Ein KZ mitten in Frankfurt: Die Erinnerungsstätte zum KZ „Katzbach“ wird eingerichtet

erstellt von Kulturdezernat FFM — zuletzt geändert 2021-02-19T13:49:33+02:00
Die Planungen gehen in die entscheidende Phase, denn das Kulturdezernat steht unmittelbar vor der Unterzeichnung eines Mietvertrages für geeignete Räumlichkeiten in den ehemaligen Adlerwerken.

Seit 2016 setzt sich Kulturdezernentin Dr. Ina Hartwig zusammen mit zivilgesellschaftlichen Initiativen vor Ort für eine dauerhafte Erinnerungs- und Bildungsstätte zu Themen des Konzentrationslagers „Katzbach“ und der Zwangsarbeit in Frankfurt ein. Nun gehen die Planungen in die entscheidende Phase, denn das Kulturdezernat steht unmittelbar vor der Unterzeichnung eines Mietvertrages für geeignete Räumlichkeiten in den ehemaligen Adlerwerken.

„Die Erinnerung an das Konzentrationsaußenlager „Katzbach“ am Ort des Verbrechens im Gallus zu verankern, war und bleibt meine Intention. Jetzt sind wir endlich so weit: Die Gedenkstätte kommt. Die mittlerweile über dreißig Jahre alte Idee einer Erinnerungsstätte für die Opfer des Konzentrationslagers und der Zwangsarbeit muss endlich Wirklichkeit werden. Es ist ein entscheidender Schritt, den wir nur mit der Hilfe der zahlreichen engagierten Unterstützer machen konnten. Aufgabe der nächsten Monate ist es, ein zukunftsfähiges Konzept zu erarbeiten. Wir schulden den Opfern, ihren Familien und uns selbst einen Ort des Erinnerns. Dieses grausame Kapitel der Frankfurter Stadtgeschichte darf kein Expertenwissen bleiben und erst recht nicht in Vergessenheit geraten", so Ina Hartwig.

Derzeit laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Ziel ist ein Konzept, das nicht nur authentische Objekte und Informationstexte, sondern auch digitale Medien und interaktive Ansätze einbezieht. Das Kulturdezernat wird dabei gleich von zwei Frankfurter Vereinen unterstützt. Seit Januar 2021 wird der Förderverein für die Errichtung einer Gedenk- und Bildungsstätte KZ-Katzbach in den Adlerwerken und zur Zwangsarbeit in Frankfurt am Main zusammen mit dem Studienkreis Deutscher Widerstand 1933-1945 vom städtischen Kulturamt im Rahmen des Projektes gefördert.

„Mit der Anmietung der Räumlichkeiten schafft die Stadt eine unerlässliche Grundlage für die zukünftige Erinnerungsstätte. Wir haben über 30 Jahre für diese Idee gekämpft und fühlen uns in unserer ehrenamtlichen Arbeit nun gewürdigt und bestätigt. Es ist ein Signal, dass die Existenz eines Konzentrationslagers mitten in unserer Stadt erstmals ernsthaft anerkannt wird. Und es ist eine Chance, eine Erinnerungs- und Bildungsstätte nicht nur für den Stadtteil, sondern für ganz Frankfurt zu schaffen. Der Kulturdezernentin gilt mein Dank“, sagte Horst Koch-Panzner, Vorsitzender des Fördervereins.

Geplant ist ein Betrieb der zukünftigen Erinnerungs- und Bildungsstätte durch den Förderverein. Dieser plant Vermittlungsangebote für Jugendliche und Erwachsene und Veranstaltungen, die historische Hintergründe des dunklen Kapitels der Frankfurter Geschichte beleuchten.

„Der Rechtsextremismus hält sich hartnäckig bis ins 21. Jahrhundert, bis ins Hier und Jetzt. Unsere Demokratie und unsere offene Gesellschaft müssen abermals verteidigt werden. Mit der geplanten Erinnerungs- und Bildungsstätte leistet die Stadt Frankfurt einen essenziellen Beitrag zur Aufklärung für die nachfolgenden Generationen und zur Stärkung der Gesellschaft im Kampf gegen Rechtsextremismus. Denn je größer der zeitliche Abstand zu den historischen Ereignissen im Nationalsozialismus ist und je weniger Zeitzeugen es gibt, desto mehr gewinnen Erinnerungs- und Bildungsstätten an Bedeutung”, erklärt Kulturdezernentin Hartwig.

Eine für die Entstehung der Erinnerungs- und Bildungsstätte notwendige Stadtverordnetenbeschlussvorlage ist bereits auf den Weg gebracht. Die Kulturdezernentin geht davon aus, dass dieses Projekt im Stadtparlament eine große, über die Koalitionsgrenzen hinausgehende Mehrheit bekommt.

