Die Corona-Krise muss Konsequenzen haben

erstellt von „Krankenhaus statt Fabrik“ — zuletzt geändert 2020-09-28T13:11:30+01:00
Krankenhausbetreiber, zivilgesellschaftliche Initiativen und Gewerkschafter*innen fordern gemeinsam Abschaffung der Fallpauschale und ein Ende der Profitlogik in den Krankenhäusern

Wenige Tage vor der Gesundheitsminister*innenkonferenz am 30. September fordern Krankenhausbetreiber und gesundheitspolitische Akteure gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen und gewerkschaftlichen Organisationen die kostendeckende Finanzierung von Krankenhäusern und ein Ende der Profitmöglichkeiten für private Klinikbetreiber. Eine entsprechende Resolution mit dem Titel „Die Corona-Krise muss Konsequenzen haben“ haben die Unterzeichner*innen am heutigen Montag bei einer Pressekonferenz vorgestellt. Die von dem Bündnis „Krankenhaus statt Fabrik“ initiierte Resolution wird unter anderem von der Gewerkschaft ver.di, dem Interessenverband kommunaler Kliniken (IVKK), der LINKEN, den Jusos, Attac Deutschland, lokalen Bürger*innenbündnissen für Gesundheit sowie Betriebs- und Personalräten und Mitarbeiter*innenvertretungen in den Krankenhäusern getragen.

Gemeinsam fordern sie, dass an die Stelle des Fallpauschalensystems (DRG/Diagnosis Related Groups) die volle Finanzierung  der wirtschaftlich notwendigen Betriebskosten der Krankenhäuser durch die Krankenkassen tritt. Die Bundesländer müssen ihren Investitionsverpflichtungen gerecht werden, die sie seit Jahren vernachlässigen. Der unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten betriebene Bettenabbau in den Krankenhäusern soll gestoppt werden, die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten müssen verbessert werden. Gewinnmitnahmen privater spezialisierter Kliniken sind insbesondere in der Corona-Krise zu verhindern.

„Die Einführung der Fallpauschalen und mit dieser die universale Konkurrenz der Krankenhäuser aller Trägerschaften war entscheidend für die systematische Implementierung eines kapitalistisch-ökonomischen Prinzips in die inneren Entscheidungsstrukturen der Krankenhäuser. Für eine bedarfsgerechte Daseinsvorsorge ist diese Art der Finanzierung ungeeignet. Die Corona-Krise hat dies offenbart“, sagte Nadja Rakowitz von „Krankenhaus statt Fabrik“ bei der Vorstellung der Resolution.

Michael Dehmlow von der ver.di Bundesverwaltung, Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen ergänzt: „Die Corona-Pandemie hat es jetzt für alle offensichtlich gemacht: Die entscheidende Herausforderung in der Krankenversorgung ist der Personalnotstand. Zwingend notwendig sind Qualitätsstandards, die eine bedarfsgerechte Personalausstattung in Krankenhäusern umfassen.“
„Der Interessenverband kommunaler Krankenhäuser e.v. (IVKK) erneuert seine Forderung, die seit Jahren fortschreitende Kommerzialisierung des Krankenhauswesens zu stoppen und zu einem System zurück zu kehren, welches die Daseinsvorsorge und den Sicherstellungsauftrag ernst nimmt“, so Dr. Uwe Alschner, Geschäftsführer des Interessenverbandes kommunaler Krankenhäuser.

„Wir brauchen ein Verbot, Gewinne mit Krankenhäusern an Eigentümer*innen und Aktionär*innen auszuschütten. Und wir brauchen eine kostendeckende Finanzierung der Krankenhäuser. Die Kämpfe für mehr Personal und bessere Versorgung, die gewerkschaftlich, politisch und zivilgesellschaftlich geführt werden, sind der der zentrale Hebel, um diese Ziele durchzusetzen“, so Bernd Riexinger, Vorsitzender Partei DIE LINKE.

Und Jeannine Sturm, Gesundheits- und Krankenpflegerin und aktiv im Bündnis „Keine Profite mit unserer Gesundheit Berlin“: „Mit Unterstützung der Bündnisse machen wir Beschäftigte schon lange auf die Missstände im Gesundheitswesen aufmerksam. Durch die Corona-Pandemie wurde deutlich, dass Markt- und Gewinnorientierung in Krankenhäusern nichts zu suchen hat. Die Fallpauschalen gehören abgeschafft und das Gesundheitssystem als Teil der Daseinsvorsorge muss bedarfsgerecht finanziert werden.“

Pressemitteilung, „Krankenhaus statt Fabrik“, 28. September 2020

Resolution:

Die Corona-Krise muss Konsequenzen haben

Angesichts der Corona-Pandemie werden die Fehlentwicklungen im Gesundheitswesen offensichtlich. Aus ihnen müssen Konsequenzen gezogen werden. Die Coronakrise muss der Anfang einer grundsätzlichen Diskussion um die Ausrichtung des Gesundheitswesens in Deutschland sein.

