26 neue „Stolpersteine“ in Frankfurt

erstellt von Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main e.V. — zuletzt geändert 2020-06-16T19:37:59+01:00
26 neue „Stolpersteine“ werden am kommenden Wochenende (20./21.Juni) in Frankfurt am Main enthüllt. Diese Stolpersteine werden in den Tagen zuvor vom Stadtteilservice ffmtipptopp verlegt. Oberbürgermeister Peter Feldmann wird an der Enthüllungszeremonie am Samstag um 11.10 Uhr im Grüneburgweg 103 teilnehmen.

Dort werden sechs Stolpersteine für die Familie Neumann verlegt. Alle Familienmitglieder waren jüdischer Herkunft, gehörten zur Evangelisch-reformierten Gemeinde und waren Mitglieder des Cäcilienchores, der diese  Stolpersteine initiiert und finanziert hat.

Der erste Stolperstein wird am Samstag um 10 Uhr in der Moselstraße 5 für Erna Poser enthüllt, die im Alter von zehn Jahren in Hadamar Opfer der „Euthanasiemorde“ wurde. Die meisten der neuen Stolpersteine erinnern an als Juden verfolgte Opfer des Nationalsozialismus. Einer davon war der Sportjournalist Max Behrens (1897-1952), der 1929 von Eintracht Frankfurt mit der Ehrennadel des Vereins ausgezeichnet wurde. Eintracht Frankfurt hat auch den Stolperstein initiiert und finanziert, der in der Rotteckstraße 2 um 12.20 Uhr enthüllt wird.

Alle Enthüllungen am Sonntag finden in Niederrad statt. Beginnend um 14 Uhr in der Goldsteinstr. 145 (Ecke Hahnstraße) sollen vier Steine an ermordete Zwangsarbeiter erinnern, die im Arbeitslager der Deutschen Reichsbahn arbeiten mussten. In dem Lager waren zwischen 1940 und 1945 Hunderte von Zwangsarbeitern aus Frankreich, Belgien, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion untergebracht.

Weitere Stolpersteine in Niederrad erinnern an einen ermordeten Kommunisten und an die beiden bekannten Frankfurter Unternehmer Carl von Weinberg (1861-1943) und Ludwig von Gans (1869-1946).

Stolpersteine sind 10 cm x 10 cm x 10 cm große Betonquader mit einer auf deren Oberseite verankerten Messingplatte, auf der die Namen und Daten von Menschen eingraviert sind, die während der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden, aus Deutschland fliehen mussten oder die Lager überlebten. Sie werden in die Bürgersteige vor den letzten freiwilligen Wohnorten der Opfer eingelassen.

Seit 2003 wurden in Frankfurt 1.500 Stolpersteine verlegt, insgesamt hat der Erfinder der Stolpersteine, Gunter Demnig, über 80.000 Stolpersteine in mehr als 1.200 Städten und Gemeinden in Deutschland und 24 europäischen Ländern verlegt. Die Stolpersteine gelten als das größte dezentrale Mahnmal der Welt.

Wegen der Corona-Pandemie musste die für Mai geplante Verlegung von 60 Stolpersteinen ausfallen. Zu der Verlegung wollten rund 80 Angehörige und Nachfahren der Opfer vor allem aus Israel und den USA anreisen. Die nächste Verlegung durch Gunter Demnig ist für den 22. Oktober vorgesehen.

Zu den Enthüllungen sind alle Interessierte eingeladen. Der Zeitplan befindet sich im Internet unter www.stolpersteine-frankfurt.de.

Im Anhang finden Sie ein Infoblatt mit sämtlichen Biografien sowie Fotos der Opfer. Während der Enthüllungen bin ich unter der Rufnummer 01715342309 erreichbar.

Frankfurt, 15. Juni 2020

Zeitplan Stolpersteine-Enthüllung 20./21. Juni 2020

Tag

Beginn

Stadtteil

Adresse

Opfer Name

Anzahl
Steine

20.6.

10:00

Bahnhofsviertel

Moselstraße 5

Erna Poser

1

10:40

Westend

Myliusstr. 34

Clara Louise Dondorf

1

11:10

Westend

Grüneburgweg 103

Paul, Elisabeth, Annemarie, Gertrud, Helene und Richard Neumann

6

11:50

Nordend

Lenaustraße 39

Estelle „Ella“ Dondorf

1

12:20

Nordend

Rotteckstr. 2

Max Behrens

1

14:00

Nordend

Böttgerstraße 17

Alfred und Charlotte Goldmann

2

14:35

Ostend

Gagernstraße 17

Hugo, Laura Lore und Mathilde Lindheim

3

 

15:00

Ostend

Luxemburger Allee 36

Hanna und Julius Hellmann

2

21.6.

14:00

Niederrad

Goldsteinstr. 145 (Ecke Hahnstr.)

Alexander Dymkowetz, Michail Swiridenko, Alexander Schelakin, Zdenek Switek + Kopfstein

5

 

14:35

Niederrad

Herzogstraße 9

Heinrich Schabinger

1

 

15:05

Niederrad

Waldfriedstraße 11

Carl von Weinberg, Wera Reiss, Alexander von Szilvinyi

3

 

15:40

Niederrad

Waldfriedstraße 17

Ludwig von Gans

1



Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main e.V., Pressemitteilung, 15. Juni 2020

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Moselstraße 5

Erna Poser
Geburtsdatum: 9.3.1930
1933 Kalmenhof Idstein, 10. 2. 1941 Hadamar
Todesdatum: 10. 2. 1941

Erna Poser lebte mit einer Behinderung und wurde im Dezember 1933 im Idsteiner Kalmenhof in Heilerziehungspflege gegeben. Das Frankfurter Fürsorgeamt hatte das Kind der Mutter, die als „asozial“ galt, weggenommen. Nach der Ehescheidung unternahm Erna Posers Mutter viele Versuche, ihre Tochter aus Idstein wieder nach Hause zu holen. Die Krankenakte zeigt auf, unter welchen Umständen Erna Poser im Kalmenhof untergebracht war. So wurden ihr wegen Läusebefalls alle Haare abrasiert. Die Mutter reiste u.a. unangemeldet in Idstein an, um ihr Kind zu besuchen. Erna Poser wurde am 10. Februar 1941 aus Idstein nach Hadamar gebracht und am gleichen Tag in der Gaskammer ermordet. Die Urne mit der Asche von Erna Poser wurde auf dem Gräberfeld (Hauptfriedhof) beigesetzt.

Der Stolperstein wurde von Martina Hartmann-Menz/Elz initiiert und finanziert von Petra Peters-Becker

Westend Myliusstraße 34

Clara Louise Dondorf
Geburtsdatum: 12.7.1881
Flucht: August 1939 Schweiz

Clara Louise Dondorf wurde als Tochter von Carl Dondorf und seiner Ehefrau Alice Dondorf, geb. Rindskopf, geboren. Carl Dondorf war Geschäftsführer der Druckerei Dondorf, die sein Vater Bernhard Dondorf im Jahr 1833 gegründet hatte. Clara war die Dritte von vier Mädchen 1und blieb als einzige unverheiratet. Sie lebte im Haus ihres Vaters in der Myliusstraße 34; im Nachbarhaus Myliusstraße 32 hatte Clara Schumann bis zu ihrem Tod im Jahr 1896 gelebt.

Clara Dondorf sang ab 1904 im Cäcilienverein, sie ist auch in der Mitgliederliste von 1925 verzeichnet.

Clara Dondorfs Mutter starb 1919. Ihren Vater betreute sie bis zu seinem Tod am 10. Januar 1936. Der Verkauf des Hauses Myliusstraße 34 an den christlichen Kaufmann Hans Schambach fand im Rahmen der „Entjudung des Westends“ statt und zog sich bis Mitte 1939 hin.

