Ein Jahr Bordell-Lockdown: Grundrecht auf Berufsfreiheit de facto abgeschafft!

erstellt von Doña Carmen e.V. — zuletzt geändert 2021-03-17T17:22:15+01:00
Seit Mitte März 2020 sind Prostitutionsbetriebe im Zuge der Bekämpfung von Covid-19 flächendeckend in den Lockdown gezwungen worden. Seitdem haben Betriebe des Prostitutionsgewerbes im Schnitt 10,4 Monate (315 Tage) im Total-Lockdown verbracht.

Das sind 86 % bezogen auf den Zeitraum eines gesamten Jahres (16.03.2020 – 16.03.2021). An der Spitze dieser Entwicklung stehen die Bundesländer Hessen und Mecklenburg-Vorpommern, wo sich Prostitutionsgewerbe bislang ununterbrochen – völlig losgelöst vom jeweiligen Covid-19- Infektionsgeschehen – seit mittlerweile 367 Tage im Lockdown befinden. Mit einem 8,4-Monats-Lockdown (258 Tage) hat Bayern hierbei den geringsten Wert aufzuweisen.

Während in der Zeit von Mitte März 2020 bis Mitte März 2021 sieben Bundesländer sexuelle Dienstleistungen jenseits Betreiber geführter Prostitutions-Etablissements duldeten, waren (und sind) Sexarbeiter*innen in den verbleibenden 9 Bundesländern mit lang anhaltenden Tätigkeitsverboten konfrontiert. In Schleswig-Holstein und im Saarland ist die Erbringung sexueller Dienstleistungen bereits seit April 2020 durchgängig verboten, Ende dieses Monats mithin schon ein ganzes Jahr. 

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind der Betrieb von Prostitutionsgewerben in sämtlichen Bundesländern und die Erbringung sexueller Dienstleistungen jenseits von Bordellen in acht von sechzehn Bundesländer verboten.

Das ergibt eine aktuelle, kommentierte Zusammenstellung von Doña Carmen e.V. aus Anlass von einem Jahr Lockdown-Politik im bundesdeutschen Prostitutionsgewerbe.

(vgl. https://www.donacarmen.de/wp-content/uploads/Ein-Jahr-Bordell-Lockdown-Politik.pdf)

Doña Carmen e.V. begleitet die bundesweite Entwicklung des Prostitutionsgewerbes unter den Bedingungen der Covid-19-Politik kritisch und bewertet die aktuelle Situation als desaströs und niederschmetternd für alle im Bereich der Sexarbeit tätigen Menschen.

Zwei Sachverhalte kennzeichnen die Entwicklung des Prostitutionsgewerbes im zurückliegenden Jahr in besonderem Maße:

  1. Das Grundrecht auf Berufsfreiheit (Art. 12 Grundgesetz) ist im Prostitutionsgewerbe de facto abgeschafft

Es geht im Kontext der Covid-19-Politik schon lange nicht mehr um eine zeitlich befristete, verfassungsrechtlich legitime Einschränkung der Art und Weise der Berufsausübung, sondern mittlerweile um die vollständige Beseitigung der Berufsfreiheit im Kontext sexueller Dienstleistungen. Dass Sexarbeiter*innen damit in nicht geringer Zahl in informelle Strukturen abgedrängt werden und ihr Gesundheitsschutz damit zur Disposition gestellt wird, wird billigend in Kauf genommen und scheint niemanden zu stören.

  1. Gegenüber allen anderen „körpernahen Dienstleistungen“ unterliegen sexuelle    Dienstleistungen – im Widerspruch zu Art. 3 Grundgesetz – einer systematischen    rechtlichen Ungleichbehandlung

„Sachlich“ gerechtfertigt wird diese Praxis durch die rein spekulative Annahme einer „besonderen Infektionsgefahr“, die angeblich wieder einmal von sexuellen Dienstleistungen ausgehen soll. Einen empirisch fundierten Beleg für diese Annahme ist man bislang schuldig geblieben. Während andere körpernahe Dienstleistungen mit Hygienekonzepten zugelassen werden, verweigert man diese Option im Falle sexueller Dienstleistungen und zwingt die Betroffenen, sie im Zweifel vor Gericht zu erstreiten.

Damit verdichtet sich der Eindruck, dass die Covid-19-Politik im Bereich Prostitution politisch instrumentalisiert wird, um das bereits mit dem Prostituiertenschutzgesetz verfolgte Ziel einer massiven Einschränkung des Angebots sexueller Dienstleistungen weiter voranzutreiben.

Doña Carmen e.V. sieht die sich gegenwärtig vor unseren Augen abspielende massive Entrechtung von Sexarbeit als Indiz für einen die gesamte Gesellschaft erfassenden Prozess des Abbaus demokratischer Rechte. Diese Entwicklung ist Besorgnis erregend und gänzlich inakzeptabel.

Doña Carmen e.V. fordert die Aufhebung der gegenwärtigen Bordell- und Tätigkeitsverbote für Sexarbeiter*innen. Stattdessen bedarf es einer konkreten Öffnungsperspektive für das Prostitutionsgewerbe, orientiert an einer realistischen Einschätzung des Covid-19-Infektionsgeschehens, das nicht ausschließlich auf Inzidenz fixiert ist. An der Ausarbeitung solcher Öffnungsperspektiven müssen die Betroffenen vor Ort beteiligt werden.

Eine Politik des Weiter-so mit Total-Lockdowns, wie sie gegenüber dem Prostitutionsgewerbe mit besonderer Hingabe betrieben wird, ist weder aus Erwägungen des Gesundheitsschutzes hilfreich, noch taugt sie als Alibi oder Ersatz für eine längst überfällige bessere materielle und personelle Ausstattung im Bereich der Kliniken, des öffentlichen Gesundheitswesen und der Pflege älterer Menschen.

Doña Carmen e.V., Pressemitteilung, 17. März 2021