Erklärung zum Holocaust-Gedenktag

Lagergemeinschaft Auschwitz: Erinnerung an die Opfer bleibt Herausforderung und Verpflichtung.

„Es ist geschehen und folglich kann es wieder geschehen. Darin liegt der Kern dessen, was wir zu
sagen haben. Es kann wieder geschehen, überall.“ Diese Worte des italienischen Schriftstellers
und Auschwitz-Überlebenden Primo Levi aus seinem 1986 veröffentlichten letzten Buch „Die
Untergegangenen und die Geretteten“ beschreiben mit aller Klarheit seit vielen Jahren die
Aufgabe, die sich seit dem Jahrtausendverbrechen des Holocaust stellt.

Diese Aufgabe stellt sich nach Auffassung der Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der
Auschwitzer e.V. (LGA) nicht nur immer wieder neu, sondern in den letzten Jahren mit größerer
Dringlichkeit. „Relativierung der NS-Verbrechen, offene und verdeckte antisemitische Haltungen
und Äußerungen, Attacken gegen jüdische Menschen, Einrichtungen und Organisationen nehmen
an Häufigkeit und Intensität zu“, heißt es in einer Erklärung des Vorstandes der LGA aus Anlass
des 76. Jahrestages der Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz am 27.
Januar 1945. „Sie sind längst nicht mehr nur auf gesellschaftliche Randbereiche beschränkt,
sondern werden zunehmend auch im Zentrum der Gesellschaft rezipiert, finden dort Widerhall,
werden reproduziert. Antisemitische Stereotype werden in sich wandelnder äußerer Gestalt, wie z.
B. der sog. „Israelkritik“ oder dem verdeckten oder offenen Hinweis auf die ‚jüdische‘ Identität
eines missliebigen Kontrahenten, auch in Mainstreammedien salonfähig. Kritik an solchen
Erscheinungen wird selbst zum Gegenstand antisemitischer Stereotype, indem sie als
Unterdrückung von Meinungsfreiheit durch eine angeblich mächtige jüdische Minderheit im
Zusammenspiel mit linken und liberalen gesellschaftlichen Kräften gedeutet wird. Dass diese
Einstellung in manchen europäischen Ländern bereits wieder in der altbekannten Form der
internationalen jüdischen Verschwörung propagiert wird, wie z.B. bei den Anti-Soros-Kampagnen
der ungarischen Orban-Regierung, muss als erschreckendes Zeichen an der Wand gedeutet
werden“, heißt es weiter in der Erklärung.

Es sei daher die Aufgabe aller verantwortlichen politischen und gesellschaftlichen Kräfte in
Deutschland und Europa, solchen Auffassungen, Haltungen und Taten entschlossen
entgegenzutreten. „Der Kampf gegen den zunehmend anschluss- und mehrheitsfähigen
Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in ganz Europa und weltweit muss mit allen
politischen und rechtlichen Mitteln geführt werden, die Verbindungen zwischen diesen Gruppen,
die die gesellschaftlichen Träger des alten und neuen Antisemitismus sind, müssen offen gelegt
und jede Form der Zusammenarbeit zwischen diesen und bürgerlich-demokratischen Kräften -
wie in Thüringen - muss unterbunden werden.“

Zentrale Voraussetzung jeder solchen Strategie sei es, die Erinnerung an die Verbrechen des
Nationalsozialismus aufrecht zu erhalten, deutlich zu machen, dass rechtsextremistische
Ideologie und Politik unter keinen Umständen geduldet und gar gefördert werden dürfe, weil sie
eben untrennbar mit diesen historischen Verbrechen in Zusammenhang stünden.

„Dazu gehört aber auch, immer und immer wieder an die Opfer der realen, historischen
nationalsozialistischen Gewalttaten zu erinnern. Es ist kein Zufall, dass die rechtspopulistischen
und rechtsextremistischen Gruppen ihre Aktivitäten oft gerade auch gegen mühsam erarbeitete
und oft gegen viel Widerstand errungene Formen der Erinnerungsarbeit und Erinnerungskultur
richten. Damit soll das Fortdauern von Entstehungsbedingungen verschleiert werden. Damit wird
aber auch die Würde der Opfer in den Schmutz getreten. Beides gilt es zu verhindern.“

Gleichzeitig stehe die Erinnerungskultur derzeit vor großen Herausforderungen. „Die Zahl der
überlebenden Zeugen des Holocaust nimmt ständig ab, die Entwicklung neuer intellektuell
herausfordernder und emotional ergreifender Formen des Gedenkens ist eine dringende
Notwendigkeit. Auch der Tatsache, dass die Bundesrepublik Deutschland - ebenso wie die
anderen westeuropäischen Länder - zunehmend multikulturell geprägt ist, findet noch zu wenig
Berücksichtigung in der konkreten Arbeit in den Gedenkstätten und Erinnerungsorten. Insofern
bleiben Primo Levis Worte auch weiterhin Herausforderung und Verpflichtung.“

Lagergemeinschaft Auschwitz - Freundeskreis der Auschwitzer, 26. Januar 2021