Ausweitung der Videoüberwachung?

erstellt von dieDatenschützer Rhein Main — zuletzt geändert 2017-01-05T11:20:34+01:00
Offener Brief der Bürgerrechtsgruppe dieDatenschützer Rhein Main an den Frankfurter CDU-Vorsitzenden Uwe Becker.

Frankfurt, den 02.01.2017

Die von Ihnen geforderte Ausweitung der Videoüberwachung auf Hauptwache, Zeil und Römerberg

Sehr geehrter Herr Becker,

mit Verblüffung haben wir der Frankfurt Rundschau vom 28.12.2016 die Meldung entnommen: „Als Reaktion auf den Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt, den versuchten Mord an einem Obdachlosen und eine Tritt-Attacke in einer Berliner U-Bahn-Station fordert der Frankfurter CDU-Chef Uwe Becker eine Ausweitung der Videoüberwachung auf Hauptwache, Zeil und Römerberg. Er zähle darauf, dass die Koalitionspartner erkennen, dass die frühere Ablehnung der Videotechnik längst nicht mehr in die heutige Zeit und zu den heutigen Sicherheitsanforderungen passt. Es wirke grotesk, wenn Behörden bei Bürgern nach Handyaufnahmen fragten, aber die Politik nicht bereit sei, den notwendigen Videoschutz herzustellen...“.

Ihre Forderungen gehen – mindestens bezogen auf den Römerberg – noch über die Forderungen hinaus, die der Frankfurter Polizeipräsident im Februar 2016 in der 47. Sitzung des Rechtsausschusses der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung erhob. Die Hessenschau1 berichtete damals: „Zwei Wochen vor der Kommunalwahl warb der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill auf Bitte des Ordnungsdezernenten Markus Frank (CDU)... für eine Ausweitung der öffentlichen Videoüberwachung von bislang zwei auf sechs Plätze... In Zukunft wolle die Polizei die Ecke Taunus-/Elbestraße im Bahnhofsviertel, die Hauptwache, den Brockhausbrunnen auf der Zeil und die Allerheiligenstraße an der Einmündung der Breiten Gasse überwachen, sagte Bereswill. Die seit Jahren bestehenden Anlagen an der Konstablerwache und am Ende der Kaiserstraße am Hauptbahnhof müssten auf den neuesten Stand der Technik gebracht werden, so dass Straftäter identifiziert werden könnten...“ Da weder die Frankfurter Rundschau noch andere Frankfurter Zeitungen bislang darüber informierten, auf welcher Faktenlage und auf welcher Rechtsgrundlage Sie Ihre Forderung erhoben haben, suchten wir auf den Internetseiten der Frankfurter CDU und der CDU-Fraktion in der Stadtverordnetenversammlung nach weitergehenden Informationen; leider vergeblich. Wir möchten Sie daher um die baldige Beantwortung folgenden Fragen bitten:

1. Gibt es belastbare und für die interessierte Öffentlichkeit überprüfbare Daten, dass es an der Hauptwache, auf der Zeil und am Römerberg ein erhöhtes Aufkommen von Drogen- und Kleinkriminalität, Diebstählen und Raubüberfällen gibt – also mehrere örtlich präzise abgrenzbare Kriminalitätsschwerpunkte?

2. Wenn Sie die Videoüberwachung der Hauptwache benennen: Welches Areal meinen Sie damit? Lediglich den Platz unmittelbar rund um die historische Hauptwache? Oder auch den Goetheplatz, den Platz vor der Katharinenkirche, den Rathenauplatz, den Roßmarkt, den Steinweg und den Stoltzeplatz?

3. Beinhaltet Ihre Forderung die Videoüberwachung der Zeil auf ihrer gesamten Länge?

4. Auf Grund welcher spezifischen Gefährdungslage haben Sie den Römerberg in Ihren Forderungskatalog aufgenommen?

5. Haben Sie mit der Forderung nach Überwachung des Römerbergs billigend in Kauf genommen, dass dort künftig eine große Zahl von politischen Kundgebungen und Versammlungen im Visier von Polizeikameras stattfinden würden? Nehmen Sie damit auch billigend in Kauf, dass damit eine Einschränkung der Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und der Meinungsfreiheit (Art. 5 GG) statt- finden würde?

