Deutsches Flughafenverfahren ist ein schlechtes Vorbild

PRO ASYL zeigt mit der neuen Studie »Abgelehnt im Nirgendwo«, wie unfair und mangelhaft das deutsche Flughafenverfahren ist. Doch die EU-Kommission will solche Grenzverfahren zur Regel machen.

Mit einer neuen Studie untermauert PRO ASYL die scharfe Kritik an den von der EU-Kommission im „New Pact on Migration and Asylum" geplanten Asylverfahren an der Grenze.  Wenn Schutzsuchende nicht ins Land gelassen werden, um einen Asylantrag stellen zu können, sondern stattdessen an Grenzen unter haftähnlichen Bedingungen festgehalten werden, führt das zu unfairen und mangelhaften Asylprüfungen. Das ist das Ergebnis der Studie „Abgelehnt im Niemandsland", die PRO ASYL am Dienstag veröffentlich hat.

„Das deutsche Flughafenverfahren ist gerade kein Paradebeispiel für faire Grenzverfahren, wie vielfach angenommen wird. Stattdessen zeigt die Studie, wie problematisch solche Schnellverfahren unter Haftbedingungen sind – selbst bei vergleichsweise wenigen Fällen. Deswegen fordern wir vom europäischen Gesetzgeber, bei einer Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems die Regeln zu Grenzverfahren grundsätzlich zu streichen und auf das Screening, also die Vorauswahl der Schutzsuchenden, zu verzichten", sagt Wiebke Judith, Rechtspolitische Referentin bei PRO ASYL und Autorin der Studie. „Anstatt schutzsuchende Menschen an den Außengrenzen zu isolieren, brauchen sie faire und rechtsstaatliche Asylverfahren und unabhängige rechtliche Unterstützung. Und das ist an den Grenzen nicht möglich."

Berichte aus der Praxis

Unter der Untertitel „Vom Flughafenverfahren zum ,New Pact on Migration and Asylum´ – Warum Asylgrenzverfahren unfair und mangelhaft sind" wird  das seit 1993 praktizierte Grenzverfahren am Flughafen Frankfurt am Main auf 30 Seiten juristisch analysiert  und von zwei Expertinnen aus der Praxis bewertet. Hinzu kommen einige Schlaglichter auf Einzelfälle.

Dabei wird deutlich, dass das deutsche Flughafenverfahren verschiedene Mängel hat. Juristisch gesehen reisen Asylsuchende, die mit dem Flugzeug ankommen, während des Flughafenverfahrens nicht nach Deutschland ein. Sie werden in einer Unterkunft am Flughafen festgehalten und  abgeschottet. Innerhalb von nur 19 Tagen muss ihr Asylverfahren, inklusive Rechtsschutz, abgeschlossen werden. Hinter verschlossenen Türen werden so die allermeisten Schutzsuchenden unter hohem Zeitdruck abgelehnt.

Gravierende Nachteile für Asylsuchende im Flughafenverfahren

Zeitdruck, hohe psychische und physische Belastungen, haftähnliche Bedingungen und mangelnder Kontakt zur Außenwelt führen zu gravierenden Nachteilen gegenüber den sonst üblichen Asylverfahren innerhalb Deutschlands. So zeigen die Praxisberichte von Roxana Kolb, ehemalige Verfahrensberaterin des Kirchlichen Flüchtlingsdiensts am Frankfurter Flughafen, und Dr. Annabelle Voßberg, Rechtsanwältin in Frankfurt am Main, dass selbst die »asylrechtskundige Beratung«, die das Bundesverfassungsgericht 1996 für das Flughafenverfahren vorgeschrieben hat, nicht reicht, um die gravierenden Nachteile des Grenzverfahrens für die Betroffenen auszugleichen.

Roxana Kolb beschreibt die enorme psychische Belastung für Kinder und Erwachsene während und nach dem Verfahren bis hin zu Traumafolgestörungen und Suizidversuchen. Dies erschwert es ihnen auch, ihre eigene Fluchtgeschichte überzeugend zu schildern. Entgegen häufiger Annahme müssen viele Betroffene zudem über Wochen oder Monate am Flughafen ausharren, da sich ihre Abschiebung immer wieder verzögert.

An Land- und Seegrenzen nicht möglich

Auch der im Flughafenverfahren für abgelehnte Asylsuchende vorgesehene anwaltliche Notdienst ist keine ausreichende Lösung: Denn die Übernahme eines Mandats am Flughafen ist für die Anwält*innen nicht nur sehr zeitintensiv, eine Vertretung wie im Inland ist aufgrund der Schnelligkeit des Verfahrens, dem schwierigen Kontakt mit Mandant*innen und dem eingeschränkten Rechtsschutz nicht möglich, lautet das Fazit von Rechtsanwältin Dr. Annabelle Voßberg.

An anderen Außengrenzen aber wäre ein ähnliches Modell gar nicht möglich, Asylsuchende wären absehbar auf sich selbst gestellt. Denn während in Deutschland das Flughafenverfahren mit wenigen Hundert Fällen pro Jahr weniger als 0,5 Prozent der Asylverfahren darstellt,  wäre es in einem Mitgliedstaat mit langer EU-Außengrenze wie Griechenland mit über 21.000 Fällen im Jahr 2020 schon die Hälfte aller Asylanträge.

Unfaire und mangelhafte Verfahren für Tausende drohen

Die meisten See- und Landgrenzen sind im Gegensatz zu Flughäfen weit weg von großen Städten – ausgestattet mit weit schlechterer anwaltlicher Infrastruktur als im Rhein-Main-Gebiet. Auf viel weniger spezialisierte Rechtsanwält*innen würde also eine viel größere – und nicht zu bewältigende – Zahl von Asylverfahren kommen, heißt es in der Studie weiter. Wenn Grenzverfahren an Flughäfen für wenige Hunderte unfair sind, sind sie dies für Tausende an anderen Grenzen erst recht.

Zudem würden die Pläne des »New Pact« das sowieso schon mangelhafte deutsche Flughafenverfahren noch weiter verschlechtern. Künftig könnten Schutzsuchende bis zu zwölf Wochen anstelle der bisherigen 19 Tage festgehalten werden. Hinzu käme, dass mehr Menschen das Verfahren durchlaufen müssten, weil pauschal alle Asylsuchenden aus Ländern mit niedrigen Anerkennungsquoten wie Pakistan, Nigeria, Bangladesch oder Marokko ins Flughafenverfahren gezwungen würden.

Die Studie kann hier auf der Homepage von PRO ASYL kostenlos heruntergeladen werden.
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Presseerklärung 22. Juni 2021