Doña Carmen bekräftigt die Forderung nach vollständiger Entkriminalisierung von Prostitution

erstellt von Doña Carmen e.V. — zuletzt geändert 2023-04-13T09:05:42+01:00
Doña Carmen e.V., Verein für die sozialen und politischen Rechte von Prostituierten, hat die kürzlich erfolgte Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) für 2022 zum Anlass genommen, die Kriminalitätsentwicklung im Prostitutionsgewerbe der Bundesrepublik Deutschland zu bilanzieren.

Ebenso wie die Kriminalitätsentwicklung im Ganzen hatte auch das Prostitutionsgewerbe 2022 im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg der registrierten Straftaten (+ 105 / + 22,1 %), der ermittelte Tatverdächtigen (+ 91 / + 18,8 %) und mutmaßlicher Opfer (+ 93 / + 16,8 %) zu verzeichnen.

Doch mit diesem aller Erfahrung nach kurzzeitigen, vorübergehenden Anstieg enden auch bereits die Gemeinsamkeiten der Kriminalitätsentwicklung im Rotlicht verglichen mit der bundesdeutschen Gesamtentwicklung. Das ergab die auf einem Langzeitvergleich basierende Analyse von Doña Carmen e.V.
(siehe: https://www.donacarmen.de/wp-content/uploads/KRIMINALSTATISTIK-2022.pdf)

Der auf Daten der offiziellen PKS sowie der Verurteilten-Statistik des Statistischen Bundesamts beruhende Langzeitvergleich verdeutlicht vielmehr, dass die allgemeine Entwicklung und die besondere Entwicklung im Prostitutionsgewerbe nicht unterschiedlicher sein kann:

  • Während die Entwicklung registrierter Straftaten (- 13 %), ermittelter Tatverdächtiger (- 11 %) sowie der Verurteilungen (- 11 %) bei der Gesamtentwicklung innerhalb der letzten beiden Jahrzehnte (2020 - 2022) langsam, aber beständig rückläufig war, erwies sich die Entwicklung entsprechender Kennziffern im Bereich des Prostitutionsgewerbes im genannten Zeitraum als massiv rückläufig: Sie betrug durchgängig über - 80 %.

  • Während die Zahl der von Kriminalität betroffenen Opfer in der Gesamtgesellschaft im Jahr 2022 mit 1,1 Mio. ihren vorläufigen historischen Höhepunkt erreicht hat (+ 54 % seit 2000), ist die Zahl mutmaßlicher Kriminalitäts-Opfer im Prostitutionsgewerbe demgegenüber mit 648 auf einem historischen Tiefpunkt angelangt (- 86 % seit 2000).

Der in der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) dokumentierte Rückgang der Kriminalität im Prostitutionsgewerbe ist nachhaltig (seit einem Vierteljahrhundert), massiv (über 80 % bei sämtlichen einschlägigen Kennziffern) und im Ergebnis substanziell: Gerade einmal 70 bis 80 Personen werden derzeit pro Jahr wegen Rotlicht-Delikten verurteilt. Das bedeutet: Weniger als 15 % aller Tatverdächtigen erwiesen sich damit im Jahre 2022 als gerichtlich bestätigte Täter*innen.

Diese imposante Implosion des Kriminalitäts-Geschehens im Rotlicht – von der öffentlichen Meinung bislang nicht zur Kenntnis genommen – wirft die Frage auf, welchen Sinn ein auf sieben Strafparagrafen sich stützendes prostitutionsspezifisches Strafrecht noch haben kann, wenn ihm die vermeintlich „prostitutionsspezifische“ Kriminalität zunehmend abhandenkommt.

Das prostitutionsspezifische Strafrecht – eine Erfindung des frühen 19. Jahrhunderts – war für die betroffenen Sexarbeiter*innen und andere im Prostitutionsgewerbe tätige Menschen stets ein diskriminierendes Sonderstrafrecht. Kein anderer Wirtschaftszweig wird so wie Prostitution strafrechtlich reglementiert. Die damit ermöglichte Kriminalisierung einvernehmlichen Handelns unterhalb der Schwelle der Nötigung ist eine rechtliche Ungleichbehandlung par excellence. Weder das Prostitutionsgesetz von 2002 noch das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 haben die strafrechtliche Reglementierung der Prostitution als solche angetastet oder in Frage gestellt.

Sowohl unter dem Gesichtspunkt der rechtlichen Gleichbehandlung von Prostitution mit anderen Berufen, als auch unter dem Aspekt des Erfordernisses eines realitätsangemessenen Umgangs mit Prostitution erweist sich die vollständige Abschaffung des gänzlich aus der Zeit gefallenen prostitutionsspezifischen Sonderstrafrechts („Entkriminalisierung“) als notwendig und überfällig.

Die Bundesregierung ist daher aufgefordert, Nägel mit Köpfen zu machen und die Reform der Prostitutionsgesetzgebung auf eine vollständige Entkriminalisierung von Prostitution zu gründen.

In der Prostitutionspolitik sollte man sich nicht erneut eine weitere Halbheit leisten. Die erkennbar abnehmende Relevanz „prostitutionsspezifischer Kriminalität“ ist ein untrügliches Indiz dafür, dass sich die strafrechtliche Reglementierung eines gesamten Wirtschaftszweigs überlebt hat. Diese Einsicht sollte auch in die in Gang befindliche Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes mit einfließen.

Pressemitteilung 12.4.2023