6. Gibt es belastbare und für die interessierte Öffentlichkeit überprüfbare Daten, dass andere Mittel der Gewaltprävention und der Aufklärung von Straftaten an den von Ihnen genannten Straßen und Plätzen nicht zur Verfügung stehen oder nicht geeignet sind, das gewünschte Ziel zu erreichen?

7. Gibt es belastbare und für die interessierte Öffentlichkeit überprüfbare Daten, dass die Video- überwachung der von Ihnen genannten Straßen und Plätze die Probleme objektiv reduzieren kann?

8. Gibt es für die bereits bestehenden Plätze – Konstablerwache und Bahnhofvorplatz – Evaluierungen, die die Fortsetzung dieser bestehenden Videoüberwachung rechtfertigen? Wenn ja, wo und wie sind diese Dokumente einsehbar?

9. Dort, wo das Ziel nicht die Erhöhung der Sicherheitslage, sondern nur die Qualität der Beweise nach der Begehung von Straftaten erhöht werden soll: Mit welchen technischen Mittel soll diese geschehen? Zoomfähigkeit der Kameras? Höhere Auflösung? Analoge oder automatisierte Gesichtserkennung? Tonaufzeichnungen? Analoge oder automatisierte Erkennung von Bewegungsmustern?

10. Wie sieht das geplante Verfahren zur Sichtung – simultan und/oder zeitversetzt – der Videodaten dieser Kameras aus? Soll es mit der technischen Aufrüstung geändert, intensiviert werden?

11. Gibt es bereits ein Verfahrensverzeichnis zu der erweiterten Videoüberwachung?

12. Soll dieses Verfahrensverzeichnis – anders als bisher – wegen der Intensivierung der Überwachung vereinfacht öffentlich zugänglich / einsehbar sein? Immerhin reicht eine individuelle Einsichtnahme beim Polizeipräsidium oder bei der Stadt Frankfurt angesichts der Transparenzerfordernisse auch nach europäischem Recht nicht mehr aus.

13. Welche Kosten sind zu erwarten? Für die Hardware der Kameras und der IT-Anlagen zur Auswertung der Bilder? Für die Software und die Wartung von Hard- und Software? Für die Personalkosten zur Sichtung der Videodaten – simultan oder zeitversetzt? Für die Personalkosten der regelmäßigen Evaluierung des Einsatzes dieser Videoüberwachung? Für die Revisionskosten bei den behördlichen Datenschutzbeauftragten beim Polizeipräsidium und den bei der Stadt Frankfurt am Main, sowie die Revisionskosten beim Hessischen Datenschutzbeauftragten? Erst nach Beantwortung dieser Fragen wird es der interessierten Frankfurter Bürgerschaft möglich sein, eine ergebnisoffene Diskussion über öffentliche Sicherheit, subjektives Sicherheitsempfinden, überprüfbare Fakten und die Notwendigkeit und Intensität von Videoüberwachung an den von Ihnen genannten Plätzen zu führen.

Wir möchten Sie zu Ihrer Meinungsbildung auf drei aktuelle und lesenswerte Stellungnahmen von WissenschaftlerInnen und DatenschützerInnen zum Wert von Videoüberwachung hinweisen:

Das Darmstädter Echo2 lässt in seiner Ausgabe vom 19.11.2016 in einem Interview unter der Überschrift „Mehr Kameras, mehr Sicherheit?“ den Kriminologen Prof. Dr. Thomas Feltes (Ruhr- Universität Bochum) zu Wort kommen. Mit bemerkenswerten Aussagen. Auf die Frage „Schreckt eine Überwachungsanlage potenzielle Täter ab?“ antwortet Prof. Feltes: „Das ist Blödsinn. Eine präventive Wirkung von Videoüberwachung ist lediglich beim Kfz-Diebstahl bewiesen... Bei allen anderen Straftaten, vor allem im Bereich der Kleinkriminalität, haben weltweite Studien gezeigt, dass sie überhaupt keinen abschreckenden oder präventiven Effekt hat.“ Und zur Frage „Können durch Videoüberwachung andere Straftaten wenigstens im Nachhinein aufgeklärt werden?“ stellt er fest: „Britische und deutsche Studien haben gezeigt, dass Videoüberwachungs-Maßnahmen die Aufdeckungsrate von Straftaten nicht steigern. Ein Zusammenhang zwischen der Zahl der installierten Kameras und der Aufklärungsquote ist nicht feststellbar.“

