Europäische Menschenrechtsorganisationen appellieren an Koalitionsverhandelnde, die Rechtsstaatlichkeit an Europas Grenzen zu verteidigen

erstellt von PRO ASYL — zuletzt geändert 2021-10-29T16:13:06+02:00
"Nur die konsequente Durchsetzung von Völkerrecht an Europas Grenzen, sichere und reguläre Wege, eine europäische Seenotrettung und die solidarische Aufnahme von Schutzsuchenden innerhalb der EU können das Leid und Sterben an Europas Grenzen beenden", heißt es in dem Appell von PRO ASYL und europäischen Partnerorganisationen an die künftige Bundesregierung.

Zu den heute beginnenden Koalitionsgesprächen über Flucht und Migration haben die fünf Menschenrechtsorganisationen Erwartungen an die künftige Bundesregierung formuliert und fordern einen Neuanfang  in der deutschen und europäischen Flüchtlingspolitik. Zu den Forderungen von PRO ASYL, der griechischen Organisation Refugee Support Aegean (RSA), dem Centre for Peace Studies aus  Zagreb, dem European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und den Europäischen Demokratischen Rechtsanwält_innen (EDA) gehören unter anderem: Ein Kontrollmechanismus, der die Einhaltung der Menschenrechte an Europas Grenzen überwacht, muss eingerichtet werden; Grenzregime wie in Polen, Kroatien und Griechenland, die durch Pushbacks das Völkerrecht missachten, dürfen nicht unterstützt werden; Frontex-Operationen, bei denen Menschenrechte verletzt werden, dürfen nicht weiter finanziert werden; der Zugang zu Asylverfahren muss gewährleistet sein, Haft- und Flüchtlingslager sowie Grenzverfahren, wie im "New Pact on Migration an Asylum" vorgesehen,  dürfen nicht installiert werden.

Parteien sollen Bekenntnis zu humanitärer Verantwortung umsetzten

Die Unterzeichnenden Organisationen fordern SPD, Grüne und FDP auf, die Bekenntnisse aus ihrem Sondierungspapier  - zu humanitärer Verantwortung, zur Genfer Flüchtlingskonvention, der  Europäischen Menschenrechtskonvention und gegen das Sterben auf dem Mittelmeer sowie gegen das Leid an den europäischen Grenzen  - in konkretes  politisches Handeln zu übersetzen.

Die Organisationen erwarten von Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen, dass sie den Zugang zum Recht auf Asyl und den Rechtsstaat an Europas Grenzen verteidigen. Wenn Menschenrechtsverletzungen wie Pushbacks bekannt werden, muss jede finanzielle, logistische oder personelle Unterstützung für den Grenzschutz eingestellt und das Vorgehen öffentlich verurteilt werden. Das muss auch für die deutsche Beteiligung bei der EU-Grenzschutzagentur Frontex gelten.

Deutschland muss den Menschenrechten in der EU Achtung verschaffen

Deutschland spielt eine wichtige Rolle in der EU und muss künftig darauf hinwirken, dass Menschenrechte geachtet werden, Verstöße durch ein wirksames Monitoring festgestellt und Menschenrechtsverletzungen geahndet werden.

Konkret fordern die Organisationen in ihrem Appell von der künftigen Bundesregierung:

•   das Asylrecht in Europa zu verteidigen: den Zugang zum Asylverfahren, den Zugang zum Rechtssystem und menschenwürdige Unterbringung. Nein zu einem Europa der Haft- und Flüchtlingslager und Grenzverfahren!

•   die Verteidigung der Menschenwürde, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte – genau die Werte, auf die sich die Europäische Union -EU-Vertrag Artikel 2- gründet. 

•   die Einleitung von Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen, Kroatien und Griechenland durch die Europäische Kommission. Wir fordern zudem, dass die EU bei der Einleitung von Rechtsstaatsverfahren im Falle von schwerwiegenden Verletzungen der in Artikel 2 EUV genannten Werte auch Menschenrechtsverletzungen der Mitgliedstaaten im Bereich Asyl und Migration einbezieht.

  die Einrichtung eines unabhängigen, transparenten und effektiven Menschenrechtskontrollmechanismus, der unangekündigte Besuche an Grenzen  sowie die Strafverfolgung von Täter*innen ermöglicht.  Die Menschenrechtsbeobachter* innen  müssen das Mandat zur Sicherstellung von Beweismitteln haben. Ziel muss sein, dass diese finanziell und personell gut ausgestattete Institution künftig Menschenrechtsverletzungen verhindert. 

•   die Einstellung jeglicher Unterstützung des Grenzregimes in Polen, Kroatien, Griechenland und anderer Staaten, die an ihren Grenzen Völkerrecht missachten.

•   entschlossene Reaktionen auf Menschenrechtsverletzungen in Frontex-Operationen: Aussetzung der Finanzierung und des Einsatzes von EU-Grenzschutzbeamten in Ländern, die internationale Menschenrechtsstandards verletzen.

•   ein ziviles EU- Seenotrettungsprogramm, um das Sterben auf dem Mittelmeer zu beenden. Den Bootsflüchtlingen muss nach Anlandung in einem sicheren europäischen Hafen eine menschenwürdige Aufnahme und Zugang zu einem fairen Asylverfahren gewährt werden. Es müssen sichere und reguläre Fluchtwege nach Europa geschaffen werden.

•   die Zusammenarbeit mit der »libyschen Küstenwache« und der damit verbundene fortlaufende Völkerrechtsbruch im Mittelmeer muss sofort gestoppt werden.

Presseerklärung 28. Oktober 2021