Covid-19 in Rojava - Zwei verlorene Wochen

erstellt von Städtefreundschaft Frankfurt-Kobane — zuletzt geändert 2020-04-22T12:42:46+02:00
Stellungnahme zur humanitären Situation in Nordostsyrien angesichts der Corona-Pandemie.

Am 16. April hat das WHO-Büro in Kairo den ersten Covid-19-Fall* in der autonom regierten Region Nordostsyrien öffentlich gemacht – zwei Wochen nachdem das syrische Gesundheitsministerium und das WHO-Büro in Damaskus Kenntnis davon hatten. Ein gesundheitspolitischer Skandal, denn so wurde die Unterbrechung der Infektionskette verhindert und die Ausbreitung von Covid-19 in Nordostsyrien leichtfertig in Kauf genommen.

In einer Region mit knapp 600.000 intern Vertriebenen und Flüchtlingen hätte ein Ausbruch des Coronavirus dramatische Auswirkungen. Erschwert wird die Corona-Prävention durch die völkerrechtswidrige Unterbrechung der Wasserversorgung durch türkische Söldner in der Region Hasakeh. 500.000 Menschen sind davon betroffen.

Angesichts eines drohenden Ausbruchs von Covid-19 und der mangelhaften medizinischen Ausstattung in Syrien, fordern wir von der Bundesregierung und den Vereinten Nationen den Einsatz für einen vom syrischen Regime unabhängigen Zugang für Hilfsgüter in die Region sowie Unterstützung bei der Vorbereitung auf den Pandemieausbruch. Konkret bedeutet das:

Wiederöffnung des Grenzübergangs Al Yarubiyah zum Irak: Dies war der einzige Grenzübergang, über den offizielle UN-Hilfsgüter unabhängig vom syrischen Regime in Damaskus in den Nordosten des Landes gelangen konnten – verankert in der UN-Resolution 2156 zur grenzüberschreitenden Humanitären Hilfe in Syrien. Seit Januar ist dieser Grenzübergang aufgrund eines Vetos von Russland und China UN-Sicherheitsrat geschlossen. UN-Hilfe gelangt infolge der geänderten Resolution nur noch mit Genehmigung von Damaskus in die Region. Dem stimmte auch Deutschland zu.

Vom Regime unabhängige Hilfe: Es muss sichergestellt werden, dass Hilfsgüter für Nordostsyrien direkt in der Region ankommen und nicht über Damaskus verteilt werden – humanitäre Hilfe darf nicht missbraucht werden.

Unterstützung der lokalen Hilfsorganisationen: Wenn internationale NGOs nur eingeschränkt arbeiten können, ist die direkte Unterstützung lokaler Akteure – wie dem Kurdischen Roten Halbmond – notwendig. Es fehlt weiterhin an Ausstattung mit Schutzausrüstung, Beatmungsgeräten und Intensiveinheiten.

Wasserzugang: Es braucht den gesicherten Zugang von sauberem Wasser in der Region. Wasser darf nicht zur Kriegswaffe werden, dies muss von der Türkei zugesichert werden.

Das Recht auf gesunde Lebensbedingungen und gute Gesundheitsversorgung für alle Menschen muss oberste Priorität haben.

*Der Covid-19-Fall im Detail:
Ende März wurde ein 53 Jahre alter Mann aus der Stadt Hasakeh mit Grippe-Symptomen, u.a. Fieber und Atembeschwerden, in das städtische Krankenhaus eingeliefert. Er litt ohnehin an Bluthochdruck und einer Herzkrankheit. Da aufgrund der Symptome schnell der Verdacht auf Covid-19 aufkam, wurde am 29. März eine Probe nach Damaskus geschickt – zum damaligen Zeitpunkt gab es noch keine eigenen Testmöglichkeiten in Nordostsyrien. Der Patient wurde in das nationale Krankenhaus nach Qamishlo verlegt, das unter Kontrolle des syrischen Regimes steht. Am 2. April verstarb er. Am selben Tag ergab der Test im syrischen Testlabor in Damaskus ein positives Ergebnis. Das wurde allerdings nicht an zuständigen Behörden oder Hilfsorganisationen in Nordostsyrien weitergegeben, sondern erst 14 Tage später durch das Regionalbüro der WHO bei einem Austausch mit NGOs, die in Nordostsyrien tätig sind, öffentlich gemacht. Nun versuchen die medico-Partner des Kurdischen Roten Halbmonds nachzuvollziehen, wer Kontakt mit dem Patienten hatte, um mögliche Symptome festzustellen oder nachträgliche Quarantäne zu verordnen.

medico international, 21. April 2020