Clara Dondorf zahlte alle notwendigen Abgaben und Steuern, um am 1. August 1939 in die Schweiz fliehen zu können. Dort lebte sie in Orselina und Locarno, zeitweise gemeinsam mit der Frankfurter Musikerin Margarete Dessoff, die 1874 in Wien geboren wurde, viele Jahre Chöre in New York City gegründet und geleitet hatte und im November 1944 in Locarno starb.

Ihre Enttäuschung über die Entrechtung der jüdischen Familien in Deutschland war so groß, dass sie auch nach dem Krieg keine Staatsangehörigkeit annehmen wollte, weder die schweizerische noch die deutsche. Sie starb am 24. Januar 1970 in Locarno als Staatenlose mit dem Nansen-Pass. Bestattet wurde sie auf ihren Wunsch im Familiengrab ihrer Eltern auf dem Frankfurter Hauptfriedhof (Gewann III, Gartengrab 24).

Der Stolperstein wurde initiiert und finanziert vom Cäcilienchor Frankfurt.


Westend Grüneburgweg 103

Helene Neumann, geb. Dondorf
Geburtsdatum: 3.7.1876
Deportation: 19.10.1941 Lodz/Litzmannstadt
Todesdatum: 22.1.1942

Richard Neumann
Geburtsdatum: 28.6.1901
Deportation: 19.10.1941 Lodz/Litzmannstadt
Todesdatum: 14.1.1942

Paul Neumann
Geburtsdatum: 19.5.1858
Todesdatum: 16.1.1941

Annemarie Neumann
Geburtsdatum: 6.8.1902
Flucht: 1936 USA

Elisabeth Neumann
Geburtsdatum: 29.4.1900
Flucht: Mai 1942 in die Schweiz

Gertrud Neumann
Geburtsdatum: 2.3.1905
Flucht: 1933 nach Palästina

Paul Neumann wurde in Mannheim als erstes von drei Kindern der Eheleute Jacob und Nanny Neumann, geb. Hirschhorn, geboren. Sein Bruder war der Kunsthistoriker Carl Neumann (1860-1934), der am Ende seines Lebens bei Paul Neumann in Frankfurt wohnte. Seine Schwester Anna (Jg. 1864) heiratete Leopold Steinthal, Direktor des Berliner Maklervereins, und hatte mit ihm fünf Kinder. Justizrat Paul Neumann war promovierter Jurist, Rechtsanwalt und Notar und betrieb seine Kanzlei in der Bockenheimer Anlage 50.

Helene Dondorf wurde als Tochter des Frankfurter Druckereibesitzers Carl Dondorf und seiner aus Amsterdam stammenden Frau Alice in Frankfurt geboren und hatte die drei jüngeren Schwestern Olga, Clara und Marie. Ob sie eine Berufsausbildung hatte, ist nicht bekannt.

Am 16. Februar 1899 heirateten Paul Neumann und Helene Dondorf. 1907 ließen sie sich in der Deutschen evangelisch- reformierten Gemeinde taufen. In kurzer Zeit kamen ihre drei älteren Kinder Elisabeth, Richard und Annemarie (Annemie) zur Welt. Die Familie lebte in der Mendelssohnstraße 81, bis sie 1902 ins eigene Haus im Grüneburgweg 103 zog. Dort wurde die jüngste Tochter Gertrud (Gega oder Gekchen) geboren.

Paul und Helene Neumann
Die Neumanns mussten in der NS-Zeit unter staatlichem Zwang ihr Haus im Grüneburgweg 103 verkaufen. Paul und Helene Neumann zogen in die evangelische Diakonissenanstalt Bethesda in der Körnerwiese 6, ein Alten- und Pflegeheim. Sie mussten wieder ausziehen, als das NS-Regime drohte, der Einrichtung den Status der Gemeinnützigkeit zu entziehen. Sie zogen im November 1938 in die Pension Hirschfeld in der Myliusstraße 40. Dort starb Paul Neumann. Er wurde im Familiengrab der Familie Carl Dondorf auf dem Frankfurter Hauptfriedhof begraben (Gewann III, Gartengrab Nr. 24). Im September 1941 wurde die Pension Hirschfeld zugunsten eines Kindergartens der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt aufgegeben. Erneut musste Helene Neumann umziehen, dieses Mal in ein sogenanntes Judenhaus in der Beethovenstrasse 21, in dem antisemitisch Verfolgte vor ihrer Verschleppung leben mussten, wahrscheinlich zusammen mit ihren beiden noch in Frankfurt verbliebenen Kindern Elisabeth und Richard. Von hier wurden Helene und Richard Neumann deportiert und ermordet. Anna Steinthal wurde am 25. November 1942 von Madgeburg nach Theresienstadt deportiert und starb dort am 28. Januar 1943.

Elisabeth Neumann wurde in Frankfurt geboren, am 6. September 1900 getauft und 1916 konfirmiert. Sie lernte zunächst Kindergärtnerin im Seminar in Frankfurt. Dort lernte sie ihre lebenslange Freundin Anna Wolf aus Schlüchtern kennen, die später den reformierten Pfarrer Alfred de Quervain heiratete, außerdem Margarethe Johanning aus Detmold, die später ihre Kollegin und Lebensgefährtin wurde. Elisabeth wurde Krankenschwester und war ab 1925 Gemeindeschwester in der Deutschen evangelisch-reformierten Gemeinde Frankfurt. 1926 kam Margarethe Johanning als Gemeindeschwester dazu. Als die Pflegegesetze der Nationalsozialisten in Kraft traten, durfte Elisabeth Neumann zunächst weiterarbeiten.

Gemeindepfarrer Erich Meyer sorgte jedoch im Oktober 1939 dafür, dass die Ausnahmegenehmigung des Regierungspräsidiums widerrufen wurde. Sie arbeitete zunächst ehrenamtlich in der Gemeinde weiter und durfte zuerst noch in der Dienstwohnung mit Schwester Margarethe wohnen bleiben, Ende Dezember 1939 war sie bei ihren Eltern gemeldet. Ab 12. Mai 1941 wurde sie zur Zwangsarbeit in der Druckerei Osterrieth herangezogen. Am 19. Oktober 1941 sollte sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Bruder nach Lodz/Litzmannstadt deportiert werden, sie stand bereits in der Liste des dortigen Gettos. Möglicherweise hat der Chef der Firma Osterrieth sie vor der Deportation bewahrt.

Erst nachdem sie im Januar 1942 den Tod ihrer Mutter und ihres Bruders annehmen musste, erlaubte sie sich den Gedanken an die Flucht. Alfred de Quervain, schweizerischer Ehemann der Freundin Anna Wolf, der in den 1920er Pfarrer in Frankfurt gewesen und später in die Schweiz zurückgekehrt war, hatte für sie gebürgt und ihr zwei Einreisebewilligungen für die Schweiz organisiert. Elisabeth Neumann konnte jedoch Deutschland nicht mehr legal verlassen. Neben ihrer Freundin Lilli Simon, geboren 1913, muss es weitere Fluchthelfer gegeben haben, die ihr einen Fluchtweg über die grüne Grenze in die Schweiz vorbereitet hatten.

Elisabeth Neumann verließ Frankfurt am 22. Mai 1942 und kam am 23. Mai in Rafz in der Schweiz an, wo sie von Schweizer Zöllnern angehalten wurde, die sie sogar für eine Nacht beherbergten. Der Aufenthalt in der Schweiz wurde ihr bewilligt, eine Arbeitsgenehmigung erhielt sie jedoch nicht. Sie lebte dann bei Alfred und Anna de Quervain in Laufen, kümmerte sich um die Kinder der Familie und war ehrenamtlich in der Kirchengemeinde tätig.