Die Pressekonferenz am Freitag, den 19. Februar, verband das Kulturdezernat mit einem Aufruf. Gesucht sind Zeitzeugen und Dokumente wie beispielsweise Fotoaufnahmen oder Tagebucheinträge, die Aufschluss über das Konzentrationslager in den Adlerwerken und die Zwangsarbeit in ganz Frankfurt geben. Sie sollen in die Konzeption der Erinnerungsstätte einfließen.

Zum Hintergrund:

Im Sommer 1944 entstand im Frankfurter Gallusviertel unter dem Decknamen „Katzbach eines der grausamsten KZ-Außenlager im „Dritten Reich“. Die Häftlinge waren in der Rüstungsproduktion eingesetzt, die zu dieser Zeit trotz der sich abzeichnenden Niederlage des NS-Regimes forciert wurde.

Die insgesamt 1616 Gefangenen, die zum Großteil aus Polen stammten, wurden auf dem Gelände der Adlerwerke zwischen August 1944 und März 1945 unter unmenschlichen Bedingungen festgehalten und zur Arbeit gezwungen. Die Todesrate war im Vergleich zu anderen Lagern in der Rüstungsproduktion enorm hoch. 527 Häftlinge starben in Frankfurt, weitere 165 kurz nach ihrem Abtransport in Krankenlager, in die sie wegen „Arbeitsunfähigkeit” gebracht wurden. Im März 1945 wurden im Zuge der Auflösung des Lagers rund 450 erschöpfte Häftlinge ins Konzentrationslager Bergen-Belsen deportiert. Nur elf Überlebende dieses Transports sind bekannt. Die übrigen 360 bis 370 Häftlinge wurden am 24. März 1945, kurz vor dem Einmarsch der Alliierten in Frankfurt, auf einen „Todesmarsch“ geschickt, den viele nicht überlebten. Neben den KZ-Häftlingen beschäftigten die Adlerwerke zwischen 1941 und 1945 mehr als 2000 zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter. Insgesamt waren in Frankfurt im Frühjahr 1944 rund 43.000 zivile Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter beschäftigt.

Nach Kriegsende wurde die Existenz des Lagers von der Frankfurter Öffentlichkeit systematisch verschwiegen. Das galt gleichermaßen für die Leitung der Adlerwerke wie für die Stadtverwaltung und die Bürgerinnen und Bürger.

Erst Ende der 1980er-Jahre wurden die Verbrechen, die mitten in Frankfurt geschahen, zum Gegenstand öffentlicher Diskussionen. Die Aufarbeitung dieses Kapitels der Stadtgeschichte begann auf Initiative engagierter Bürgerinnen und Bürger.

„Ende 1992 gründeten Belegschaft und Betriebsrat der Adlerwerke den Selbsthilfeverein Leben und Arbeiten im Gallus und in Griesheim (LAGG) mit dem Zweck, das dunkle und totgeschwiegene Kapitel des KZ „Katzbach“ aufzuarbeiten. Der Verein übernahm auch die Grabpflege der Grabstätte auf dem Hauptfriedhof und organisierte Entschädigungszahlungen an die Überlebenden“, erinnert sich Lothar Reininger, Vorsitzender des Vereins LAGG.

Im Jahr 1994 brachten Ernst Kaiser und Michael Knorn unter dem Titel „Wir lebten und schliefen zwischen den Toten“ die erste einschlägige Publikation heraus, eine bahnbrechende und zu diesem Zeitpunkt beispiellose Recherche. Es folgten zahlreiche öffentliche Aktionen, Gedenkfeiern, Rundgänge und Vorträge. Im Jahr 2018 beauftragte das Kulturdezernat auf Grundlage eines Stadtverordnetenbeschlusses das Fritz Bauer Institut mit einem Forschungsprojekt. Die umfangsreiche wissenschaftliche Studie, die im Frühjahr 2021 in Buchform erscheinen wird, konnte auf bisher nicht zugängliche Quellen zurückgreifen und bringt viele neue Erkenntnisse, etwa über die Zusammensetzung der Häftlingstransporte und die Verfolgungsgeschichten der einzelnen Häftlinge. Es sind Informationen, die die nationalsozialistische Besatzungspolitik und die Verbrechen in den besetzten Ländern aufschlussreich verdeutlichen. Die Arbeit der Historikerin Dr. Andrea Rudorff führt die Grundlagenforschung von Ernst Kaiser und Michael Knorn fort und ergänzt diese um neue Forschungsergebnisse.

Dezernat Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main, Pressemitteilung, 19. Februar 2021