Prof. Feltes kommt damit zum gleichen Ergebnis wie die Datenschutzbeauftragten der 16 Bundesländer3 , die kürzlich Stellung genommen haben zum geplanten Videoüberwachungs- “verbesserungs“-gesetz von Bundesinnenminister Lothar de Maizière (CDU). Sie erklärten u. a.: „Auch die mögliche Erhöhung eines faktisch ungerechtfertigten subjektiven Sicherheitsgefühls könnte Grundrechtseingriffe nicht rechtfertigen.“

In der Saarbrücker Zeitung4 vom 24.12.2016 kommt die Kriminologin Prof. Dr. Rita Haverkamp, Mitglied im Forschungsbeirat des Bundeskriminalamtes (BKA) zu Wort. Auf die Frage „Es heißt, Überwachungskameras erhöhen das subjektive Sicherheitsgefühl der Bürger. Stimmt das?“ antwortet sie: „Es wurde festgestellt, dass es keinen objektiv messbaren Effekt auf die Kriminalität gab, aber dass sich die Bevölkerung durch die Videokameras sicherer fühlte... Man muss sich natürlich überlegen, wohin solche Begründungen führen können. Zumal ja auch Gewöhnungseffekte eintreten. In fünf oder zehn Jahren erhöhen die Kameras vermutlich nicht mehr das subjektive Sicherheitsgefühl. Dann stellt sich die Frage nach einer weiteren Aufrüstung...“

Seit mehreren Jahren veranstalten wir Videospaziergänge von der Konstablerwache über Zeil, Hauptwache und Goethestraße zum Opernplatz und informieren dabei über die bereits vorhandenen Kameraanlagen und deren (häufig nicht vorhandene!) Rechtsgrundlagen. Der nächste Termin ist für den 18. März 2017 angesetzt; Anmeldung über die VHS Frankfurt am Main. Gerne sind wir darüber hinaus bereit, gemeinsam mit Ihnen einen solchen Spaziergang zu organisieren und dabei über Nutzen und Gefahren von Videoüberwachung zu sprechen.

Mit freundlichen Grüßen

dieDatenschützer Rhein Main (https://ddrm.de/)

gez. Uli Breuer
gez. Roland Schäfer
gez. Walter Schmidt

In Kopie an Fraktionen in der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung


1 http://hessenschau.de/politik/polizei-will-in-frankfurt-mehr-videoueberwachung-,videoueberwachung-ffm-100.html#kameras

2 http://www.echo-online.de/lokales/darmstadt/mehr-kameras-mehr-sicherheit_17482506.htm

3 https://www.datenschutz-mv.de/datenschutz/themen/beschlue/92_DSK/Entsch-Video.pdf

4 http://www.saarbruecker-zeitung.de/saarland/saarbruecken/saarbruecken/saarbruecken/Kameras-und-Photoapparate-Terroristen-Verbrechensfaelle-Video-Ueberwachung-Ueberwachungskameras-Saarbruecken;art446398,6338083


dieDatenschützer Rhein Main sind
- eine Gruppe des Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung (http://vorratsdatenspeicherung.de/),
- Partner der Aktion: „Stoppt die e-Card!“ (http://www.stoppt-die-e-card.de/),
- Partner des Bündnis „Demokratie statt Überwachung“ (https://www.demokratie-statt-ueberwachung.de/),
- Partner des Frankfurter Bündnis gegen TTIP, CETA und TISA (https://ffmgegenttip.wordpress.com/) und
- Partner der „Initiative Finanzplatz Frankfurt“ (https://ddrm.de/wp-content/uploads/IFiF-Verfassung-201605.pdf).
Hervorgegangen ist die Gruppe aus der Volkszählungsbewegung „11gegenZensus11“.

Die aktuellen Arbeitsschwerpunkte sind ein unabhängiges Frankfurter Datenschutzbüro, die Videoüberwachung des öffentlichen Raums und von politischen Aktivitäten (Demonstrationen und Kundgebungen), die elektronische Gesundheitskarte, die Vorratsdatenspeicherung sowie weitere Datenschutzthemen.