Nachdem ihre Frankfurter Gemeinde sie im August 1945 gebeten hatte zurückzukehren, reiste sie im Frühjahr 1946 nach Frankfurt. Nach ihrer Rückkehr sagte Elisabeth Neumann später: „Vielleicht konnte es mancher nicht verstehen, dass ich in das Land zurückkehrte, das so viel Leid über unzählige Menschenbrüder gebracht hatte. ... Meine Schwestern sind nicht heimgekehrt – aber ich musste es einfach versuchen, mich mit meiner Heimat und ihren Menschen, mit meiner lieben Gemeinde, unter Gottes Vergebung zu stellen.“ Elisabeth Neumann wohnte wieder mit ihrer Freundin Margarethe Johanning und war bis 1963 wieder als Gemeindeschwester tätig. Danach lebten die beiden Frauen in der Wolfsgangstraße zusammen. 1985 verschlechterte sich Elisabeth Neumanns Gesundheitszustand; sie zog um ins Altersheim der evangelisch-reformierten Gemeinde in der Seilerstraße und starb im August 1988. Auch sie wurde im Familiengrab der Familie Carl Dondorf auf dem Hauptfriedhof bestattet.

Richard Neumann wohnte bis 1935 bei seinen Eltern im Grüneburgweg. In der Deportationsliste ist Kaufmann als sein Beruf angegeben. Annemarie Neumanns Beruf war laut der Passagierliste einer 1934 erfolgten Reise nach England Fürsorgerin. Bei der Annulierung ihrer deutschen Staatsbürgerschaft 1941 steht als Beruf: Sozialbeamtin. Am 2. Dezember 1936 bestieg sie in Hamburg das Schiff Washington mit einem Visum für die USA.

Sie kam am 10. Dezember 1936 in New York an und lebte dann in einer Quäkersiedlung im Bundesstaat Pennsylvainia. Sie starb am 10. Januar 1990 in Miami.

Gertrud Neumann war schon früh überzeugte Zionistin. Sie machte zunächst eine gärtnerische Ausbildung im Frankfurter Palmengarten und in Balduinstein an der Lahn, arbeitete als Gärtnergehilfin in Bad Pyrmont, Frankfurt und am Tegernsee in Bayern. Sie studierte dann Gartenbau an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Berlin und promovierte über Wurzelpilze am Enzian. Ihre Dissertation wurde 1934 in Jena veröffentlicht. Gertrud Neumann flüchtete 1933 nach Palästina, wohl gegen den Willen ihrer Familie. Sie lebte in Jerusalem und arbeitete wahrscheinlich zeitweise im Botanischen Garten am Mount Scopus. Sie heiratete 1947 den in Magdeburg geborenen 23 Jahre älteren promovierten Rechtsanwalt Walter Graetzer. 1948 erklärte Gertrud Graetzer wie auch ihre noch lebenden Geschwister Elisabeth und Annemarie Neumann den Verzicht auf Rückerstattung des Hauses Grüneburgweg 103, wobei sie mit Dr. Gert Graetzer unterschrieb. Walter Graetzer starb 1954, Gertrud Graetzer am 22. November 1994.

Wenige Familien waren dem Cäcilienverein so verbunden wie die Familie Neumann. Bis auf die Jüngste, Gertrud, haben alle zumindest zeitweise im Cäcilienverein gesungen. Paul Neumann sang bereits seit 1890 im Bass und war mindestens zwei Jahrzehnte lang im Vorstand des Cäcilienvereins. Für sein Engagement erhielt er beim 100-jährigen Jubiläum 1918 den Orden Roter Adler, dem heutigen Bundesverdienstkreuz vergleichbar, und wurde 1923 zum Ehrenmitglied des Chores ernannt.

Alfred de Quervain, der in den 1920er Jahren ebenfalls im Cäcilienverein sang, erinnert sich: „In den Proben des Cäcilienvereins saß ich neben ihrem [Elisabeth Neumanns] Vater, dem Justizrat Neumann. Er war nicht nur ein sehr sicherer Sänger, sondern ein Mann von gutem musikalischem Geschmack und wirklichem Verständnis. So war für mich erquickend, in den Hauptproben sein Urteil über das rechte Verständnis dessen, was gesungen wurde, zu hören.“ Helene Neumann sang seit 1903 im Chor und war noch 1925 passives, d.h. förderndes Mitglied. Vermutlich sang auch Elisabeth Neumann im Chor sang, sie erzählte, wie sie unter dem berühmten niederländischen Dirigenten Willem Mengelberg gesungen habe, dem Leiter des Cäcilienvereins von 1909 bis 1920. Richard und Annemarie Neumann sind in den erhalten gebliebenen Mitgliederlisten von 1925 als aktive Mitglieder verzeichnet. Unter Willem Mengelberg kam es zu bedeutenden Aufführungen der Bachschen Passionen, Beethovens Missa Solemnis und neuerer Werke wie der 2. und 8. Symphonie Gustav Mahlers. Zwei Monate nach der Machtergreifung erhielten alle jüdisch-stämmigen Mitglieder des Cäcilienvereins ein Auftrittsverbot, so auch Paul Neumann nach 43 Jahren Mitgliedschaft im Chor.

Die Stolpersteine wurden vom Cäcilienchor Frankfurt initiiert und finanziert. Die Stolpersteine für Helene und Richard wurden bereits im Jahr 2006 verlegt. Beide Steine werden erneuert, da sie stark beschädigt sind.

Nordend Lenaustraße 39

Estelle Dondorf
Geburtsdatum: 30.9.1904
Zwangsumsiedlung: 1944 Elsass

Estelle „Ella“ Dondorf wurde in Frankfurt als einzigen Kind von Otto Dondorf und seiner katholischen Ehefrau Maria Theresia, geb. von Steinle, geboren. Otto Dondorf hatte jüdische Eltern, konvertierte aber vor der Heirat zum Katholizismus. Er war, wie zuvor sein Vater Paul Dondorf, Geschäftsführer der Dondorf-Druckerei an der Bockenheimer Warte, wo das Backsteingebäude der Druckerei heute noch steht. Sein Großvater Bernhard Dondorf hatte die Firma gegründet. Estelle Dondorfs Urgroßvater mütterlicherseits war der Kirchenmaler Edward Jakob von Steinle, der 1850 erster Professor am Städelschen Institut in Frankfurt war.

Estelle heiratete 1923 den Kaufmann Karl Otto Vetter, der sich aber 1929 von ihr scheiden ließ, weil er aus der Ehe mit einer jüdisch-stämmigen Frau Nachteile für seine Karriere befürchtete. Aus der Ehe war eine Tochter hervorgegangen. Estelle hatte noch zwei weitere Töchter. Nach dem frühen Tod von Otto Dondorf im Jahr 1930 war seine Witwe Maria Theresia offenbar fast mittellos. Sie zog mehrfach innerhalb von Frankfurt um, nachdem die Familie zuvor viele Jahre An der Körnerwiese 6 gewohnt hatte.

Karl Vetter hatte sich bei der Scheidung verpflichtet, seiner geschiedenen Frau Estelle monatlich 250,- RM zu zahlen. Das tat er aber nur bis November 1931. Im Jahr 1933 wohnte Estelle zeitweise gemeinsam mit ihrer Mutter in einer Pension in der Eppsteiner Straße 38.

1934 wurde sie wegen Betrugs zu einer Strafe von drei Monaten im Gefängnis Preungesheim verurteilt.
1936 wohnte eine als „E. Vetter“ bezeichnete Person in der Friedberger Landstraße 19 im 4. Stock. Vermutlich ist das der Eintrag für Estelle, denn im selben Stockwerk wohnte auch Maria Theresia Dondorf, ihre Mutter. 1937 wohnte Maria Theresia Dondorf in der Gaußstraße 38 im Erdgeschoss. 1939 wohnten Maria Theresia, Estelle und ihre Tochter Ursula in der Lenaustraße 39. 1944 siedelte Estelle Dondorf ins Elsass über; unklar ist, ob es sich dabei um eine Flucht oder um eine Zwangsumsiedlung handelte. Sie wurde dort von den Alliierten befreit und starb 1946.

