Bundesfinanzhof zu Attac:

erstellt von Doña Carmen e.V. — zuletzt geändert 2019-02-26T19:16:08+01:00
Anschlag auf demokratisches Engagement zivilgesellschaftlicher Organisationen

Das heute bekannt gewordene skandalöse Urteil des Münchner Bundesfinanzhofs entzieht der globalisierungskritischen Vereinigung Attac die Gemeinnützigkeit. Attac habe die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung in der Bundesrepublik Deutschland „im Sinne eigener Auffassungen“ und ohne die neuerdings erforderliche „geistige Offenheit“ beeinflusst und damit die Grenzen der politischen Bildung überschritten.

Eine derartige „Begründung“ für den Entzug der Gemeinnützigkeit von Attac trägt alle Züge eines kafkaesken, vordemokratischen Gesinnungsurteils, dass Herren wie Putin, Erdogan, Xi Jinping und Netanjahu vor Neid erblassen lässt.

Wenn man bedenkt, dass neben dem Frankfurter Finanzamt auch das seinerzeit noch von Herrn Schäuble geleitete Bundesfinanzministerium vor dem Bundesfinanzhof gegen ATTAC geklagt hat, so ist klar, dass es sich hier um ein politisch motiviertes Vorgehen handelt.

Mit dem Verfahren sollte „geklärt werden, ob sich eine gemeinnützige Körperschaft in Verfolgung dieser gemeinnützigen Zwecke an einem gesellschaftspolitischen Diskurs beteiligen darf“ – so die Klagebegründung gegen Attac. Gemeinnützige Organisationen sollen sich zukünftig politisch angepasst auf die „Darstellung des status quo“ beschränken und es unterlassen, sich öffentlich für politische Alternativen einzusetzen. Die Darstellung alternativer politischer Lösungen soll aus Sicht des Frankfurter Finanzamts und des Bundesfinanzministeriums das Monopol der Parteien bleiben: „Die Darstellung von alternativen Lösungsansätzen für gesellschaftspolitische Themen ist klassische Aufgabe der politischen Parteien“ – so die Klageschrift gegen Attac.

Dass sich der Bundesfinanzhof sich dieser Sicht der Dinge ausgerechnet zu einem Zeitpunkt anschließt, als die Meldung „Volksparteien verlieren Tausende Mitglieder“ die Runde macht, spricht Bände. Die Entscheidung kommt einer massiven Bedrohung des demokratischen Engagements unzähliger als gemeinnützig anerkannter Organisationen gleich, denen damit ein Maulkorb verpasst werden soll.

Die heute bekanntgegebene Entscheidung der Münchner Richter kann nur als Versuch der politischen Einschüchterung als gemeinnützig anerkannter regierungskritischer Organisationen gewertet werden.

Gerade im Hinblick auf die Verteidigung der Rechte von Sexarbeiter/innen gegen rechtliche und gesellschaftliche Diskriminierung durch das von der herrschenden politischen Klasse verabschiedete Prostituiertenschutzgesetz erweist sich das Münchner Urteil als unmittelbare Bedrohung. Doch nicht nur Beratungsstellen für Sexarbeiter/innen, auch Organisationen wie beispielsweise die Deutsche Aids-Hilfe e.V. oder ‚pro familia‘, in deren Satzung es heißt: „pro familia verfolgt seine Ziele ferner durch Einflussnahme auf Gesetzgebung und Verwaltung“, wären einem Verdrängungsprozess aus dem öffentlichen Raum ausgesetzt, der erhebliche und nicht hinnehmbare negative Folgen für die von diesen Organisationen beratenen und betreuten Menschen hätte.

Um auch weiterhin ungehindert für die rechtliche Gleichbehandlung von Sexarbeiter/innen und die Anerkennung von Prostitution als Beruf eintreten zu können, solidarisiert sich Doña Carmen e.V. mit Attac. Das heutige Urteil darf keinen Bestand haben!

Doña Carmen e.V., 26.2.2019