalistischen Parteien (N-VA und Vlaams Belang) auf über 27% kamen, während in Frankreich die Le Pen-Partei „Rassemblement National" mit 31,5% einen Erdrutschsieg einfuhr. Zusätzlich erhielt die rechte Konkurrenz „Reconquête" über 5% der Stimmen. Auch in Österreich wurde die FPÖ mit 25,7% (+9%) stärkste Kraft – eine sehr schlechte Voraussetzung für die Parlamentswahlen im Herbst. Aus Polen hörte man vom „Sieg" des Pro-Europäers Tusk. Die Realität ist aber, dass nur etwa 40% der Wähler zur Wahl gingen und die extreme Rechte von PiS und Konfederacja die Hälfte der Mandate erreichte. Ähnlich ist es in Ungarn, wo Medien von Verlusten für Orbans FIDESZ berichteten. Tatsächlich war sein stärkster Konkurrent ein ehemaliger FIDESZ-Funktionär und gleichzeitig zog die faschistische Partei „Unsere Heimat" (6,5%) in das Europaparlament ein. In Italien konnte die faschistische Regierung ihre politische Dominanz deutlich bestätigen, wobei sich die taktisch angepasste Variante von Giorgia Meloni („Fratelli d'Italia") mit etwa 30% gegen Matteo Salvinis Lega und Forza Italia (jeweils knapp 9 %) durchsetzen konnte. Offenbar kam der „Kuschelkurs" mit Ursula von der Leyen bei den italienischen Wählern gut an.

Und in Deutschland erzielte die AfD 15,9%. Erkennbar ist, dass die gesellschaftliche Mobilisierung gegen Rechts und das mediale Trommelfeuer die „Stammwähler" der AfD nicht erreichte. Dramatisch für die kommenden Wahlen ist auch die Tatsache, dass die AfD in den östlichen Bundesländern mit Abstand stärkste Kraft wurde.

Damit werden aus fast allen Ländern, die an den Europawahlen beteiligt waren, extrem rechte Mandatsträger in das Parlament einziehen. In den kommenden Debatten wird es darum gehen, ob eine Zusammenarbeit der extrem rechten Parteien im Europaparlament möglich wird. Die beiden bislang getrennt agierenden Fraktionen (EKR und ID), denen nach dieser Wahl schon jetzt über 130 Mandate zugerechnet werden, könnten zusammen mit einigen „Unabhängigen" die zweitstärkste Kraft werden. Jedoch gibt es zwischen den Parteien viele Friktionen und politische Animositäten, die ein Zusammengehen in einer gemeinsamen Fraktion erschweren.

Als Antifaschisten sollten wir aber auch darauf schauen, welche Bündnispartner wir zukünftig im Europaparlament haben werden. Erfreulicherweise stieg die Zahl der antifaschistischen und links orientierten Abgeordneten insgesamt. Sie finden sich in verschiedenen Fraktionen, teilweise auch als „Unabhängige". Wir sehen es als Aufgabe der FIR und aller Mitgliedsverbände, lebendige Kontakt zu jenen Mandatsträgern, die für die Idee des Antifaschismus ansprechbar sind, herzustellen. Nur so kann es uns in den kommenden fünf Jahren gelingen, zivilgesellschaftliche Initiativen in das europäische Parlament hineinzutragen und von dort Unterstützung zu erhalten.

Zum Schluss sei noch ein besonderes Ergebnis genannt. Nachdem antifaschistische Verbände mehr als ein Jahr vergeblich versucht hatten, der beschuldigten italienischen Antifaschistin Ilaria Salis in Budapest ein rechtstaatliches Verfahren zu ermöglichen, wurde sie von einer italienischen Partei als Spitzenkandidatin nominiert und tatsächlich in das Europaparlament gewählt. Nun genießt sie Immunität und ist in der Lage ihre antifaschistische Überzeugung dort öffentlich zu vertreten. Herzlichen Glückwunsch! 

FIR Newsletter 2024-24 dt. vom 14.6.2024