Sowohl Estelle als auch ihre Eltern Otto und Maria Theresia Dondorf waren Mitglieder im Cäcilienverein. In der Mitgliederliste von 1925 taucht der vermutlich später hinzugefügte Hinweis auf, Kontaktaufnahmen zwecks Zahlung der Mitgliedsbeiträge seien nicht mehr erwünscht, was mit der Verarmung der Familie zusammenhängen könnte.

Der Stolperstein wurde initiiert und finanziert vom Cäcilienchor Frankfurt.

Nordend Rotteckstraße 2

Max Behrens
Geburtsdatum: 18.12.1897
Haft: 16.11.1936, „Rassenschande“, Gefängnisse Freiendiez und Butzbach Flucht: 1939 USA

Max Behrens entstammte einer Hamburger Journalisten-Familie. Sein Vater war 46 Jahre lang Redakteur bei dem „Hamburger Anzeiger“. Behrens besuchte in Hamburg die Schule und machte sein Abitur, danach dient er als Kriegsfreiwilliger im Ersten Weltkrieg. Nach dem Krieg arbeitete er beim „Hamburger Anzeiger“, 1920 zog er nach Frankfurt, wo er zunächst als Journalist für das „Sport-Echo“ arbeitet. Er bezog eine kleine Wohnung in der Rotteckstraße 2, später dann in der Offenbacher Landstraße. Schnell wurde der „dicke Max“ in Frankfurt eine Institution. Er schrieb unter anderem für den „Frankfurter Generalanzeiger“, die „Frankfurter Zeitung“, den „FN-Sport“, die „Frankfurter Nachrichten“ und auch für die „Vereins-Nachrichten“ der Eintracht. Die Zeitzeugin Hilde Kremer erinnert sich, dass der „dicke Max“ selbst aus einem langweiligen 0:0 im Stadion noch einen großartigen Bericht machte, damit sich das Zeilenhonorar zumindest ein wenig für ihn lohnte.

Behrens galt in Frankfurt nur als das „wandelnde Fußballlexikon“, 1929 wurde er von der Eintracht Frankfurt mit der Ehrennadel des Vereins ausgezeichnet. Aber Max interessierte sich nicht nur für Sport. Er schrieb auch über lokale Themen und war seit 1926 Korrespondent für die Filmfachzeitschrift „Die Lichtbildbühne“, die in Berlin erscheint.

Von den Nationalsozialisten wurde Max Behrens als Jude verfolgt. Am 16. November 1936 wurde er wegen angeblicher „Rassenschande“ in Untersuchungshaft genommen. Am 22. Dezember 1936 verurteilte ihn die 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt wegen „Rassenschande in zwei Fällen“ zu einer Zuchthausstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Max blieb bis zum 22. Juni 1939 im Gefängnis, unter anderem im Zuchthaus Freiendietz und in Butzbach.

Nach seiner Entlassung wurde Max Behrens gedroht, er müsse innerhalb einer Woche ausreisen, ansonsten werde er in ein Konzentrationslager gebracht. Edwin Van D`Elden aus dem US- Konsulat in Stuttgart organisierte das lebenswichtige Visum. Nach dem Krieg berichtet Max`s Schwester Hertha, dass ihr Bruder am 11. oder 12. Juli 1939 von Hamburg aus mit der Hamburg-Amerika-Linie nach New York floh. Das Geld für die Flucht hatte er sich bei seiner zweiten Schwester Grete, die bereits in den USA lebte, geliehen. Der einst wohlhabende Max Behrens war längst mittellos.

Max Behrens war durch die fast dreijährige Haft gesundheitlich schwer angeschlagen ist, er musste als Hilfsarbeiter Geld verdienen. Erst 1945 fand er eine Stelle bei der „New Yorker Staatszeitung“ als Sportreporter. 1947 heiratete Max Behrens seine wie er aus Hamburg stammende Freundin Irma.

Zum 50. Geburtstag des FSV Frankfurt schrieb Max Behrens 1949 für die Festschrift der Bornheimer einen Beitrag mit dem Titel „Ein New Yorker an seine alten ‘Bernemer‘“. Darin klagt er über den Fußball in seiner neuen Heimat: „Wenn ich an den amerikanischen Fußball denke, so habe ich Heimweh nach dem deutschen. Zwar sind wir hier vom Deutsch- Amerikanischen Fußballbund der wohl größte und best organisierte Amateur-Verband der Staaten, aber leider ist ‚Soccer‘ immer noch eine Art Aschenbrödel in USA, und Baseball und amerikanischer Fußball sind Könige.“ Im gleichen Jahr wird er von der Eintracht wieder mit der Ehrennadel ausgezeichnet. Max Behrens war Mitglied im Deutsch-Amerikanischen Fußballverbund und war beauftragt, Touren populärer deutscher Mannschaften durch Amerika zu organisieren, um dem Fußball in den USA zu Popularität zu verhelfen und um der Völkerverständigung mit Deutschland zu dienen. 1950 reiste der Hamburger SV als erste deutsche Fußballmannschaft während einer „Good-Will-Tour“ durch Amerika. 1951 kümmerte sich Max Behrend darum, dass die Eintracht nach Amerika fliegen kann. Den Freunden vom FSV wird das nicht gefallen haben, hatte Max Behrens doch in dem Festschriftbeitrag eine mögliche Reise des FSV anklingen lassen. Aus der erfolgreichen Gastspielreise der Eintracht durch die USA brachten die Spieler eine Spende in Höhe von 50.000 Dollar mit – das Geld bildete den Grundstein für die neue Tribüne am Riederwald.

Max Behrens starb am 12. November 1952 in New York. Nach Aussage von Dr. Max William Kulik, einem Sportfreund aus Frankfurter Tagen, stand frühe Tod in unmittelbarem Zusammenhang mit Spätfolgen seiner Verfolgung in Deutschland. Kulik berichtete: „Als ich ihn nach Jahren in New York in meiner hiesigen Praxis wiedersah, fand ich ihn vorzeitig gealtert, hochgradig nervös und immer noch seelisch bedrückt von den furchtbaren Erlebnissen der Rassenverfolgung, durch die er hindurchgehen musste. Er klagte sehr über Brust- und Schulterschmerzen, die einwandfrei als Angina pectoris gedeutet werden mussten. ... Bei dieser Untersuchung wurde ebenfalls eine sehr starke unkontrollierte Zuckerkrankheit festgestellt. Beide Krankheiten, die Aderverkalkung mit Angina pectoris und die Zuckerkrankheit setzen zu ihrer zufriedenstellenden Behandlung seelische und nervliche Ruhe voraus, einen Zustand, den Herr Behrens auf Grund der Nachwirkungen der jahrelangen Verfolgungsmaßnahmen unter dem Nazi-Regime niemals hat erreichen können, sodass er schließlich in einem Anfall von Kranz-Nervverschluss vorzeitig sein Leben beschließen musste.“ Auch Marsh Mc Call, der Direktor des Beekman Downtown Hospital bestätigte, dass Behrens Erkrankung eine Nachwirkung der Haftzeit in Deutschland war. Irma Behrens versuchte nach dem Tod ihres Mannes vergeblich eine Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz zu erwirken. Der Antrag wurde am 9. April 1959 abgelehnt.

