Es muss Alarm geschlagen werden!

erstellt von Thomé — zuletzt geändert 2021-10-30T19:15:49+01:00
Dienstanweisung der Bundesagentur für Arbeit zu den einmaligen Bedarfen ist eine Katastrophe und verstößt gegen geltendes Recht

Zehn (!) Monate nach Inkrafttreten des Regelbedarfsermittlungsgesetzes (RBEG) hat es die Bundesagentur für Arbeit (BA) geschafft eine Dienstanweisungen zu den besonderen Bedarfen nach § 21 Abs. 6 SGB II herauszugegeben.
Mit dem RBEG wurde geregelt, dass nunmehr nicht auf laufende, sondern auch einmalige unabweisbare Bedarfe ein Anspruch besteht und damit von den Jobcentern bewilligt werden können.
Ein solcher Bedarf ist jedem durch den Anspruch auf digitale Endgeräte nach § 21 Abs. 6 SGB bekannt.
Die BA führt jetzt in ihrer Weisung dazu aus,

„Bei einmaligen Bedarfen ist weitere Voraussetzung für die Anerkennung eines Mehrbedarfs nach § 21 Absatz 6, dass ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 ausnahmsweise nicht zumutbar oder wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist. Letzteres ist der Fall bei Bedarfen, die nicht vom Regelbedarf erfasst werden. Bei einmaligen Bedarfen, die vom Regelbedarf erfasst sind, kommt dagegen grundsätzlich ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 in Betracht. Dieses kann aber ausnahmsweise nicht zumutbar sein, insbesondere wenn die leistungsberechtigte Person aufgrund eines nicht absehbaren und nicht selbst zu verantwortenden Notfallseinen außergewöhnlich hohen Finanzbedarf hat.
Kurzfristige Bedarfsspitzen (z. B. Waschmaschine, Wintermantel) sind im Regelfall durch ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 auszugleichen.“  (FH zu § 21 Rn 4, Seite 12).

Nachfolgend kommen diverse Ausführungen, warum, eben kein Anspruch für einmalige Bedarfe bestünde.

Die BA versucht mit dieser Weisung die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zu unterlaufen, welches im zweiten Regelsatzurteil klar und deutlich vorgegeben hat, dass die Regelbedarfe in einer Höhe bemessen sind, die kurz vor der Verfassungswidrigkeit liegen und in dem außerdem vorgegeben wurde, dass eine Anspruchsgrundlage für Elektrogroßgeräte, Brillen und einmalige Bedarfe zu schaffen sind (BVerfG 23.7.2014 – 1 BvL 10/12).
Der Gesetzgeber hatte diese Anforderung des BVerfG sieben Jahre später in dem RBEG 2021 umgesetzt und eine Anspruchsgrundlage für einmaligen Bedarfe eingeführt (§ 21 Abs. 6 SGB II).

Anstatt jetzt auszuführen, wann ein solcher Anspruch besteht oder nicht, führt die BA in ihrer frisch veröffentlichten Weisung nun aus: „bei einmaligen Bedarfen, die vom Regelbedarf erfasst sind, kommt dagegen grundsätzlich ein Darlehen nach § 24 Absatz 1 in Betracht“.
Damit sagt die BA: ist ein Bedarf vom Regelsatz umfasst, gibt es nur Darlehen und eben keine einmaligen Bedarfe nach § 21 Abs. 6 SGB II, die auf Zuschussbasis zu erbringen sind. 

Dieser Weisungstenor ist angeordneter Rechtsbruch. Deswegen schlage ich hier und jetzt Alarm.

Nach dem ab dem 1.1.2021 geltenden Recht sind einmalige Bedarfe sehr wohl zu gewähren, wenn ein Darlehn nach § 24 Abs. 1 SGB II nicht zumutbar ist (§21 Abs. 6 SGB II).
Ein solches Darlehen ist dann nicht zumutbar, wenn die Bedarfe in der Höhe zu gering im Regelsatz bemessen sind oder sonstige unzumutbare Belastungen beim Leistungsberechtigten vorliegen. Letzteres könnten nicht in voller Höhe übernommene KdU sein, weitere Rückzahlungsverpflichtungen wie Aufrechnungen oder aber auch die gestiegenen Energiepreise und die Nichtberücksichtigung dieser im Regelbedarf.

Auch führt das Gesetz aus, dass einmalige Bedarfe zu gewähren sind, wenn ein Darlehen „wegen der Art des Bedarfs nicht möglich ist“. Das bedeutet, wenn diese Bedarfsposition gar nicht im Regelsatz vorhanden ist. Zu diesem Punkt schweigt sich die BA in Ihrer Weisung komplett aus.

Aus meiner Sicht wird mit der Weisung Rechtsbruch angeordnet. Die Weisung ist für alle BA Mitarbeitenden verbindlich, kein BA Mitarbeiter wird es wagen, solche Bedarfe nach § 21 Abs. 6 SGB II gegen die in der Weisung dargelegte Rechtsauffassung zu gewähren.
Mit dieser vertretenden Rechtsposition zwingt die BA die Leistungsberechtigten die Ansprüche weiterhin auf dem Klageweg durchsetzen zu müssen und über Rechtsprechung deren Position anzugreifen.

Hier mal eine Liste von klassischen einmaligen Bedarfen:

  • Brillen
  • Elektrogroßgeräte
  • Gebühren für Pässe und Passbeschaffungskosten
  • Kosten für Dolmetscher und Übersetzer
  • Kosten zur Beschaffung von Papieren, Geburtsurkunden, Heiratsfähigkeitsbescheinigungen
  • Digitale Endgeräte
  • Reisekosten zu schwer erkrankten oder sterbenden Angehörigen oder zur Beerdigung

Die Kosten dieser genannten einmaligen Bedarfe sind so erheblich, dass die in den Regelleistungen dafür vorgesehenen Beträge bei weitem nicht ausreichen. So wird beispielsweise ein Leistungsberechtigter für eine Waschmaschine Jahrzehnte ansparen müssen. Eben wegen dieser zu geringen Bemessung besteht kein ausreichender finanzieller Spielraum für ein Darlehen.

Diese notwendige Öffnung wurde vom BVerfG gesehen, vom Gesetzgeber umgesetzt, von der BA wird durch Dienstanweisung nun versucht, diese auszuschließen.     

Natürlich besteht hier noch umfassender Klärungsbedarf im Detail. Dass die BA dies aber vollständig ignoriert und entgegen der Rechtslage ein „weiter so“ anordnet ist schon ein starkes Stück, lieber Herr Heil, Frau Kramme und Herr Scheele.

Die Weisung der BA zu § 21 SGB II vom 19.10.2021 zum Download: https://t1p.de/lbjh

Quelle: Thomé Newsletter 39/2021 vom 24.10.2021