Bundestag beschließt Massenüberwachung von Prostituierten

erstellt von Dona Carmen e.V. — zuletzt geändert 2016-07-10T18:02:24+02:00
In der 183. Sitzung des Deutschen Bundestags am 7.7.2016 erfolgt die 2. und 3. Lesung und damit die Verabschiedung des umstrittenen „Prostituiertenschutzgesetzes“ (Drucksache 18/8556).

Für diesen Tagesordnungspunkt, bei dem es um das Schicksal von rund 200.000 Frauen geht, sind lächerliche 45 Minuten vorgesehen.

Unter dem fadenscheinigen Vorwand des „Schutzes“ von Prostituierten verfolgt die Große Koalition von CDU/CSU und SPD in sklavischer Befolgung der Vorgaben des Bundeskriminalamtes und in offenkundigem ideologischen Übereifer – unbeirrt von zahlreichen sachlich fundierten und fachkundigen Einwänden – eine Zementierung und Ausweitung der bestehenden rechtlichen Diskriminierung von Prostitution. Ziel ist es, Ausmaß und Umfang der angebotenen sexuellen Dienstleistungen – und keinesfalls nur deren angeblich „unerträgliche Auswüchse“ – massiv zu beschneiden.

 Durchgängige programmatische Leitlinie der neuen Reglementierung ist die rechtliche Ungleichbehandlung der Ausübung von Prostitution gegenüber anderen Berufen. Die ständige Wiederholung der hirnlosen Behauptung, Prostitution sei „kein Beruf wie jeder andere“ (welcher Beruf ist schon „wie jeder andere“?), dient als billige Legitimation für eine diskriminierende rechtliche Sonderbehandlung dieses Berufes und des Prostitutionsgewerbes als Ganzes.

 Die geplante Sonder-Registrierung sämtlicher Sexarbeiter/innen – zuletzt praktiziert 1939 unter den Nationalsozialisten – sowie eine von den Grundsätzen des geltenden Gewerberechts deutlich abweichende „Erlaubnispflicht“ für Prostitutionsbetriebe stehen beispielhaft für die fortan praktizierte polizeiliche Reglementierung von Prostitution.

 So hat nach § 15 Abs. 2 ProstSchG die „für den Wohnort zuständige Behörde der Landespolizei“ zukünftig das letzte Wort, wenn es um die Beurteilung der „Zuverlässigkeit“ von Betreiber/innen von Prostitutionsstätten geht. Eine Regelung, die sich wohlgemerkt auf sämtliche Etablissements bezieht – beginnend ab zwei (!) Sexdienstleiterinnen.

 Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die diesem Polizei-Gesetz zustimmen, machen sich die Finger schmutzig. Sie zeichnen verantwortlich für die nunmehr rechtlich legitimierte Massenüberwachung von Prostituierten, die nur den Auftakt bildet für eine Illegalisierung und Kriminalisierung der betroffenen Frauen.

 Bei alledem setzt die politische Klasse weiterhin auf eine entwürdigende Stigmatisierung von Sexarbeiter/innen. So soll der von Sexarbeiter-Organisationen strikt abgelehnte „Idioten-Test“ für Prostituierte nunmehr durch die Hintertür einer speziellen Entschließung, die der Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend vorschlägt, erneut eingeführt werden. In dieser Entschließung heißt es: „Voraussetzung für die Erteilung einer Anmeldebescheinigung durch die Behörde ist die gemäß § 12 VwVfG erforderliche Handlungsfähigkeit.“ (vgl. Drucksache 18/9036, S. 7). Ganz offensichtlich scheint die auf Einsichtsfähigkeit beruhende Handlungsfähigkeit bei Sexarbeiter/innen in besonderem Maße in Frage zu stehen!

 Weil man öffentlichen Widerspruch befürchtet, gehen die Politiker/innen der Großen Koalition mit besonders widerwärtiger Hinterlist vor: Der am 7.7.2016 zur Abstimmung stehende Entschließungstext wurde erst zwei Tage vorher, am 5.7.2016 ins Netz gestellt (vgl. https://www.bundestag.de/dokumente/tagesordnungen/tagesordnung-183/295952), um sich der öffentlichen Debatte im Vorfeld zu entziehen! Was für erbärmliche Christ- und Sozial-„Demokraten“!

 Angesichts solch dreister Gesetzeswerke ist die jämmerliche Figur, die die Bundestagsfraktionen der „Opposition“ von ‚GRÜNEN‘ und ‚LINKEN‘in diesem parlamentarischen Schmierenstück abgeben und abgegeben haben, besonders bemerkenswert. Wer dem Kernelement der repressiven Prostitutions-Reglementierung, der Erlaubnispflicht für Prostitutionsstätten, in Verkennung ihres eigentlichen Zwecks blind zustimmt und lediglich daran herummäkelt, dass in der regierungsoffiziellen Version der Erlaubnispflicht der Bezug auf soziale und hygienische Mindeststandards zu kurz kommt, der betreibt – allen gegenteiligen Bekundungen zum Trotz - das Geschäft der Prostitutionsgegner. Denn die Zustimmung zur Erlaubnispflicht von Prostitutionsstätten bedeutet die Zustimmung zur polizeilichen Überwachung von Sexarbeiter/innen, wie sie in den § 25 und § 28 ProstSchG unverkennbar festgeschrieben ist. Dazu schweigen GRÜNE und LINKE – ein beredtes Schweigen!

 Die zu erwartende Verabschiedung des Prostituiertenschutzgesetzes ist zweifellos eine politische Niederlage all derer, die in den vergangenen Jahren für die Rechte von Sexarbeiter/innen Partei ergriffen und erkannt haben, dass ein repressiver Umgang mit Sexarbeit nicht ohne Folgen bleiben wird für den gesamtgesellschaftlichen Umgang mit Sexualität.

 Insbesondere aber ist die bevorstehende Verabschiedung des Prostituiertenschutzgesetzes eine schallende Ohrfeige für all jene, die in vorauseilender Unterwürfigkeit den Widerstand gegen die gegenwärtige Prostitutions-Reglementierung auf den Protest gegen die Meldepflicht zurechtgestutzt und reduziert haben. Zu den absehbaren Folgen der geplanten Erlaubnispflicht wurde nur allzu gerne geschwiegen. Lediglich den eigenen Kopf wollte man aus der Schlinge ziehen: Erlaubnispflicht nur für große Bordelle, kleine Wohnungsbordelle sollten bitte schön verschont bleiben! Opportunismus ist und bleibt eben eine politische Dummheit, die sich selten - und für Betroffene schon gar nicht - auszahlt.

 Es bleibt die nüchterne Feststellung, dass die große Masse der Sexarbeiter/innen von dem „Prostituiertenschutzgesetz“ und den damit auf sie hereinbrechenden Folgen noch gar nichts weiß. Es wird für sie alle ein böses Erwachen geben.

 Deshalb ist und bleibt es eine Verpflichtung, Sexarbeiter/innen auch zukünftig in ihrem Kampf um rechtliche Gleichbehandlung und für die ungehinderte Ausübung des Berufs Prostitution beizustehen und sie zu unterstützen unter den Forderungen:

 ► Gewerberecht statt Strafrecht: Vollständige Entkriminalisierung von Prostitution!

Prostitutionsstätten als „anzeigepflichtige Gewerbe“ (§ 14 GewO) anerkennen!

Anerkennung von selbständiger Sexarbeit als freiberufliche Tätigkeit!

Schluss mit Sperrgebietsverordnungen und baurechtlichen Schikanen!

Rechtliche Gleichbehandlung von Prostitution mit anderen Berufen!

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