In Frankfurt widmete man Max Behrens ehrenvolle Nachrufe, so die Frankfurter Rundschau: „Wir wissen, dass viele alte Fußballer jetzt einen Augenblick trauern um diesen Mann, der in Frankfurt so viele Freunde besaß. Der gute, dicke Max hat unter denen, die ihn kannten, nicht einen Gegner besessen, und es musste ein ‚Rassenproblem ́ auftauchen, um ihn aus der Stadt seiner Freunde zu vertreiben. Freiwillig wäre der Max nie fortgegangen. Sein Werk waren die Besuche deutscher Fußballmannschaften in den USA.“

Der Stolperstein wurde initiiert und finanziert von Eintracht Frankfurt.

Nordend Böttgerstraße 17

Alfred Goldmann
Geburtsdatum: 17.11.1877
Deportation: 19.10.1041 Lodz/Litzmannstadt
Todesdatum: 21.10.1941

Charlotte Goldmann, geb. Lichtenstein
Geburtsdatum: 14.01.1893
Deportation: 19.10.1041 Lodz/Litzmannstadt
Todesdatum: 23.10.1941

Alfred Goldmann wurde in Hindenburg, Charlotte Goldmann in Berlin geboren. Alfred Goldmann war Oberbaurat bei der Reichsbahn. Zuletzt wohnten die beiden in der Telemannstraße 18, ein „Judenhaus“, in dem antisemitisch verfolgte Personen vor ihrer Verschleppung leben mussten, und wurden von dort mit rund 18 Personen von dort deportiert.

Die Stolpersteine wurden von Jan Eckert, einem Bewohner der Böttgerstraße, initiiert und finanziert.

Ostend Gagernstraße 17

Hugo Lindheim
Geburtsdatum: 8.7.1892
Flucht: 1937 Belgien
Internierung: Mechelen (Malines)
Deportation: 15.1.1943 Auschwitz
Todesdatum: unbekannt

Laura Lore Lindheim
Geburtsdatum: 19.11.1921
Flucht: 1937 Belgien
Internierung: Mechelen (Malines)
Deportation: 5.1.1943 Auschwitz
Todesdatum: unbekannt

Mathilde Lindheim, geb. Bachenheimer
Geburtsdatum: 14.2.1892
Flucht: 1937 Belgien
Internierung: Mechelen (Malines)
Deportation: 15.1.1943 Auschwitz
Todesdatum: unbekannt

Mathilde Lindheim wurde in Röddenau geboren, Hugo Salli Lindheim in Rennertehausen als Sohn des Kaufmanns Siegfried Lindheim (1860-1939) und von Ida, geb. Mosheim (1866 – 1923) zur Welt. Er hatte zwei ebenfalls in Rennertehausen geborene Geschwister Berthold Lindheim (1895-1973) und Martha Lindheim (Jg. 1900, verheiratete Loewenberg).

Hugo Lindheim war Kaufmann und Möbelfabrikant. Am 11. Februar 1920 heiratete er in Frankfurt Mathilde Bachenheimer. Sie zogen mit ihrer Tochter 1924 aus der Lersnerstraße 30 in die Rhönstraße 119 und 1929 in die Gagernstraße 17.

Hugo Lindheim war Inhaber der Möbelfabrik Lindheim & Co., die ihren letzten Frankfurter Sitz in der Rhönstraße 30 hatte. 1927 wurde das Unternehmen nach Kahl am Main in Unterfranken verlegt.

In den Jahren bis1937 baute Lindheim dort ein technisch modernes Werk mit 114 Mitarbeitern auf. Mitte der 1930er Jahre wurde er zum Verkauf von Geschäft und Grundbesitz gedrängt und musste schließlich verkaufen.

Am 1. Dezember 1937 ging Lindheims Kahler Möbelwerk „in den Besitz des 28-jährigen Unternehmers Karl Kübel über, der die Firma in wenig später in „3-K“-Möbelwerke umbenannte, eine bis weit in die 1960er Jahre hinein bekannte Marke im Nachkriegsdeutschland. Auf ihrer Webseite stellt die „Karl Kübel Stiftung für Kind und Familie“ das bis heute als einen eher nebensächlichen Akt dar, als einen Erwerb „von einem jüdischen Fabrikanten [..], der es im Zuge der Arisierung verkaufen musste“. Die moralische Frage ist für sie damit erledigt, dass „nach Kriegsende die Erben des jüdischen Fabrikanten einen Wiedergutmachungsantrag stellten“ und von Kübel entschädigt worden seien.

Stattdessen wird Karl Kübel als „sozial engagierter Unternehmer und gläubiger Christ“ bezeichnet und als Beispiel eines „christlich geprägten Unternehmertums“ und „tief verwurzelt im ökumenischen Glaubensgrund des Christentums“.

Die Lindheims flüchteten um die Jahreswende 1937/38 nach Belgien. Sie werden nicht als politische Flüchtlinge registriert. Hugo Lindheim erhielt eine Arbeitserlaubnis bei Devos Frères in Mechelen, Die Tochter Lore besuchte ein Internat in Morlanwelz.

Der deutsche Überfall am 10. Mai 1940 auf die Niederlande, Belgien und Luxemburg hatte keine bekannten unmittelbaren Auswirkungen auf die Lindheims. Anfang August 1942 wurden sie in das erst wenige Monate zuvor errichtete SS-Sammellager Mecheln gebracht und von dort deportiert.

Hugo Lindheims Bruder Berthold war promovierter Chemiker in Frankfurt und ab 1927 mit Herta Fränkel aus Würzburg verheiratet. Ihr Sohn Fred Horst Lindheim (Jg. 1932) konnte 91938 mit einem Kindertransport zu seinem Onkel in Belgien fliehen. Berthold Lindheim wurde nach der Pogromnacht 1938 nach Buchenwald verschleppt und konnte nach seiner Freilassung mit seiner Frau im Frühjahr 1939 nach London und von dort mit ihrem aus Belgien nachgekommenen Sohn Fred in die USA weiterfahren.

Hugo Lindheims Schwester Martha lebte mit ihrem Ehemann Kurt Löwenberg (Jg. 1892) in Rennertehausen. Beim Novemberpogrom 1938 wurde Siegfried Lindheim durch SA-Leute ins Ortsgefängnis gesperrt, während sich Kurt Löwenberg der Festnahme entziehen konnte. 1939 konnten alle drei – Siegfried Lindheim, Martha und Kurt Löwenberg – nach Belgien fliehen, wo Siegfried Lindheim starb. Martha und Kurt Löwenberg gelang die Weitereise nach Chile.

Nach dem Krieg erwirkte der inzwischen in New York lebende Berthold Lindheim ein Verfahren um die Rückgabe des Betriebs in Kahl an, das 1949 durch einen Vergleich mit Karl Kübel abgeschlossen wurde. Für ihn und die Stiftung war damit die Arisierung des Lindheimschen Besitzes einfürallemal vom Tisch.

Die Stolpersteine wurden initiiert von Bernd Wältz/Dietzenbach, der über die Familie von Hugo Lindheim recherchiert hat. Finanziert wurden sie von Peter Smeets.

Ostend Luxemburger Allee 36

Hanna Hellmann
Geburtsdatum: 31.10.1877
Deportation: 31.7.1939 Bendorf-Sayn, 15.6.1942 Izbica
Todesdatum: nach 19.6.1942 Sobibor

Julius Hellmann
Geburtsdatum: 9.8.1876
Haft: 1937 „Rassenschande“; 22.1.1938 Dachau, 22.9.1938 Buchenwald
Todesdatum: 2.1.1939

Hanna Hellmann wurde in Nürnberg als Tochter eines Holzwarenfabrikanten geboren. Sie hatte zwei Geschwister, den Bruder Julius, Kaufmann, und die Schwester Lilly verh. Gebhardt. Hanna studierte Philosophie, Psychologie und deutsche Literaturgeschichte in Heidelberg und Berlin sowie in Bern und Zürich und wurde dort 1910 mit einer Dissertation über Henrich von Kleist promoviert. In den Studienjahren war sie in der Frauenbewegung engagiert.