Die Lage

1. Seit 2004 werden die Krankenhäuser in Deutschland über Preise für die Behandlung jedes einzelnen Patienten (Fallpauschalen/DRGs) bezahlt. Die Krankenhäuser wurden auf „Effizienz“ getrimmt.

Effizienz beschreibt eigentlich das Verhältnis zwischen dem erreichten Erfolg und dem dafür erforderlichen Aufwand. In diesem Sinne sind die DRGs das Gegenteil von effizient. Trotzdem wird die Effizienz von den Verteidigern der DRGs wie eine Monstranz vor sich hergetragen. Für „Effizienz“ wurden Krankenhäuser finanziell belohnt und manche konnten nur so wirtschaftlich überleben.

„Effizienz“ in einem Preissystem bedeutet aber, dass möglichst viele Patienten, die sich lohnen, mit möglichst wenig Personal und in möglichst kurzer Zeit behandelt werden. Ein solches Vergütungssystem ist inhuman gegenüber den Patienten. Sie werden unter Erlösaspekten ausgesucht („gute/schlechte Risiken“), aufgenommen und behandelt (immer mehr unnötige Eingriffe) und dann noch möglichst früh (ohne Berücksichtigung ihrer sozialen Lage) entlassen. Hier offenbart sich die Problematik der Krankenhausfinanzierung und deren Folgen.

2. Je mehr Gewinne gemacht werden müssen und je heftiger die Krankenhäuser unterfinanziert sind, desto unmittelbarer wirkten die Anreize für mehr „Effizienz“ in Krankenhäusern aller Trägerschaften.

Ein solches Finanzierungssystem wurde dadurch auch inhuman gegenüber den Beschäftigten, weil die Arbeit pro Beschäftigten, also die Arbeitshetze systematisch gesteigert wurde. Insbesondere die Pflege und die Servicebereiche waren und sind hiervon betroffen. Viele sind ausgebrannt und/oder verlassen den Beruf. Die immer noch zu niedrige Bezahlung tut ein Übriges. Vorgaben, wie viele Pflegekräfte zur Versorgung der Patienten vorgehalten werden müssen, wurden abgeschafft, weil sie nicht zum Preissystem der DRGs passten. Betten und Beatmungsgeräte lassen sich vielleicht schnell nachproduzieren, aber was ist mit den fehlenden Pflegekräften? Jetzt bezeichnet man sie als „systemrelevant“ und sucht händeringend nach ihnen.

3. Vorhaltung von Infrastruktur, z.B. für Notfälle und Epidemien, wird (bis auf minimale Ausnahmen) durch die DRGs nicht finanziert und stört die „Effizienz“. Dementsprechend findet in den Krankenhäusern keine oder nur eine möglichst geringe Vorhaltung statt. Jetzt wird deutlich, dass dies zu gefährlichen Engpässen geführt hat (Schutzmasken/-kleidung, Isolationsbetten, Überwachungs- und Beatmungsgeräte).

4. Erklärtes Ziel der Einführung der DRGs war es, die Krankenhäuser möglichst marktkonform umzugestalten und den Wettbewerb der Krankenhäuser untereinander anzufachen. Markt und Wettbewerb statt Kooperation und Daseinsvorsorge. Jetzt erkennt man, dass es eigentlich darum geht, dass die Krankenhäuser gemeinsam handeln, sich absprechen und unterstützen.

5. Erklärtes Ziel war es auch durch das DRG-System möglichst viele Krankenhäuser zu schließen und massiv Betten abzubauen. Argument war, dass es im internationalen Vergleich viel zu viele Betten und Krankenhäuser gebe. Es wurden zwar schon hunderte Krankenhäuser geschlossen und über 100.000 Betten abgebaut, den neoliberalen Thinktanks (Sachverständigenrat, Leopoldina, Bertelsmann, um nur einige zu nennen) war dies aber noch nicht genug. Jetzt ist Gesundheitsminister Spahn stolz auf die große Zahl von Betten in Deutschland („gut gerüstet“) und der angeblich schlimmste Nachteil wird nun zu Deutschlands größtem Vorteil.

6. Eine weitere Folge der Finanzierung über Preise ist der ungeheure bürokratische Aufwand, der betrieben werden muss, um Preise zu berechnen, Leistungen unter Kostengesichtspunkten zu dokumentieren, sie möglichst profitabel abzurechnen, von Seiten der Krankenkassen zu kontrollieren.

Dies hat zu einem wahren Abrechnungskrieg zwischen Kassen und Krankenhäusern geführt, in dem immer weiter personell aufgerüstet wird. Jetzt wird deutlich, dass man sich eine solche Ressourcenverschwendung eigentlich überhaupt nicht leisten kann, wenn es um die gute Versorgung der Bevölkerung geht.