Im selben Jahr zog sie nach Frankfurt und wohnte ab 1915 in der Luxemburger Allee 36, II., nach Kriegsende für zwei Jahrzehnte mit ihrem Bruder Julius zusammen. Dort verfasste sie literaturwissenschaftliche Studien und Aufsätze, u.a. für die Frankfurter Zeitung. Außerdem wirkte sie als Dozentin am Frauenseminar für soziale Berufsarbeit. Hanna Hellmann blieb zeitlebens ledig, ihr Freund war im Ersten Weltkrieg gefallen.

Hanna Hellmann lebte in enger Verbindung mit ihren beiden Geschwistern. Ihr Schwager Carl Gebhardt war Gründer der Internationalen Spinoza-Gesellschaft und lange Zeit Leiter des Schopenhauer-Archivs. In seinem Haus lernte sie Persönlichkeiten wie Else Lasker- Schüler, Albert Schweitzer und Martin Buber kennen.

In religiösen Fragen war Hanna Hellmann freigeistig wie ihre Geschwister auch. Mitte der 1920er Jahre erkrankte sie psychisch, 1926 zog sie sich gesellschaftlich zurück und durchlebte ekstatische und religiöse Schübe. Sie malte und zeichnete viel und sprach stundenlang in Reimen.

Julius Hellmann wurde 1937 wegen „Rassenschande“ verhaftet und vom Gefängnis in Frankfurt Anfang 1938 ins KL Dachau überstellt, von dort aus im September nach Buchenwald. Dort starb er am 2. Januar 1939, laut Karteikarte an „Bronchopneumonie“.

Hanna Hellmann wurde vermutlich aufgrund einer Denunziation seitens eines Nachbarn am 25. Mai 1938 gefesselt aus der Wohnung gezerrt und in die Städtischen Nervenkliniken eingeliefert. Ihre Schwester konnte sie am 21. September 1938 in dem anthroposophisch orientierten Sanatorium Wiesneck im Schwarzwald unterbringen, von wo sie am 31.Juli 1939 zwangsverlegt wurde in die Heil- und Pflegeanstalt Bendorf-Sayn. Aus diesem wurde Hanna Hellmann, „Nummer 115“, am 15. Juni 1942 zusammen mit über 300 Mitpatienten und Pflegekräften nach Izbica bei Lublin deportiert, vier Tage später fuhr der Zug ins Vernichtungslager Sobibor. Dort wurde sie ermordet. Ihre Schwester Lilly durchlitt das KL Theresienstadt und überlebte.

Die Stolpersteine wurden von Hanna und Dieter Eckhardt initiiert und von ihnen sowie von Ulli Nissen finanziert.


Niederrad Goldsteinstraße 145 (Ecke Hahnstraße)

Alexandr Dymkawez
Geburtsdatum: 1.1.1926
Haft: 26.06.1944 „Eigentumsdelikt“, AEL Heddernheim 22.7.-3.9.1944, Mauthausen
21.2.1945 Todesdatum: 27.4.1945

Alexander Schelakin
Geburtsdatum: 7.2.1909
Einweisung: 4.8.1944 Hadamar
Todesdatum: 18.9.1944

Michail Swiridenko
Geburtsdatum: 20.7.1900
Festnahme: 19.9.1944 „Diebstahl“, Flossenbürg
28.10.1944, Außenlager Leitmeritz
Todesdatum: 12.2.1945

Zdenek Svítek
Geburtsdatum: 5.7.1924
Festnahme: 18.4.1943 „wegen Diebstahl von Postgut“, Notgefängnis Frankfurt, Buchenwald Arbeitslager Leipzig, 25.4.1944 Flossenbürg
Todesdatum: 20.6.1944

Stolperstein mit Erklärung: Im Zwangsarbeiterlager der Deutschen Reichsbahn auf dem Gelände des Abstellbahnhofs Niederrad waren zwischen 1940 und 1945 Hunderte von Zwangsarbeitern aus Frankreich, Belgien, der Tschechoslowakei und der Sowjetunion untergebracht.

Alexandr Dymkawez wurde als Sohn von Wladimir Dymkawez (Name der Mutter ist unbekannt) in Peresady bei Borisov im Verwaltungsbezirk Minsk in Weißrussland geboren. Er war orthodoxer Christ. Er wurde wahrscheinlich Ende 1941 zur Zwangsarbeit für die Deutsche Reichsbahn nach Frankfurt verschleppt.

Alexander Schelakin wurde in Nowotscherkassk in Südrussland geboren. Er war katholisch. Spätestens ab Ende 1941 musste er für die Deutsche Reichsbahn Zwangsarbeit leisten. Er war in einer der Holzbaracken auf dem Gelände des Niederräder Abstellbahnhofs untergebracht. Bedingt durch die katastrophalen hygienischen Bedingungen erkrankte er schwer. Arbeitsamt und Reichsbahn organisierten ab Mitte 1944 den Transport schwer erkrankter Zwangsarbeiter in die Tötungsanstalt Hadamar.

Michail Swiridenko wurde in Tarasowka im Kreis Poltawa in der Ukraine geboren. Er war Schlosser von Beruf. Er war seit dem 16. Juni 1944 im Zwangsarbeiterlager der Deutschen Reichsbahn in Niederrad gemeldet. Im Konzentrationslager Flossenbürg erhielt er die Häftlingsnummer 32290.

Zdenek Svítek wurde in Smečno in Mittelböhmen, nordwestlich von Prag als Sohn von Vaclav Svítek geboren. Der Name der Mutter ist unbekannt. Er war Maler und Zimmermann. Ab Mitte März 1943 musste er Zwangsarbeit beim Gleisbautrupp 14 in Frankfurt-Niederrad leisten. Im Konzentrationslager Buchenwald bekam er die Häftlingsnummer 14580 und wurde in die Kategorie ASR (Arbeitsscheu Reich) eingruppiert.

Die Stolpersteine wurden initiiert von Robert Gilcher, Stadtteilhistoriker von Frankfurt- Niederrad, und von ihm, Petra Weber und Julia Schweigart finanziert.

Niederrad Herzogstraße 9

Heinrich Schabinger
Geburtsdatum: 20.05.1911
Haft: 3.4.1935- bis 31.8. 1936 Gerichtsgefängnis Frankfurt, Kassel, Strafanstalten Hannover und Nienburg/Weser, 2.12.1938-24.7.1941, Gerichtsgefängnis Frankfurt, Strafanstalt Frankfurt-Preungesheim und Freiendiez, 28.7.1941 KZ Flossenbürg
Todesdatum: 27.3.1942

Heinrich Schabinger wurde in Frankfurt-Niederrad geboren. Seine Eltern waren Ludwig und Elisabeth „Lisette“ Schabinger, geb.Weissbarth. Er hatte zwei Brüder, Ludwig (Jg. 1909) und Hans (Jg.1927) und war wie sein Bruder Ludwig Mitglied der KPD, der Roten Hilfe und des Kampfbundes gegen den Faschismus.

Heinrich wurde bei seiner Inhaftierung verdächtigt, als Verbindungsmann und Kurier zwischen der verbotenen KPD in Frankfurt-Niederrad und der illegalen Bezirksleitung in Frankfurt a.M. tätig gewesen zu sein, sowie Mitgliedsbeiträge entgegengenommen zu haben.

Vom Oberlandesgericht Kassel wurde ihm und weiteren Niederräder Kommunisten Mitte Oktober 1935 der Prozess gemacht. Heinrich Schabinger wurde zu einer Gefängnisstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Nach seiner Entlassung arbeitete Heinrich Schabinger als Bäckergeselle bei der Bäckerei Karl Kiefer in der Waldstraße 16 in Niederrad, ab Mitte Mai 1938 als Bäcker in der Bäckerei Josef Schmalzeis in der Leipziger Str.92/Ecke Marburger Straße in Bockenheim. Dort wurde er am 1. Dezember 1938 aus der Backstube heraus verhaftet. Man beschuldigte ihn, sich am 8. November 1938 einer fremden Person gegenüber als Kommunist ausgegeben und abfällige Bemerkungen über die Reichsregierung und Gauleiter Sprenger gemacht zu haben. Zudem soll er versucht haben, seine Gesprächspartnerin für die illegale KPD zu werben, indem er ihr später einen Zettel in den Briefkasten warf. Das Oberlandesgericht in Kassel verurteilte Heinrich Schabinger am 10. Februar 1939 wegen Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens zu einer Gefängnisstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten und zu drei Jahren Ehrverlust. Nach seiner Entlassung wurde er als Schutzhäftling Nr. 2735 in das Konzentrationslager Flossenbürg eingeliefert. Dort wurde er laut Sterbeurkunde bei einem Fluchtversuch erschossen.

Das Bauamt der Stadt Frankfurt, Abteilung Bestattungswegen, berechnete der Mutter Lisette Schabinger für die Erdbestattung der Urne mit der angeblichen Asche ihres Sohnes 25 Reichsmark.

Der Stolperstein wurde initiiert von Robert Gilcher, Stadtteilhistoriker von Frankfurt- Niederrad, und von „Round Table 40 Frankfurt/Bad Homburg“ finanziert.

Niederrad Waldfriedstraße 11

Carl von Weinberg
Geburtsdatum: 14.9.1861
Ab 1933 Demütigung und Entrechtung,
1939 Flucht nach Italien
Todesdatum: 14. 3. 1943

Wera Reiss, geb. von Weinberg
Geburtsdatum: 29.10.1897
Flucht: 1933 über Österreich und Ungarn nach England
Todesdatum: 9.4.1943 (Suizid)

Alexander von Szilvinyi
Geburtsdatum: 13.7.1925
1942 Wehrmacht-Einsatz Westfront Agen/Frankreich
Todesdatum: 18. Juli 1944 (Suizid)

Carl von Weinberg wurde am 14. September 1861 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Bernhard Weinberg und seiner Frau Pauline, geb. Gans in Frankfurt geboren. Er hatte eine Schwester, Maria (Jg. 1859) und einen Bruder, Arthur (Jg. 1860). Der Vater war durch die Heirat mit Pauline Gans Teilhaber der Firma Leopold Cassella & Comp. Geworden. Seit 1873 wohnte die Familie Weinberg in der Palmengartenstraße im Frankfurter Westend. Carl und sein Bruder Arthur konvertierten um 1880 zum Protestantismus.

Carl von Weinberg und sein Bruder Arthur traten früh in die Geschäftsführung der Firma Cassella in Fechenheim ein. Carl als Kaufmann, Arthur als Chemiker. Sie machten das Unternehmen zum weltgrößten Hersteller von synthetischen Farbstoffen.

Im Jahr 1894 heiratete Carl von Weinberg in London die aus dem englischen Hochadel stammende Ethel May Villers Forbes, die er in Bad Homburg kennengelernt hatte, und wohnte mit ihr in der Wöhlerstraße 2. 1895 pachtete er die sogenannte Waldspitze auf Schwanheimer Gemarkung und begann mit den Planungen für seine Villa Waldfried. Gleichzeitig begann er mit dem Geländekauf für das Gestüt Waldfried. Carl von Weinberg begründete in Frankfurt nicht nur die Pferdezucht, sondern auch den Polo- und den Golfsport.

Am 29. Oktober1897 kam die Tochter Wera zur Welt. Aus Dankbarkeit über die glückliche Geburt ließ May von Weinberg im Jahr 1906 auf dem Weinberg ́schen Gelände ein Waisenhaus (Villa Waldfried-Eck, heute Waldfriedstraße 11) für zehn Mädchen und zwei Schwestern des methodistischen Bethanien-Vereins bauen. Im Jahr 1898 zog die Familie in die riesige Villa Waldfried ein, die im englischen Landhausstil erbaut worden war.

Carl von Weinberg trieb derweil die weltweite Expansion der Cassella Werke auf seinen vielen Auslandsreisen weiter. Ihm war es beispielsweise gelungen, sämtliche Gärtnereien in Japan ausschließlich mit Cassella-Farben zu versorgen, die dazu dienten, den Gartenkies haltbar und leuchtend zu färben und so zu den malerischen Wirkungen, die die japanischen Gärten berühmt gemacht haben, entscheidend beizutragen.1904 schloss die Cassella einen „Freundschaftsvertrag“ (Kartell) mit den Farbwerken Höchst, dem sich 1907 die Kalle-AG in Wiesbaden-Biebrich anschloss.

1908 wurden Carl und Arthur von Weinberg auf Antrag in den erblichen Adelsstand erhoben. Carl von Weinberg war 1919 Mitglied der deutschen Delegation bei den Versailler Friedensverhandlungen und 1924 Mitglied der deutschen Delegation bei der Aushandlung des internationalen Vertrags über die deutschen Reparationsleistungen in London.

1925 gehörten die Brüder zu den Initiatoren und Mitbegründern der I.G. Farbenindustrie Aktiengesellschaft, des damals größten Chemiekonzerns der Welt. Carl von Weinberg, der Kaufmann, wurde stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrates und auch des Verwaltungsrates der IG Farben. Er war zuständig für den Verkauf von Farbstoffen sowie pharmazeutischen und landwirtschaftlichen Artikeln.

Ab 1933 mussten Carl und Arthur von Weinberg nach und nach ihre Wirtschaftsämter niederlegen.

Nach dem Tod seiner Frau May (15.12.1866 – 21.1.1937) wurde es noch einsamer um Carl von Weinberg. Gemäß der „Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens“ vom 3. Dezember 1938 wurde Carl von Weinberg gezwungen, seine Villa an die Stadt zu verkaufen. Oberbürgermeister Krebs hatte den Magistratsrat Adolf Miersch beauftragt, sich um die für die Stadt Frankfurt interessantesten Liegenschaften zu kümmern. Der „Kaufvertrag“ zwischen Carl von Weinberg und dem Beauftragten der Stadt, Adolf Miersch, in Anwesenheit des Notars Alexander Berg, NSDAP- Mitglied und förderndes Mitglied der SS, wurde am 7. Dezember 1938 geschlossen, vier Tage nach der Veröffentlichung der Verordnung. Die Stadt erwarb den Poloplatz mit Haus Wilthube, das Haus Waldfried mit allen zugehörigen Grundstücken und die Kunstsammlung von Carl von Weinberg mit 721 Gemälden und Skulpturen. Zitat: „Es ist gelungen, die überhöhte Forderung des Grundstückseigentümers erheblich herabzudrücken.“ Laut Vertrag durfte Carl von Weinberg als Mieter drei Jahre in der Villa wohnen bleiben.

Aber der Oberbürgermeister beruhigte die Gemeinderäte: „Aber er wird ja von sich aus über kurz oder lang ausziehen müssen, weil er die Mittel für die Wohnung nicht mehr aufbringen kann. Er wird vielleicht ins Ausland verziehen. Die Sache wird sich also von selbst regeln.“ Im August 1939 musste Carl von Weinberg aus der Villa in das ehemalige Waisenhaus seiner Frau May am Waldfriedeck 11 umziehen. Adressbucheintrag: „Bewohner Carl von Weinberg, Eigentümer Stadt Frankfurt“. Seinen Pass hatte er bereits abgeben müssen. Er floh Ende 1939 mit Hilfe von Freunden und Kollegen der IG Farben nach Italien zur Familie seiner Schwester Maria, die mit dem Conte Giovanni Paolozzi di Calboli verheiratet war. Ihr Sohn war Mitglied der Sondertruppe der faschistischen Miliz, die Mussolinis Leibwache stellte.