7. Private Krankenhausgesellschaften betreiben inzwischen mehr Krankenhäuser als die öffentliche Hand. Ihr Geschäftsmodell ist Gewinnerzielung und sie müssen ggf. ja auch noch ihre Aktionäre bedienen, so dass Versichertenbeiträge direkt in deren Taschen wandern. Gewinnanreize sind jedoch ungeeignet um Krankenhäuser als Teil der Daseinsvorsorge zu steuern. Während der Corona- Pandemie wurde deutlich, dass Krankenhäuser unabhängig von der Trägerschaft zur effektiven Bewältigung der gesellschaftlichen Anforderungen zumindest unter Aufsicht des Staates gestellt werden müssten, so wie es in Spanien, Frankreich und Finnland unter den Notstandsgesetzen der Fall war. Sonst gibt es keine Steuerungsmöglichkeit im öffentlichen Interesse, damit diese Krankenhäuser ihre Pflicht gegenüber der Gesellschaft in erfüllen.

Unsere Forderungen

1. Gesundheitsversorgung ist Daseinsvorsorge. Markt und Wettbewerb, Preise (DRGs) und Gewinne sind Ausdruck der Umwandlung der Gesundheitsversorgung in ein Geschäftsmodell mit ökonomischem Schwerpunkt und gefährden die Daseinsvorsorge. Das DRG-System muss ersetzt werden durch ein einfaches und bürokratiearmes Verfahren, durch das die ohne Verschwendung tatsächlich entstandenen Kosten (inkl. Vorhaltekosten) finanziert werden (Selbstkostendeckung). Die Bundesländer müssen ihrer Verantwortung für die Finanzierung notwendiger Investitionskosten wieder vollständig gerecht werden, damit keine Gelder, die zur Patient*innenversorgung vorgesehen sind hierfür verwendet werden müssen. Die wirtschaftliche Verwendung der Gelder muss überprüfbar sein.

2. Ein weiterer Bettenabbau nur auf Grund wirtschaftlicher Zwänge darf nicht stattfinden. Die notwendige Zahl und Größe von Krankenhäusern und deren Kooperation (Aufgabenverteilung), die Zahl der Fachabteilungen und Intensiv-/Betten müssen durch eine Bedarfsplanung der Länder unter demokratischer Beteiligung der Bürger*innen und Beschäftigten im Gesundheitswesen und deren Gewerkschaften ermittelt und umgesetzt werden. Sie muss an Versorgungsregionen und Erreichbarkeit (Flächendeckung), sowie demografischen und Morbiditätsfaktoren ausgerichtet sein. Dabei haben wegen der Steuerungsfähigkeit im öffentlichen Interesse öffentliche Einrichtungen Vorrang.

3. Für alle Berufsgruppen im Krankenhaus müssen verbindliche (gesetzlich festgelegte) bedarfsgerechte Personalbedarfszahlen wissenschaftlich ermittelt, umgesetzt und finanziert werden.

4. Die Arbeitsbedingungen und die Vergütung der Beschäftigten in den Krankenhäusern müssen deutlich verbessert werden. Bei der Durchsetzung ihrer kollektiven Interessen unterstützen wir die Beschäftigten.

5. Wenn die Daseinsvorsorge für die Krankenhäuser im Mittelpunkt steht und Gewinnanreize entfallen, fallen Kliniken als Ziel renditegetriebener privater Geschäftsmodelle aus. Statt einer weiteren Verlagerung von öffentlichen und freigemeinnützigen Krankenhäusern in privater Trägerschaft, muss Gesundheitsversorgung als öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge eher wieder zurück in die Hände oder Kontrolle der Gebietskörperschaften gelegt werden.

Unterzeichner*innen des Aufrufes „Die Corona-Krise muss Konsequenzen haben“:

  • Bündnis Krankenhaus statt Fabrik
  • Arbeitsgemeinschaft Sozialdemokraten im Gesundheitswesen Bayern
  • Attac
  • Berliner Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus
  • Bundesarbeitsgemeinschaft der PatientInnenstellen und -Initiativen
  • Bundeskommission Katholische Betriebsseelsorge
  • Deutsche Kommunistische Partei
  • Die LINKE
  • Dr. Hans-Jürgen Urban (Vorstand der IG Metall)
  • Düsseldorfer Bündnis für mehr Personal
  • Gemeingut in BürgerInnenhand
  • Gesundheitsladen München
  • Interessenverband Kommunaler Krankenhäuser
  • Interventionistische Linke
  • Jusos in der SPD
  • Kölner Bündnis für mehr Personal im Gesundheitswesen
  • Krankenhaus statt Fabrik Jena
  • Netzwerk solidarisches Gesundheitswesen Freiburg
  • Oberhauser Bündnis für eine menschenwürdige Gesundheitsversorgung
  • Pflegebündnis Celle Stadt und Land
  • Solidarisches Gesundheitswesen e.V.
  • Soltauer Initiative
  • Stuttgarter Bündnis für mehr Personal in unseren Krankenhäusern und
  • Pflegeeinrichtungen
  • Tübinger Bündnis für mehr Personal in unseren Krankenhäusern
  • Überbetriebliches Solidaritätskomitee Rhein-Neckar
  • Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
  • Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di
  • Volksinitiative Gesunde Krankenhäuser NRW