Die Stadt versuchte derweil erfolglos, die Villa Waldfried der NSDAP und Wehrmacht als Marine- Musikschule anzudienen. Eine Zeit lang stand die Villa leer. Als 1941 geplant war, in der Villa Waldfried ein Hilfskrankenhaus einzurichten, wurde eine Bestandsaufnahme vorgenommen. Aus dem Bericht: „Die Zentralheizungsanlage ist durch Frost und Rost beschädigt. Dazu kommen fehlende Heizkörper und eine durch Frostschäden stark beschädigte Kaltwasserleitung“ Das Hilfskrankenhausprojekt zerschlug sich.

Im Juni 1943 führte der Obermagistratsrat Adolf Miersch interessierte Herren des nationalsozialistischen Bundes deutscher Technik, NSBDT, Reichsfachgruppe Chemie durch die Villa. Die Reichsfachgruppe Chemie wollte in der Villa ein Erholungsheim für deutsche Chemiker einrichten und das Haus als Tagungsstätte nutzen. Anfang Oktober 1943 wurde die Villa Waldfried bei einem Luftangriff stark beschädigt. Alle Planungen der Stadt Frankfurt hatten sich damit erledigt.

Wera von Weinberg wurde am 17. August 1913 in der evangelischen Martinuskirche in Schwanheim konfirmiert. Zwei Jahre später, anlässlich ihrer Verlobung mit dem katholischen k.u.k Legationsrat Alfons Markgraf Pallavicini, trat sie zusammen mit ihrer anglikanischen Mutter zum katholischen Glauben über. Die Hochzeit mit Pallavicini fand am 8. Januar 1916 in der Frankfurter Liebfrauenkirche statt. Die Ehe wurde 1920 in Budapest geschieden und kirchlich annulliert. Am 25. August 1921 heiratete Wera in der katholischen Kirche in Schwanheim Paul Graf zu Münster. Zu dieser Zeit war Wera Teil der besseren Gesellschaft Europas. Sie war oft in der Heimat ihrer Mutter zu Besuch und in der britischen Regenbogenpresse wurde über sie berichtet. Am 13. Juli 1925 wurde ihr Sohn Alexander geboren. Die Ehe mit Paul Graf zu Münster wurde am 2. Januar 1929 geschieden. Zwei Monate später, am 2. März 1929 heiratete Wera Richard von Szilvinyi, der als Prokurist im Hoechster Farbenverkauf arbeitete. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten ließ sich Wera scheiden und flüchtete über Wien nach Budapest. Dort heiratete sie am 26. Januar 1935 den jüdischen österreichischen Arzt Dr. Joseph Reiss. Mit ihm floh sie nach London. Am 9. April 1943, nahm sich Wera Reiss in ihrer Wohnung in London das Leben.

Alexander von Szilvinyi, Sohn von Wera und Paul Graf zu Münster, wurde von Richard von Szilvinyi adoptiert. Er war Gymnasiast und er schien sich oft in Österreich aufzuhalten. Dort hatte er 1943 kurz vor seiner Einberufung zur Wehrmacht, anscheinend ein Testament hinterlegt, in dem er alles was er besaß seinem „Pflegevater Richard von Szilvinyi“ vermachte. Alexander von Szilvinyi ist nicht an der Westfront gefallen, sondern nahm sich laut Sterberegister des Standesamtes Frankfurt vom Februar 1945 belegt, bei Agen an der Westfront das Leben.

Die Stolpersteine wurden initiiert von Robert Gilcher, Stadtteilhistoriker von Frankfurt- Niederrad, und finanziert von Annette E. Kühnel, Uli Nissen und Lars Spielvogel

Niederrad Waldfriedstraße 17

Ludwig von Gans
Geburtsdatum: 6.8.1869
Flucht: 1938 Schweiz, Dänemark
Haft: April 1940 in Dänemark
Deportation: 6.10.1943 Theresienstadt/Befreit
Todesdatum: 19.10.1946 (Suizid)

Ludwig von Gans wurde in Frankfurt geboren. Seine Eltern waren Fritz von Gans und Auguste, geb. Ettling. Er hatte zwei ältere Geschwister: Adela (Jg. 1863) und Paul (Jg. 1866). Ludwigs Vater Fritz von Gans hatte sechs Geschwister, darunter Leo Gans, Begründer der Cassella, und Pauline Gans. Pauline Gans heiratete Bernhard Weinberg. Sie war die Mutter von Arthur (geb. 1860) und Carl (geb.1861) von Weinberg. Arthur und Carl von Weinberg traten in den späten 1870er Jahren in die von ihrem Onkel Leo Gans gegründete Teerfarbenfabrik Cassella ein.

Ludwig von Gans ließ sich, wie seine Cousins Arthur und Carl von Weinberg evangelisch taufen. Er heiratete Elisabeth Keller, mit der er vier Kinder hatte: Marguerite (Jg. 1902), Herbert (Jg. 1905), Gertrud (Jg. 1910) und Armin (Jg. 1917).

Nachdem der Chemiker Ludwig von Gans zunächst für einige Jahre bei der Cassella wahrscheinlich im Außenhandel gearbeitet hatte, gründete er 1897 ein eigenes chemisches Unternehmen: die Pharma-Gans. Die Firma stellte unter anderem Seren für Impfstoffe, z.B. Wundstarrkrampf, und Insulin her. 1912 verlegte er den Firmensitz nach Oberursel, wo er sich inzwischen die Villa Kestenhöhe („Villa Gans“) hatte bauen lassen. In der Weltwirtschaftskrise geriet die Firma ab 1929 in Schwierigkeiten. Dazu kamen gerichtliche Auseinandersetzungen um Patentrechte mit der I.G. Farben, zu der Cassella inzwischen gehörte. 1931 ging die Firma Pharma-Gans in Konkurs.

1929 hatte Ludwig von Gans seine Villa in Oberursel verkauft und war mit seiner Familie wieder nach Frankfurt zurückgezogen, in den Kettenhofweg 125. Seit 1936 war Ludwig von Gans lt. Adressbuch Frankfurt in der „Waldfriedstraße“ gemeldet. In den Adressbüchern 1937, 1938, 1939 findet man den Adresseintrag: Waldfriedeck II. Eigentümer war sein Cousin Carl von Weinberg.

Ende 1938 wurde der Besitz von Carl von Weinberg durch die Stadt Frankfurt „arisiert“. Um diese Zeit, flüchtete Ludwig von Gans, der inzwischen „pro forma“ von seiner Frau Elisabeth geschieden war, in die Schweiz. Während des Krieges besuchte er für längere Zeit in Dänemark einen Bekannten. Dort wurde er nach der Besetzung Dänemarks durch die deutsche Wehrmacht im April 1940 von den Nazis verhaftet. Am 6. Oktober 1943 wurde er mit dem Transport 68-XXV/2 aus Dänemark nach Theresienstadt deportiert, wo er seinen Vetter Arthur von Weinberg traf. Ludwig von Gans überlebte Theresienstadt halb verhungert und geistig verwirrt. Das Schwedische Rote Kreuz brachte ihn 1945 über Schweden zurück nach Dänemark. An seine Wohnadresse in der Schweiz konnte er sich nicht mehr erinnern. Er nahm sich in Kopenhagen das Leben.

Der Stolperstein wurde initiiert von Robert Gilcher, Stadtteilhistoriker von Frankfurt- Niederrad, und finanziert von Annette E. Kühnel.

Initiative Stolpersteine Frankfurt am Main e.V.

www.stolpersteine-frankfurt.de